John Haldon: The Empire That Would Not Die. The Paradox of Eastern Roman Survival, 640-740, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2016, XIII + 418 S., ISBN 978-0-674-08877-1, USD 45,00
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Seit Jahrzehnten hat sich John Haldon mit der Erforschung der byzantinischen Geschichte des 7.-9. Jahrhunderts beschäftigt. Vor allem seine Monographie über das 7. Jahrhundert, aber auch die von ihm mitverfasste Arbeit über Byzanz während des Bilderstreits stellen unersetzliche Standardwerke dar. [1] Mit seinem jüngsten Buch hat er die entscheidenden Jahrzehnte des Existenzkampfes der Byzantiner im Angesicht der Bedrohung durch die expandierenden Araber (ca. 640-740) in den Blick genommen. Dabei geht es weniger um eine Geschichte dieser Phase als eine klar fokussierte Erörterung der Frage, welche Faktoren das "paradoxical survival" (57) ermöglicht haben. Tatsächlich ist das erstaunliche Phänomen, dass Byzanz - nach ca. 640 reduziert auf ein Rumpfgebiet, das die Umgebung Konstantinopels, Kleinasien, (zunächst noch) Teile Nordafrikas, einige Enklaven auf dem Balkan und in Italien sowie Sizilien umfasste - das 7. Jahrhundert überhaupt als staatliche Einheit überlebt hat, trotz zahlreicher Detailstudien noch immer nicht systematisch angegangen worden. Eine theoretische Grundlegung in der Einleitung (1-25), die der Konzeptualisierung von 'Transformation' nachgeht und insbesondere strukturtheoretische und akteurszentrierte Ansätze zu integrieren sucht, indem die hohe Bedeutung von Ideen und Vorstellungen sowie ihrer Umsetzung in praktisches Handeln unter gegebenen Rahmenbedingungen hervorgehoben wird ("What we need to know is how exactly this resilience and adaptability actually worked - how does resilience express itself in social action and beliefs, for example? How does adaptation appear in the institutional arrangements, economic and political relationships we can observe in our sources?", 24), führt auf die Identifikation von fünf Themenkreisen, die in den Augen des Verfassers näheren Aufschluss über die Gründe der bemerkenswerten Beharrungskraft des Byzantinischen Reiches geben könnten. Dabei geht es (1) um mögliche "ideological advantages", (2) die Rolle der Eliten, (3) eventuelle geostrategische Begünstigungen durch die Lage des anatolischen Kernlandes, (4) Klimabedingungen und Umweltfaktoren sowie (5) die innere Organisation von Verwaltung und Militär (vgl. 57). Die nachfolgenden sechs Kapitel bieten eine intensive Auseinandersetzung mit den aufgeworfenen Fragen, deren Ergebnisse in der "Conclusion" (283-294) schließlich zu einem komplexen, stimmigen Gesamtbild verdichtet werden. Vorausgeschickt wird den Erörterungen ein knapper ereignisgeschichtlicher Abriss, der von den 640er Jahren bis in die Herrschaft Leons III. reicht (31-55).
Haldon blickt zunächst auf die "Beliefs, Narratives, and the Moral Universe" (79-119), indem er die enge Verwobenheit von 'Orthodoxie', militärischem Erfolg und dem Schicksal des Reiches in der zeitgenössischen Vorstellungswelt herausarbeitet. Das dadurch konstituierte "shared morale universe" (103), forciert durch die 'Liturgisierung' seit der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts über einen längeren Prozess hin entstanden, präfigurierte Identitätsdiskurse, die klare Linien zwischen Innen und Außen zogen, und kristallisierte sich in der politischen Theologie eines christlichen Reiches, beherrscht vom göttlich bestimmten Kaiser, der in enger Verbundenheit mit der Kirche die Geschicke der Bevölkerung dirigierte. Unterhalb dieses Schirms, dessen normatives Gerüst der Verfasser vor allem aus den Bestimmungen des Quinisextum 691/92 extrahiert, war freilich eine Vielzahl divergierender lokaler bzw. regionaler Identitäten, Vorstellungen und Praktiken anzutreffen; sie alle ließen sich jedoch, vermittelt durch Asketen und Kleriker auf dem Land, auf den Kern der politischen Theologie beziehen und stellten jedenfalls die verbreitete Grundloyalität der Bevölkerung zu Reich und Kaiser nicht infrage. In welchem Maße die Durchdringung von imperium und sacerdotium, von Reich und christlichem Glauben, zur Ausformung einer soliden ideologischen Basis, die für die Fortexistenz des Gesamtverbands entscheidend war, beitrug, legt das anschließende Kapitel zu "Identities, Divisions, and Solidarities" (120-158) dar. Haldon kann sehr überzeugend aufzeigen, wie etwa die zunehmende Konvergenz säkularen und kirchlichen Rechts (emblematisch: die Kanones des Quinisextum 691/92) als eine unter zahlreichen Manifestationen der Überblendung von kirchlicher und imperialer Sphäre die Autorität des Kaisers zu steigern vermochte und wie ein offensichtlich unverrückbares Grundvertrauen in die providentielle Rolle des Imperiums mit dazu beitrug, dass kurzfristig von den Arabern eroberte Orte und Festungen - sofern hinreichend Militär präsent war - in der Regel zurückgewonnen werden konnten, dass lokale Bevölkerungen ein erstaunliches Maß an Widerstandskraft offenbarten und dadurch allmählich die Tauros/Anti-Tauros-Linie als Abwehrriegel gegen das Vordringen der Araber zementiert werden konnte. Freilich lassen sich auch Gegenbewegungen ausmachen; deren stärkste gruppierte sich um den umtriebigen Mönch Maximus Confessor, dessen für das Projekt eines Erhalts des Gesamtreichs unheilvolles Wirken der Verfasser verschiedentlich thematisiert.
Ist damit gleichsam der ideologische Handlungsrahmen definiert, werden im Folgekapitel ("Elites and Interests", 159-192) die imperialen, provinzialen und lokalen Eliten einer näheren Betrachtung unterzogen. Es geht hier nicht nur um bereits bekannte Phänomene wie das Aussterben der spätantiken Senatorenschicht, die grundlegende personelle Neuaufstellung der byzantinischen Aristokratie, ihre Militarisierung (vor allem auf provinzialer Ebene) und nochmals zunehmende Ausrichtung auf Konstantinopel nach dem Fortfall der übrigen größeren Reichszentren. Haldon richtet den Blick vielmehr auf die Entwicklung lokaler Identitäten (die als voll ausgebildete neue Provinzidentitäten ab dem 9. Jh. hervortreten), die noch verbliebenen Herkunfts- und Rekrutierungsräume für Eliten und das Heer als zentraler Instanz zur Ermöglichung sozialen Aufstiegs. Offensichtlich gelang es der Reichszentrale auch unter höchstem Druck noch, über lokale Rekrutierungen und Kasernierungen von Truppenkontingenten Loyalitätsnetzwerke zwischen Soldatenverbänden und der ansässigen Bevölkerung zu implementieren, die eine der Grundlagen für den Durchhaltewillen letzterer darstellten - ungeachtet der fast jährlichen arabischen Angriffe, sowie eines fortschreitenden Deurbanisierungs- und Militarisierungsprozesses (189). Aufruhr gegen die von Konstantinopel aus gelenkte Herrschaft erfolgte jedenfalls nur selten und wenn, dann jeweils situativ bedingt. Dies hing nicht nur mit dem "shared morale universe" von Soldaten und Bevölkerung zusammen, sondern - wie anschließend dargelegt wird ("Regional Variation and Resistance", 193-214) - auch mit der Tatsache, dass es der Zentralregierung gelang, die provinzialen und lokalen Eliten Anatoliens loyal auf Kaiser und Reich zu verpflichten. In den entfernter gelegenen Provinzen taten sich die Herrscher damit weitaus schwerer: In Syrien kam es nach dem Rückzug der byzantinischen Truppen im Gefolge der Yarmuk-Schlacht 636 zu Fluchtbewegungen und dem freiwilligen Anschluss lokaler Eliten an die Araber (z.B. die Familie des Johannes von Damaskus); in Italien zeigte man nicht mehr als eine vorsichtige Grundloyalität gegenüber Konstantinopel, schloss sich aber im Zweifel dann doch eher den Langobarden an; in Nordafrika schließlich führten die militärische Wehrlosigkeit, verschärfte Fiskalpolitik und ein von Maximus Confessor geschürter religiöser Dissens dazu, dass Autonomietendenzen sich in der Usurpation des Gregorios kristallisierten, die freilich nach dessen Niederlage gegen die Araber bei Sbeitla 647 zusammenbrach.
Die nachfolgenden Überlegungen zu möglichen Auswirkungen klimatischer und umweltbedingter Faktoren auf politisches Geschehen ("Some Environmental Factors", 215-248) basieren auf neuen Daten, die erst in den letzten Jahren - u.a. in vom Verfasser geleiteten Projekten - verfügbar gemacht werden konnten und bringen damit einen Aspekt in die Diskussion ein, der bisher eher marginal behandelt worden ist. Haldon ist sich der methodischen Fallstricke, die der Umgang mit dem neuen Material beinhaltet, durchaus bewusst und argumentiert dementsprechend vorsichtig. Keinesfalls möchte er voreilig lineare Rückschlüsse aus dem Übergang zu einem instabileren, generell feuchteren und kühleren Klima und der durch vulkanische Eruptionen in den 530er und 540er Jahren hervorgerufenen Abkühlung ("Late Antique Little Ice Age") ziehen, zumal sich für Anatolien ohnehin eine starke regionale Varianz zeigt. Zwar ist er überzeugt, dass "climate and the ancient environment must play a more important role in understanding the political, social, and economic history of past societies and state formations than they have done in our interpretation in the past" (222), doch bleiben Resilienz, Anpassungsfähigkeit und Flexibilität sowie politische und strukturelle Faktoren stets zu berücksichtigen. Insgesamt aber deute eine Auswertung der verfügbaren Daten darauf hin, dass sich in Anatolien während des 7. Jahrhunderts "a simplified and more regionally diverse agropastoral regime and a reduced level of activity" durchgesetzt habe (227), d.h. Landnutzung auf einem einfacheren, aber weniger vulnerablen Niveau erfolgte. Ob dies einzig auf klimatische Faktoren zurückzuführen ist, bleibt zunächst einmal offen, da demographische und ökonomische Veränderungen auch durch die im 7. Jahrhundert endemische Pest, durch die allgegenwärtigen Kriege, Fluchtbewegungen, Umsiedlungen usw. bedingt gewesen sein könnten. Vor allem aber - dies wird im letzten Kapitel ("Organization, Cohesion, and Survival", 249-282) dargelegt - dürften bewusste Orientierungen an einer neuen Marktlage eine Rolle gespielt haben. Denn die Zunahme von Getreideanbau und Viehhaltung bei gleichzeitigem Rückgang von Wein- und Olivenanbau spiegeln wohl nicht zufällig die Bedürfnisse, die sich durch die Konzentration größerer Truppenkörper in Anatolien bei gleichzeitigem Ausfall Nordafrikas und Siziliens als Getreidelieferanten ergeben haben dürften. Minutiös kann der Verfasser herausarbeiten, dass die Verteidigung des verbliebenen kleinasiatischen Kernlandes planvoll und durchaus strategisch erfolgte: Truppen wurden entsprechend den jeweiligen Erfordernissen und unter Berücksichtigung bzw. Anpassung lokaler Ressourcen und Produktionsmöglichkeiten vorgenommen; Steuerbelastungen und Münzprägung wurden flexibel gehandhabt, die Versorgung von Hauptstadt und Heer mit Getreide und notwendigen Gütern in die Hände der kommerkiarioi (und ihrer apothēkai) gelegt, die dadurch neue Aufgabenbereiche erhielten.
Insgesamt tritt damit ein komplexes Geflecht aus unterschiedlichen Maßnahmen und Strategien - vom Verfasser in der "Conclusion" in ein chronologisches Ablaufschema gebracht - hervor, aus dem hervorgeht, dass sich das Überleben des Byzantinischen Reiches keineswegs nur der geostrategischen Lage Anatoliens, militärischem Glück, den innerarabischen Bürgerkriegen und anderen kontingenten Faktoren verdankt; Haldon rückt vielmehr das planvolle Handeln der Akteure, das auf einem gemeinsamen ideologischen Fundament aufruhte und von Flexibilität und Widerstandsfähigkeit gekennzeichnet war, in den Vordergrund. Dieses Handeln und seinen mentalen bzw. kulturellen Hintergrund auf die Rahmenbedingungen bezogen und zu einem komplexen Ursachengeflecht ("a cluster of reasons", 78) verwoben zu haben, stellt - auch auf der konzeptuellen Ebene - eine wesentliche Leistung dar. Haldons Monographie zeigt mögliche grand strategies einzelner Kaiser (Konstans II., Konstantin IV.) und ihre mutmaßlichen Auswirkungen auf, aber es verharrt nicht auf der personalen, auf einzelne zentrale Akteure fokussierten Ebene; vielmehr wird einfachen Erklärungsansätzen die Komplexität historischen Geschehens in ihrem ganzen Facettenreichtum entgegensetzt, indem immer wieder von den zentralen Akteuren abstrahiert und den Vorstellungen und Handlungsmotivationen von Land- und Provinzialbevölkerung nachgeforscht wird. Dabei treten nicht zuletzt Fragen nach dem Verhältnis von Zentrum und Peripherie in den Vordergrund. Am Ende steht ein wesentlicher Beitrag zu einem weiterhin erstaunlichen Phänomen: "The eastern Roman Empire simply would not die" (294).
Anmerkung:
[1] John Haldon: Byzantium in the Seventh Century. The Transformation of a Culture, Cambridge 1997; Leslie Brubaker / John Haldon: Byzantium in the Iconoclast Era, c. 680-850. A History, Cambridge 2011.
Mischa Meier