Rezension über:

Doris Fuchsberger: Nacht der Amazonen. Eine Münchner Festreihe zwischen NS-Propaganda und Tourismusattraktion, München: Allitera 2017, 242 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-86906-855-8, EUR 19,90
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Rezension von:
Alexander Mayer
Universität der Bundeswehr München
Redaktionelle Betreuung:
Annemone Christians im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Alexander Mayer: Rezension von: Doris Fuchsberger: Nacht der Amazonen. Eine Münchner Festreihe zwischen NS-Propaganda und Tourismusattraktion, München: Allitera 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 7/8 [15.07.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/07/31720.html


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Doris Fuchsberger: Nacht der Amazonen

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Unter dem Titel "Nacht der Amazonen" inszenierte das nationalsozialistische München von 1936 bis 1939 jährlich eine opulente Freilichtrevue. Doris Fuchsbergers Buch, das sich mit dieser Festveranstaltung beschäftigt, richtet sich an ein breiteres Publikum, greift aber ein Thema auf, das an die jüngere Forschung zum Nationalsozialismus durchaus anschlussfähig ist. Denn einerseits sieht die Forschung seit geraumer Zeit die Bedeutung der Kommunen für die Herrschaftsausübung und nimmt Stadtverwaltungen als eigenständige Akteure mit Handlungsspielräumen und spezifischen Interessen ernst. Andererseits lassen kulturgeschichtliche Ansätze erkennen, wie öffentliche Inszenierungen dazu beitrugen, politische Herrschaft zu konstituieren und zu festigen. [1] Städtische Festveranstaltungen sind aus dieser Perspektive bereits verschiedentlich als Mittel zur Bindung der lokalen Bevölkerung und als Instrument der Imagepolitik für den Fremdenverkehr thematisiert worden. [2]

Fuchsberger verortet die "Nacht der Amazonen" dem Untertitel ihres Buchs nach "zwischen NS-Propaganda und Tourismusattraktion". Während die propagandistische Funktion des Fests eher unterbelichtet bleibt, geht die Verfasserin ausführlich auf die Bemühungen der nationalsozialistischen Stadtverwaltung ein, durch eine gezielte Imagepolitik und eine Vielzahl von Festen den Tourismus anzukurbeln und ein internationales Publikum anzuziehen.

Wiederholt wird deutlich, dass die Konkurrenz zu Berlin und anderen Großstädten dabei eine wichtige Rolle spielte. So sollte der Münchner "Festsommer" des Jahres 1936 mit der ersten "Amazonennacht", eingebettet in die Riemer Rennwoche, eine Serie von Pferderennen, einen Ausgleich zu den Olympischen Sommerspielen in Berlin schaffen. Die Initiative ging dabei von dem "Alten Kämpfer" und umtriebigen Münchner Ratsherrn Christian Weber aus.

Ausführlich geht Fuchsberger auf dessen Passion für den Reitsport ein. Weber lenkte städtische Gelder in den Rennbetrieb in München-Riem und setzte sich für die Ansiedelung der SS-Hauptreitschule ein. Reiter der SS wirkten an der "Nacht der Amazonen" mit, die nach Fuchsberger der SS eine Gelegenheit bot, sich der Münchner Bevölkerung positiv zu präsentieren - der Großteil wusste um die Vorkommnisse im nahegelegenen Konzentrationslager Dachau.

Im Zentrum des Buches steht eine ausführliche Beschreibung der Organisation und des Ablaufs der vier "Amazonennächte", die im Park des Nymphenburger Schlosses eine Reihe von musikalisch begleiteten Szenen mit historisierenden und mythologischen Motiven präsentierten, und deren Höhepunkt stets der Auftritt der spärlich bekleideten "Amazonen" bildete. Diese Inszenierung weiblicher Nacktheit ordnet die Verfasserin im folgenden Kapitel zum einen in den Kontext der als besonders ausgelassen und freizügig geltenden Münchner Festkultur und zum anderen in die Geschlechterpolitik des Nationalsozialismus ein. Das Buch schließt mit einer Reihe von Kurzbiographien der beteiligten Künstler und Funktionsträger.

Vieles von dem, was Fuchsberger über die Imagepolitik der "Hauptstadt der Bewegung" schreibt, dürfte Historikerinnen und Historikern bereits bekannt sein, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Die Ausführungen zur "Nacht der Amazonen" selbst beruhen auf umfangreichen Archivrecherchen. Fuchsberger stützt sich zudem auf Interviews mit Zeitzeugen und Quellen aus Privatbesitz, wobei insbesondere Farbfilmaufnahmen des Amateurfilmers Wilhelm Hindelang aus dem Jahr 1938 zu nennen sind. Ein guter Teil der zahlreichen abgedruckten Photographien stammt ebenfalls aus privater Hand.

In der Auswertung dieser Quellen leidet das Buch jedoch an einer deskriptiven Schlagseite. Zwar beschreibt Fuchsberger den Ablauf der vier "Amazonennächte" jeweils einzeln und mit vielen Details, eine Analyse der politischen Implikationen der Aufführungen fehlt allerdings meist. Zu wenig erfährt der Leser auch über die Reaktionen des Publikums und der Stadtbevölkerung. Gerade dies wäre jedoch aus Perspektive der Forschung, die nach der integrativen und herrschaftsstabilisierenden Funktion öffentlicher Inszenierungen fragt, von besonderem Interesse.

Fuchsberger legt dar, dass das NS-Regime im Rekurs auf Elemente aus Freikörperkultur und Lebensreformbewegung die Zurschaustellung von Nacktheit in bestimmten Formen durchaus förderte. Unklar bleibt aber, welche politischen Wirkungen eine Veranstaltung entfaltete, die nicht zuletzt auf die Ästhetik nackter Körper setzte. Integrierte ein solches Fest durch wohldosierte Liberalität? Entfremdeten die Amazonennächte manche Münchnerinnen und Münchner dem Regime, weil sie darin ein unzüchtiges Spektakel der NS-Bonzen sahen? Und wie wandelte sich die Perspektive im konservativen Klima der frühen Bundesrepublik, das sich ja nach Dagmar Herzogs These auch als eine Reaktion auf die (partielle) Freizügigkeit des Nationalsozialismus deuten lässt? [3]

Zu solchen Fragen lädt Fuchsberger selbst in der Einleitung ein: "Warum wurde jahrzehntelang nur unter vorgehaltener Hand über diese nächtlichen Veranstaltungen gesprochen, warum verheimlichten selbst Zuschauer, dass sie dabei waren?" (10) Eine zufriedenstellende Antwort findet der Leser leider nicht.

Unbefriedigend bleiben auch die Ausführungen zum Sujet der Amazone. Symbolisierte sie tatsächlich "einen neuen Frauentypus, der dem Mann an Leistungsfähigkeit gleichwertig gegenüberstand" (199)? Unklar bleibt, wie dies mit dem "bipolaren Geschlechterbild des Nationalsozialismus", das der Frau eindeutig den "häuslichen Bereich" zuwies, vereinbar sein soll (ebd.). Oder gab das mythologische Motiv doch nur einen "Vorwand", um im Rahmen einer Revue "Nacktheit und weibliche Anziehungskraft" in Szene zu setzen (ebd.)? Möglicherweise hätte hier eine Kontextualisierung über das Genre der Revue mehr Klarheit schaffen können.

Während solche weiterführenden Aspekte oft nur angerissen, aber nicht systematisch vertieft werden, erfährt der Leser eine Unzahl an Details - von den Aufgaben der 18 Abteilungen des Organisationsausschusses (68) bis zum Volumen des ausgestreuten Sägemehls (85) - die offenbar ein möglichst umfassendes Bild der Veranstaltung zeichnen sollen, aber nicht argumentativ eingebettet sind.

Fuchsberger greift mit der "Nacht der Amazonen" ein Thema auf, das einerseits für die neuere Forschung anschlussfähig ist, andererseits einem breiteren Publikum einen kulturgeschichtlich geschulten und lokal fokussierten Blick auf die NS-Herrschaft ermöglichen könnte. In beiderlei Hinsicht wird dieses Potential aber durch eine allzu deskriptive Herangehensweise zum Teil verschenkt.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Margit Szöllösi-Janze: In der Wettbewerbsspirale. Imagepolitik und Stadtgesellschaft im nationalsozialistischen München. Eine Einleitung, in: München im Nationalsozialismus. Imagepolitik der "Hauptstadt der Bewegung", hg. von ders., Göttingen 2017, 7-28.

[2] Vgl. etwa die Beiträge in Adelheid von Saldern (Hg.): Inszenierter Stolz. Stadtrepräsentationen in drei deutschen Gesellschaften (1935-1975), Stuttgart 2005.

[3] Vgl. Dagmar Herzog: Die Politisierung der Lust. Sexualität in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, München 2005.

Alexander Mayer