Andreas Jüngling: Alternative Außenpolitik. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund der DDR und Franco-Spanien (1947 bis 1975) (= Edition Kritische Ausgabe; Bd. 8), Berlin: Verlag Dreiviertelhaus 2017, 337 S., ISBN 978-3-96242-108-3, EUR 25,00
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Das Thema "Spanien" besaß in der DDR eine besondere Bedeutung. Neben dem identitätsstiftenden Moment für nicht wenige Partei- und Staatskader wegen des spanischen Bürgerkriegs lieferte das politische Überleben Francos nach 1945 und die Stabilisierung seiner Diktatur mit westlicher Hilfe ein Argument für die SED zur antifaschistischen Legitimierung ihrer Herrschaft. Folgerichtig genoss Spanien große Aufmerksamkeit in der DDR, während zur gleichen Zeit die westdeutsche Touristenwelle einsetzte, zumeist ohne ein größeres Interesse an seiner Geschichte und Kultur. In den mehr politikgeschichtlich orientierten Arbeiten von Michael Uhl und Josie McLellan oder in dem mehr auf die Kultur ausgerichteten Sammelband von Wolfgang Asholt u.a. ist dies umfassend nachgezeichnet worden. [1]
Die auf eine Bonner Dissertation zurückgehende Arbeit von Andreas Jüngling behandelt nun einen speziellen Aspekt des Spanien-Bezugs in der DDR, nämlich die Aktivitäten des gewerkschaftlichen Dachverbandes, des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB). Sie erreichten seit den sechziger Jahren einen solchen Stellenwert, dass Jüngling von einer alternativen Außenpolitik redet. Das ist vielleicht doch etwas missverständlich, da es ja keineswegs um einen auch nur möglichen Ersatz der DDR-Außenpolitik ging, sondern nur um ihre Ergänzung, auch wenn sie von einer formal eigenständigen Institution mit natürlich vorhandenen Sonderinteressen durchgeführt wurde.
Angefangen hatte das Spanien-Interesse des FDGB zwar schon fast unmittelbar nach seiner Gründung, als es um die (wenigen) in der SBZ verbliebenen, aus den KZs befreiten Spanier oder um ihre aus sonstigen Gründen nach Ostdeutschland verschlagenen Landsleute ging. Es diente auch zum Nachweis der Neuorientierung, zumindest in der SBZ, angesichts noch vieler Vorbehalte selbst bei Bündnispartnern in dem bald kommunistisch dominierten Weltgewerkschaftsbund (WGB). Spanische Ansprechpartner existierten zunächst nur im Exil und dies praktisch ausschließlich unter den Mitgliedern der spanischen KP, da die Repression in Spanien selbst jedwede Gewerkschaftsarbeit unmöglich machte. Erst gegen Ende der fünfziger Jahre, mit einer neuen Generation und angesichts des vonstattengehenden sozialen und ökonomischen Wandels, entwickelte sich in dem Land eine neue, jedoch schnell illegalisierte Gewerkschaftsbewegung in Gestalt der Arbeiterkommissionen (Comisiones Obreras), in denen die Kommunisten einen bestimmenden Einfluss gewannen. Damit verfügte der FDGB über einen direkten Ansprechpartner auf gleicher institutioneller Ebene, ohne die spanische Partei einschalten zu müssen, was personelle Querverbindungen aber nicht ausschloss.
Die Darstellung dieser Beziehungen in ihrer ganzen Komplexität zwischen FDGB und Arbeiterkommissionen, gelegentlich auch unter Vermittlung des WGB, bildet den Schwerpunkt des Buchs mit fast einem Drittel des Umfangs. Im Laufe der Jahre, insbesondere mit den Siebzigern, differenzierten sie sich. Nicht nur entwickelten sich jetzt, noch vor dem Tod Francos, auf staatlicher Ebene Beziehungen (zunächst wirtschaftlicher Art). Zum anderen nahm die spanische KP unter dem Zeichen des Eurokommunismus eine Entwicklung (durchaus auch mit Konflikten in ihren eigenen Reihen), die, gelinde gesagt, Probleme in den Beziehungen zur SED schuf. Davon blieben die Verbindungen zwischen FDGB und Arbeiterkommissionen nicht unberührt.
Zugleich entfaltete das Thema Spanien über die Jahrzehnte, insbesondere ab 1956, ein bedeutendes politisches Mobilisierungspotenzial. Die Solidarität für die Verfolgten der Franco-Diktatur wurde mit dem "antifaschistischen Erinnerungsort" (312) des Bürgerkriegs verknüpft, was breit in die Betriebe, aber mindestens genauso in das Erziehungswesen hineingetragen wurde und auch kulturell prägte. Jüngling bezeichnet das als "intervenierende Solidaritätspolitik" (56). Mit der Wende zu den siebziger Jahren traten die staatlichen Prioritäten (Wirtschaftsbeziehungen und Interesse an dem wie auch immer sich gestaltenden, aber zu erwartenden Ende der Diktatur) hinzu. Anfang 1973 erfolgte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, was nun komplexe, wenn nicht gar widersprüchliche Folgen für die gesamten Verbindungen auf Seiten der DDR hatte. Der FDGB jedenfalls verlor deutlich an Einfluss und Eigenständigkeit, was außenpolitisch relevante Aktivitäten anbelangte. Schließlich nahm nun die Außenpolitik der DDR angesichts der vermehrten Anerkennung als souveräner Staat durch zahlreiche Nationen insgesamt an Fahrt auf. Die Untersuchung schließt mit der "transición" ab 1975 nach dem Tod Francos.
Damit endet die Arbeit etwas abrupt, aber womöglich hatten sich FDGB und die nun legalen Arbeiterkommissionen in den ja noch immerhin fast vierzehn Jahren bis zum Ende der DDR auch nicht mehr viel zu sagen. Dabei zogen nach dem Urteil des Verfassers die Arbeiterkommissionen letztlich den größeren Vorteil aus den Beziehungen, weil die politische Abhängigkeit im Vergleich zu einer Reihe anderer kommunistisch geleiteter Gewerkschaftsbünde gering blieb. Doch insgesamt erwies sich, dass der FDGB sich immer nach den Vorgaben der Partei richten musste und auch in der Spanien-Frage keine selbständige Rolle spielen konnte.
Bedauerlich ist, dass für diese aus den Quellen erarbeitete Untersuchung zwar umfangreiche DDR-Materialien herangezogen, aber - über spanischsprachige Literatur hinaus - keine spanischen Archive ausgewertet wurden. Damit hätte man hinzufügen können, wie sich diese Beziehungen auf spanischer Seite niederschlugen, welches Bild dort von dieser zweiten deutschen Gesellschaft und ihren Institutionen herrschte. Allerdings ist das zugegebenermaßen auch eine wohlfeile Kritik, da das zweifellos - nicht zuletzt angesichts der alles andere als einfachen Quellenlage auf spanischer Seite für jene Jahre der Illegalität - eine beträchtliche Verlängerung der Forschungsarbeit erfordert hätte.
Es handelt sich jedenfalls um eine detaillierte Studie zu einem Aspekt der Außenbeziehungen der DDR, die auch einige Schlaglichter auf deren innere Strukturen wirft. Ob Franco-Spanien allerdings tatsächlich die zweitgrößte Herausforderung in Westeuropa für die DDR - nach der Bundesrepublik - war (9), ist vielleicht doch eine, für einen Autor vielleicht verständliche, Überschätzung des realen Stellenwerts. Man blicke etwa auf die Außenhandelsbeziehungen mit Spanien, auf das außenpolitische Gewicht dieses Landes, im Vergleich gesetzt zu den zwei westeuropäischen Besatzungsmächten in West-Berlin, zugleich ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats. Zudem fehlt für ein solches Urteil ein Überblick über das gesamte Panorama der DDR-Beziehungen zu Westeuropa. Doch zeigt die Arbeit die Bedeutsamkeit auf, die Spanien für die DDR hatte, was sich nicht einfach nur aus einer Außenhandelsstatistik herauslesen lässt, sondern über ein ganz spezifisches historisches Gepäck verfügte. Und sie lässt die Bedeutung dieser transnationalen Beziehung für den Zeitraum spüren, in der die DDR über den Kreis der "sozialistischen Bruderstaaten" und weniger Länder aus der dritten Welt hinaus noch nicht über diplomatische Anerkennung verfügte.
Anmerkung:
[1] Michael Uhl: Mythos Spanien. Das Erbe der Internationalen Brigaden in der DDR, Bonn 2004; Josie McLellan: Antifascism and Memory in East Germany. Remembering the International Brigades 1945-1989, Oxford 2004; Wolfgang Asholt / Rüdiger Reinecke / Susanne Schlünder (Hgg.): Der spanische Bürgerkrieg in der DDR. Strategien intermedialer Erinnerungsbildung, Frankfurt/M. 2009.
Reiner Tosstorff