Rezension über:

Agnieszka Bartoszewicz: Urban Literacy in Late Medieval Poland (= Utrecht Studies in Medieval Literacy; 39), Turnhout: Brepols 2017, XXIV + 484 S., 5 Kt., 8 Farb-, 28 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-56511-8, EUR 120,00
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Rezension von:
Monika Saczynska
Institut für Archäologie und Ethnologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Warschau
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Monika Saczynska: Rezension von: Agnieszka Bartoszewicz: Urban Literacy in Late Medieval Poland, Turnhout: Brepols 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 10 [15.10.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/10/31580.html


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Agnieszka Bartoszewicz: Urban Literacy in Late Medieval Poland

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Der vorliegende Band ist eine leicht veränderte Version der 2012 unter demselben Titel in polnischer Sprache veröffentlichten Arbeit (Piśmienność mieszczańska w późnośredniowiecznej Polsce). Dargestellt werden Präsenz und Funktionsweise von Schrift in polnischen Städten sowie ihre Bedeutung für die soziale Kommunikation in einem Zeitraum von ca. 1400 bis in die 1520er Jahre. Die verschiedenen Erscheinungsformen der Schriftkultur werden dabei als Zeugnisse der jeweiligen Stadtentwicklungsetappen angesehen. Der Untersuchungsraum beschränkt sich auf die Städte des Königreichs Polen und des lehnsabhängigen Herzogtums Masowien. Das Untersuchungsfeld wurde auf die 'lateinische Schriftkultur' in Polen beschränkt (Latein sowie die deutsche und polnische Sprache). Die ruthenische und hebräische Schriftkultur, die ebenfalls im Spätmittelalter in Polen vorhanden waren, wurden dagegen aufgrund der unterschiedlichen Bildungssysteme ausgeschlossen. Dadurch wurde der Fokus auf ein einheitliches Forschungsfeld (Übereinstimmung von Konfession, Bildung und Recht) gerichtet. Bedauerlicherweise wird jedoch an keiner Stelle auf die Zusammenhänge und Transfers zwischen den unterschiedlichen Schriftkulturen eingegangen. Auch fehlen Hinweise zu externen Einflüssen auf die lateinische Schriftkultur. Die östlichen Gebiete Polens, insbesondere die Städte Kleinpolens und Rotrutheniens, waren indessen geradezu für Prozesse der gegenseitigen kulturellen Durchdringung prädestiniert; in Krakaus katholischen Bürgerhäusern hingen etwa ruthenische Gemälde. In diesem Gebiet wurde in der Ikonografie die lateinische Tradition mit der russisch-orthodoxen verknüpft (ein Beispiel unter vielen: die Trinitatiskapelle in der Burg von Lublin).

Die Arbeit besteht aus sieben Kapiteln (cap. 1 und 4 waren in der polnischen Version noch nicht vorhanden). Im ersten Kapitel ('The Urban Network and Late Medieval Poland') wird synthetisch die Entwicklung der städtischen Struktur im spätmittelalterlichen Polen umrissen. Diese zielgruppengerechte Einführung bietet einer breiten Leserschaft eine gute Orientierung zur Stadtentwicklung im Königreich Polen. Im weiteren Verlauf geht es um Produkt/Produzent und Rezipient: also um die Erzeugnisse der Schriftkultur sowie den Urheber (Schreiber) auf der einen, und den Nutzer der Schriftzeugnisse (Bürger) auf der anderen Seite. Dadurch vereint das Kapitel (durchaus geglückt) quellenkundliche und sozialgeschichtliche Erkenntnisse.

Im zweiten Kapitel ('Topography of Urban Literacy') präsentiert die Autorin das städtische Milieu der schriftkundigen Bürger, indem sie das Bildungsniveau und die Bedeutung des Sozialprestiges und den Karriereaufbau schildert. Die von ihr präsentierte Ansicht scheint stellenweise etwas zu optimistisch, war doch die Beherrschung der Schrift allein nicht mit Prestige und gesellschaftlichem Aufstieg gleichzusetzen. Im Laufe der Ausführungen geht die Autorin u.a. auf die pauperes litterati ein, die mit ihren schriftstellerischen Fähigkeiten ihren Lebensunterhalt zu bestreiten suchten. Zu wenig Aufmerksamkeit wird allerdings der sozial-ethnischen Herkunft dieser Schreiber gewidmet: In der Krakauer Stadtkanzlei waren etwa viele Deutsche tätig, welche gerade die Schriften in deutscher Sprache verfassten. Diese Tatsache sowie die Existenz multiethnischer Stadtmilieus bildeten den natürlichen Raum für einen Kulturtransfer.

Im dritten Kapitel ('The Polish Municipial Chanceries and Their Heritage') wird der Kreis um die Stadtkanzlei sowie ihre Schriftkultur wie Stadtbücher, Rechtsbücher und Stadtrechte (Willküren) dargestellt. Es handelt sich um einen soliden und kenntnisreichen Überblick zu den städtischen Institutionen und den Etappen der Stadtentwicklung.

Das vierte Kapitel ('From Vernacular Memory to Written Record: Literate Behaviour and Legal Procedure') thematisiert die Beziehung zwischen der oralen und der schriftlichen Kultur am Beispiel von Rechtshandlungen wie Gerichtsverhandlungen, Handelsgeschäften, Tätigkeiten des Stadtrates, Testamenten etc. Schriftlichkeit gehörte eben neben dem gleichermaßen wichtigen Mündlichen und den Gesten klar zu einer Rechtshandlung dazu; all diese Elemente machten den rituellen Charakter des Geschehens aus (Tätigkeit des Stadtrates, Gerichtsprozess, Testamentseröffnung). Die Autorin berührt hier zwar ein weites Problemfeld hinsichtlich der Präsenz von Schrift in der Kultur des Spätmittelalters, der Beziehung zwischen dem gesprochenen Wort und der Geste bzw. dem Bild und des Problems des visuellen Wertes von Schrift bzw. Dokumentes - diese Spur verfolgt sie allerdings nicht weiter: In der Stadt blieb doch die Beziehung zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort keineswegs nur auf Rechtshandlungen und Rituale der Herrschaftskreise beschränkt. Auch werden die Beziehungsfelder zwischen Oralität und Schriftlichkeit oftmals von denselben Akteuren (also: Geistlichen) bedient, was nicht deutlich thematisiert erscheint.

Im weiteren Teil kommt sie erneut auf die Problematik der schriftkundigen Schicht zu sprechen. Sie geht auf die Beschäftigten der städtischen Ämter ein ('Municipial Clerks') und analysiert deren Pflichten, Qualifikationen, Gehälter sowie ihren gesellschaftlichen Status. Dadurch wird zwar ein detailreiches Bild entworfen, wünschenswert wäre aber doch eine genauere Darstellung der unterschiedlichen Lebenssituationen in den jeweiligen städtischen Zentren des Königreichs Polen. Die geistlichen Schreiber hatten möglicherweise noch weitere Aufgaben wahrzunehmen, wie etwa liturgisch-memoriale oder auch Bestattungspflichten gegenüber Rats- und Zunftsmitgliedern etc., was insgesamt mit dem städtischen Schrifttum in Zusammenhang stand.

Im sechsten Kapitel entwirft die Autorin ('Other Professionals of the Written World in Polish Towns') eine Charakteristik des niederen Personals in den Stadtämtern und der Schreiber im Dienste der Bürger (ministerialis civitatis), also der Notare, Lehrer, Buchhersteller und der verschiedenen pauperes litterati. Sie untersucht dabei die Beziehungen zwischen dem Personal der Stadtkanzleien und dem Personal der übrigen städtischen Ämter, die im Stadtgebiet ihren Sitz hatten, aber andere soziale Gruppen bedienten (Amtskanzlei, Landkanzlei für die Belange des Adels sowie Kirchenämter).

Im Schlusskapitel kommt sie auf die Frage nach Präsenz und Funktionsweise von Schrift im Leben der Bürger zurück ('The Written World in the Life of Polish Town Dwellers'). Sie liefert dabei eine Beschreibung der Schrifterzeugnisse, die den Bedürfnissen des Bürgertums entsprungen waren: Rechnungen, Briefe, Handelsunterlagen, Testamente, Bücher (Lehr-, Rechtsbücher, religiöses und schöngeistiges Schrifttum, geisteswissenschaftliche Werke und suspekte Werke (libri suspecti)). Diese Ausführungen schließt die Autorin mit einem Passus über die weibliche Teilnahme an der Schriftkultur.

Im Gesamtaufbau der Arbeit ist eine gewisse Inkonsequenz unübersehbar: Auf Abschnitte zum Gebrauch von Schrift in der Stadt folgen Teile zu völlig anderen Thematiken. Klarer zusammenhängend erscheinen dagegen die Beschreibungen des Umfelds (Stadt, Kanzlei, cap. 2 und 3) und der Urheber des Schrifttums (cap. 5 und 6) sowie der Funktionsweise von Schrift (cap. 4 und 7).

Die Thematik ist eigentlich zu umfangreich und kaum im Rahmen einer einzigen Monographie zu bearbeiten. Es ist offensichtlich, dass einzelne Stränge teilweise allzu synthetisch behandelt worden sind. Die Publikation ist dennoch das Resultat einer sehr fundierten und soliden Quellenrecherche. Die Autorin führt vielfach Beispiele an und arbeitet mit einem sehr umfangreichen Material. Es handelt sich also um eine solide, gut dokumentierte Übersicht und kann als Einführung in den Forschungsstand der polnischen Geschichtsschreibung zum städtischen Schrifttum sowie als Wissenskompendium zur Struktur der polnischen Städte und der städtischen Netzwerke wärmstens empfohlen werden.

Monika Saczynska