Anke Kaprol-Gebhardt: Geben oder Nehmen. Zwei Jahrzehnte Rückübertragungsverfahren von Immobilien im Prozess der deutschen Wiedervereinigung am Beispiel der Region Berlin-Brandenburg, Berlin: BeBra Verlag 2018, 312 S., 3 s/w-Abb., 12 Tbl., ISBN 978-3-95410-208-2, EUR 38,00
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Mit der Unterzeichnung des Einigungsvertrages am 31. August 1990 trat auch die einige Wochen zuvor beschlossene "Gemeinsame Erklärung zur Regelung offener Vermögensfragen" in Kraft, welche die Vermögensverhältnisse Hunderttausender DDR- und Bundesbürger im wiedervereinigten Deutschland regeln sollte. Die durch die deutsche Teilung und die Eingriffe der SED verursachten vermögensrechtlichen Probleme sollten zukünftig - mit Ausnahme der Enteignungen, die auf besatzungsrechtlicher Grundlage zwischen 1945 und 1949 erfolgt waren - nach dem Prinzip "Rückgabe vor Entschädigung" geregelt werden. Mit etwa 2,2 Millionen gestellten Rückübertragungsansprüchen stellte die Regelung der offenen Vermögungsfragen schließlich eine der zentralen Herausforderungen des wiedervereinigten Deutschlands dar, die bis heute nicht vollständig bewältigt ist. Der Aufbau der öffentlichen Verwaltung sowie die zahlreichen Gerichtsprozesse um Rückgabe- und/oder Entschädigungsforderungen führten zu langjährigen Auseinandersetzungen. Mit der juristischen Aufarbeitung verbunden waren emotionale öffentliche Debatten, die über viele Jahre das Zusammenwachsen der wiedervereinigten Gesellschaft belasteten.
In ihrer Monographie schildert Anke Kaprol-Gebhardt sowohl die Rahmenbedingungen und die Rechtspraxis in der DDR als auch die Verhandlungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik sowie die Restitutionspraxis nach der Wiedervereinigung. Die Grundlage ihrer Recherchen bildet eine Vielzahl von Quellen. Dazu gehören insbesondere jene aus DDR-Ministerien im Bundesarchiv Berlin, aber auch zahlreiche Bundestagsprotokolle, Gerichtsurteile, Zeitungsartikel sowie Interviews mit Betroffenen.
Die Darstellung hat einen ausgeprägten rechtshistorischen Charakter. Die Autorin setzt sich zum einen umfassend mit der Gesetzgebung in der DDR im Hinblick auf dort vorhandene Rechtskonstruktionen wie dem "volkseigenen Boden" auseinander. Auf der anderen Seite stellt sie aber auch dar, wie das Vermögensgesetz nach 1990 aufgrund der offenkundigen Anforderungen immer wieder ergänzt wurde. Deutlich wird dies insbesondere am Beispiel der Nachbesserungen zur Investitionstätigkeit in den neuen Bundesländern: Die schleppende Privatisierung der ehemaligen volkseigenen Betriebe sollte durch Gesetzesinitiativen wie das Investitionsvorranggesetz beschleunigt werden. Die Ansätze von prioritär zu behandelnden Investitionen im Verhältnis zu Rückgabe- oder Entschädigungsansprüchen zeigten, dass das Prinzip "Rückgabe vor Entschädigung" zwar de jure weiter bestehen blieb, unter dem Eindruck der wachsenden wirtschaftlichen Probleme in Ostdeutschland aber zugunsten unternehmerischer Tätigkeiten hintangestellt wurde. Eine offene Abkehr bzw. eine Umkehr des im Einigungsvertrag festgehaltenen Prinzips lehnte die damalige Bundesregierung jedoch unter anderem mit dem Hinweis auf verfassungsrechtliche Gründe ab. Der damalige Bundesjustizminister Klaus Kinkel (FDP) erklärte zudem im Bundestag, dass eine Umkehr zu einer Akzeptanzkrise bei den Alteigentümern geführt hätte - eine Aussage, die deutlich machte, dass "wahlkampftaktische Gründe bei der Entscheidung durchaus eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hatten" (167).
Die Auswahl der Region Berlin-Brandenburg erscheint aufgrund ihrer besonderen Relevanz schlüssig, wies Brandenburg doch mit 637.617 beanspruchten Vermögenswerten die mit Abstand meisten Rückübertragungsansprüche auf dem Gebiet der ehemaligen DDR auf. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die statistische Auswertung des Bearbeitungsstands: In nur knapp einem Fünftel aller Anträge wurde im Sinne der Rückübertragung entschieden, während fast die Hälfte abgelehnt wurde. Beachtet man dabei jedoch, dass es sich bei den Rückübertragungsgrundstücken in vielen Fällen um Mehrpersonenhaushalte gehandelt haben dürfte, waren allein in Brandenburg mehrere hunderttausend Menschen direkt von einem Eigentümerwechsel betroffen.
Mit einer Auswahl von Gemeinden in unmittelbarer Umgebung zu Berlin nimmt die Autorin darüber hinaus verschiedene Konflikte rund um den "deutsch-deutschen Häuserkampf" in den Blick. Anhand der Gründung von Mietervereinen, kommunalen Wohnungsbaumaßnahmen als Ersatz für betroffene Nutzer sowie auch der Gründung einer Partei der "Kleinmachnower Bürger gegen Vertreibung" wird gezeigt, wie sehr die Forderungen nach Rückgabe oder Entschädigung durch westdeutsche Alteigentümer den öffentlichen Raum in den besonders betroffenen Gemeinden der ostdeutschen Bundesländer bestimmen konnten. Da sich die Darstellung insbesondere auf Rückübertragungsverfahren von Wohnhäusern konzentriert, bleibt ein wesentlicher und wichtiger Aspekt der Restitutionsproblematik jedoch außer Acht: Um die Auswirkungen der im Hinblick auf die Investitionsproblematik erfolgten Gesetzesanpassungen sichtbar zu machen, wäre eine exemplarische Untersuchung gewerblicher Unternehmen wünschenswert gewesen. Dies umso mehr, als die Autorin selbst betont, wie sehr Vorfahrtsregelungen für Investitionen auch von ihren Interviewpartnern etwa für die Arbeit von existenzgründenden und ortsansässigen Handwerkern hervorgehoben wurden.
Der Studie von Kaprol-Gebhardt liegt die Frage nach Recht und Gerechtigkeit der durch die Wiedervereinigung etablierten Restitutionspraxis zugunsten der Alteigentümer zugrunde, die ihre im Zuge von Flucht und Vertreibung verlorenen Vermögenswerte nach 1990 entweder zurückerlangen oder zumindest dafür entschädigt werden wollten. Wenngleich eine eindeutige Positionierung in dieser Frage nicht erfolgt (und aufgrund der Komplexität der Vorgänge auch nicht erwartet werden kann), gelingt der Autorin mit ihren Ausführungen am Beispiel der ausgewählten Region ein eindrucksvoller Blick auf einen wichtigen Aspekt der jüngeren Rechtsgeschichte. Die zahlreichen Praxisbeispiele sowie die Darstellung politischer Entscheidungsprozesse vor und nach 1989 ergänzen die bisher erschienene Literatur [1] sowohl um aktuelle zeithistorische Aspekte als auch um erlebnis- und sozialgeschichtlich geprägte Ausführungen. Dabei zeigt die Komplexität der Einzelfälle sehr aufschlussreich den spannungsgeladenen, gesellschaftlichen Integrationsprozess zwischen Ost- und Westdeutschen. Zutreffend konstatiert die Autorin: "Beide Seiten, vor allem aber die Bundesrepublik, unterschätzten die Eigentumsproblematik. Die DDR aus schlechter Gewohnheit ihrer jahrzehntelangen Praxis heraus, die Bundesrepublik aus einer bemerkenswerten Unkenntnis dessen, was sich in der DDR manifestiert hatte." (286)
Anmerkung:
[1] Roland Czada: Das Prinzip "Rückgabe". Die Tragweite des Eigentums. Funkkolleg "Deutschland im Umbruch", Tübingen 1998; Herbert Geisler: Restitution nach der Wiedervereinigung. Vom Unrecht zur Ungerechtigkeit?, Regensburg 2000; Robert Klüsener: Rechtsstaat auf dem Prüfstand. Wiedervereinigung und Vermögensfragen, Münster 2011.
Wolf-Rüdiger Knoll