Magdalena M. Wrobel Bloom: Social Networks and the Jewish Migration between Poland and Palestine, 1924-1928 (= Studies in Jewish History and Memory; 8), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2016, 274 S., ISBN 978-3-631-67503-8, EUR 51,95
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Lange Zeit betrachtete die Forschung die zionistische Einwanderung nach Palästina im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert als ein einzigartiges Phänomen, nicht vergleichbar mit anderen Migrationsbewegungen. Wie auch für viele weitere Aspekte jüdischer Geschichtsschreibung geschehen, wurde diese Einschätzung aber in den letzten Jahrzehnten immer stärker infrage gestellt. Wichtig ist hier insbesondere der israelische Historiker Gur Alroey, der auf die Heterogenität früher zionistischer Einwanderung hinweist und damit verdeutlicht, dass diese bei weitem nicht nur aus idealistischen Pionieren bestand, sondern eine ganze Reihe von Faktoren für die Entscheidung, nach Palästina zu migrieren, eine Rolle spielte. [1]
Aufbauend auf Alroey und anderen einschlägigen Forschungen zielt auch Magdalena M. Wrobel Bloom darauf ab, die Geschichtsschreibung zur zionistischen Einwanderung zu hinterfragen. Sie beschäftigt sich mit der Einwanderung polnischer Juden in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, die als vierte Einwanderungswelle (Allija) bekannt ist. Als Hintergrund für diese Einwanderung werden gemeinhin Reformen im Steuersystem der Zweiten Polnischen Republik unter dem Ministerpräsidenten Władysław Grabski benannt, die vor allem mittelständische Juden empfindlich trafen. Durch diese Reformen in ihren ökonomischen Perspektiven beschnitten, machten sich vor allem Mitglieder des jüdischen Mittelstands auf den Weg nach Palästina. Im Gegensatz zu früheren Einwanderern wurde diesen in der Folge eine fehlende ideologische Motivation unterstellt. Dieser mangelnde Enthusiasmus wird dann gemeinhin auch dafür verantwortlich gemacht, dass in den späten 1920er Jahren eine relativ hohe Anzahl polnischer Migranten Palästina wieder verließ.
In ihrer Studie, die aus einer bereits 2013 an der LMU München verteidigten Dissertation hervorgegangen ist, macht sich die Verfasserin daran, dieses Narrativ zu revidieren. Gestützt auf Erkenntnisse der allgemeinen Migrationsforschung widerspricht sie der Annahme, die ökonomische Krise im Polen der Zwischenkriegszeit und die Einreisebeschränkungen in die USA für jüdische Einwanderer aus Ostmitteleuropa seien ausreichende Erklärungen für diese Migration. Im Gegensatz zu solchen Erklärungsansätzen stellt Wrobel Bloom die weitreichenden Netzwerke polnischer Juden in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung. Außerdem will sie Begriffe wie "Emigranten" und "Immigranten" zugunsten ergebnisoffenerer Beschreibungen aufgeben, denn bei den Akteuren ihrer Studie habe es sich um "transnational migrants, who both emigrated and immigrated multiple times" gehandelt (248). Damit hinterfragt sie gleichzeitig die starren zeitlichen Einteilungen zionistischer Geschichtsschreibung.
Wrobel Bloom zeichnet diese Migrationsprozesse anhand umfangreicher Quellenstudien nach, die nicht nur die zionistische Presse in Polen wie in Palästina und öffentliche Deklarationen, sondern vor allem auch private Aufzeichnungen und Korrespondenzen von Migranten selbst umfassen. Dabei gelingt es ihr, ein differenziertes Bild dieser Netzwerke wie auch der vielschichtigen sozialen und kulturellen Spannungen zwischen Neueinwanderern und bereits in den zionistischen Siedlungen etablierten Kräften nachzuzeichnen. Über die sorgfältige Analyse von Bevölkerungsstatistiken stellt die Verfasserin außerdem bisher verbreitete Annahmen überzeugend infrage; wie etwa diejenige, die fehlende ideologische Überzeugung der polnischen Einwanderer sei für die hohen Rückwanderungszahlen in den späten 1920er Jahren verantwortlich zu machen. Indem sie den gesamten Migrationsprozess in den Blick nimmt und sich nicht auf Ankunft und Leben ihrer Akteure in den jüdischen Siedlungen beschränkt, macht Wrobel Bloom darüber hinaus auf die transnationalen Dynamiken der jüdischen Gemeinschaften in Polen und Palästina aufmerksam.
Zu bedauern ist der Dissertationscharakter des Buches, dem eine gründliche Überarbeitung durchaus gutgetan hätte. Überblicksdarstellungen zu Beginn der Studie sowie eher oberflächlich gehaltene Diskussionen zur Kritik der benutzten Quellen hätten gekürzt und zugespitzt werden können. Der durchaus spannende Blick auf zionistische Informationskampagnen in der polnisch-jüdischen Presse (Kapitel 2) ist zu grobschlächtig und fördert damit vor allem die zu erwartenden Narrative zutage. Spannender wäre hier die Frage gewesen, wie sich diese Narrative auf die Migranten und deren Selbstbilder auswirkten. Auch hätten die mittlerweile umfangreiche allgemeine Literatur zu Migration, sowie seit dem Abschluss der Dissertation erschienene Werke zu jüdischen Migrationsbewegungen, noch sorgfältiger eingebunden werden können. [2] Dem Verlag ist die schlechte Qualität der abgedruckten Schaubilder anzukreiden, die zum Teil die dort vermittelten Informationen unkenntlich macht (etwa die genaue Aufteilung verschiedener Visa-Kategorien, 129).
Nichtsdestotrotz gelingt es Wrobel Bloom, eine Vielzahl interessanter Erkenntnisse über die in der israelischen Geschichtsschreibung immer noch mit vielen Mythen behaftete vierte Einwanderungswelle anhand individueller Schicksale zutage zu fördern und teleologische Darstellungen jüdischer Migration zwischen Ostmitteleuropa und Palästina zu hinterfragen. Damit leistet die Autorin gleichzeitig einen wichtigen Anstoß für weitere historiografische Unternehmungen.
Anmerkungen:
[1] Gur Alroey: An Unpromising Land. Jewish Migration to Palestine in the Early Twentieth Century, Stanford 2014.
[2] So etwa der Schwerpunkt zu Migration in: Eastern European Jewish Affairs 44 (2014), 2-3, mit wichtigen Beiträgen von Jonathan Dekel-Chen, Eli Lederhendler, Frank Wolff, Kenneth B. Moss und Anna Liphardt, deren migrationstheoretischen Erkenntnisse der Studie wichtige Impulse hätten geben können.
Daniel Mahla