Rita Binz-Wohlhauser: Katholisch bleiben? Freiburg im Üchtland während der Reformation (1520-1550), Zürich: Chronos Verlag 2017, 287 S., ISBN 978-3-0340-1401-4, EUR 48,00
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Freiburg im Üechtland galt und gilt gemeinhin als Aushängeschild des Schweizer Katholizismus, und dies nicht erst, seit dort 1889 die erste Universität der katholischen Schweiz gegründet wurde. Bereits die Chronisten des 16. und vor allem des 17. Jahrhunderts zeichneten das Bild eines katholischen "Bollwerks" gegen die Reformation. Vor diesem Hintergrund mag die im Titel des zu besprechenden Buches aufscheinende Frage, ob die katholische Kontinuität Freiburgs womöglich weniger selbstverständlich und zwangsläufig war als gemeinhin angenommen, zunächst überraschen. Bei genauerem Hinschauen zeigt sich aber, dass die katholische Positionierung Freiburgs tatsächlich erklärungsbedürftig ist, denn erstens waren in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts viele Ratsherren verwandtschaftlich mit Berner und Zürcher Familien verbunden, und zweitens kongruierten die geopolitischen Interessen der Saanestadt in jener Zeit stärker mit denen des protestantischen Bern als mit jenen der katholischen Orte der Innerschweiz, die ihre Machtpolitik vor allem gegen Süden ausrichteten.
Rita Binz-Wohlhauser möchte mit ihrem Buch - das Ergebnis eines am Staatsarchiv Freiburg angesiedelten und vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Forschungsprojektes - zu einer Neubewertung der Geschichte Freiburgs in der Reformationszeit anregen. Es geht ihr darum, "lokale und regionalgeschichtliche Forschungslücken im Zeitraum von 1520-1550 zu schließen und gängige Thesen zu Freiburgs Umgang mit der Reformation zu evaluieren" (14). Dabei stellt sie, anders als die ältere Lokalgeschichtsschreibung, nicht so sehr das Ergebnis, sprich die katholische Identität Freiburgs, in den Vordergrund, sondern schildert den Prozess, der zum Beharren beim alten Glauben geführt hat. Diesem Anliegen verpflichtet wertet Binz-Wohlhauser Ratsprotokolle und andere (obrigkeitliche) Quellen aus und kann auf dieser Grundlage die teils spärlichen Kenntnisse der Lokalgeschichtsschreibung zur Reformation in Freiburg revidieren.
In einem ersten, ereignisgeschichtlich ausgerichteten Hauptkapitel beschreibt Binz-Wohlhauser neben dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext die Mächtekonstellation in der Region und in der Eidgenossenschaft, auf die Freiburg sein politisches Handeln abzustimmen hatte (Kapitel 2). Bemerkenswert ist die Erkenntnis, dass es dem Freiburger Rat bereits im 15. Jahrhundert gelungen war, kirchliche Jurisdiktionsrechte an sich zu ziehen und eine weitgehende Kontrolle über den Ordensklerus einzufordern (30-32). Dass der Freiburger Rat sich deshalb als legitimer Verfechter der bestehenden kirchlichen Ordnung verstand und jedwedes Infragestellen des katholischen Kirchenverständnisses als Angriff auf die eigene Autorität interpretierte, ist eine interessante These, die im zu besprechenden Buch sogar noch etwas mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, zumal Binz-Wohlhauser dem Rat insgesamt einen entscheidenden Einfluss auf die konfessionelle Weichenstellung zugesteht.
Anders als es die ältere Lokalgeschichtsschreibung vermittelt, stellte Freiburg trotz der Disziplinierungsversuche der Obrigkeit kein hermetisch abgeriegeltes Bollwerk des Katholizismus dar. Auch in Freiburg fanden die reformatorischen Ideen Anklang (Kapitel 3). Was die Gruppe der Reformationsbefürworter betrifft, so hat sich diese laut Binz-Wohlhauser nicht, wie vielfach zu lesen ist, auf einen Humanistenzirkel rund um Peter Falck (gest. 1519) beschränkt, ja es sei überhaupt fraglich, ob man von einem Freiburger Netzwerk von Gelehrten beziehungsweise humanistisch gebildeten Ratsherren sprechen könne (80-84; 256-258). Stattdessen verortet sie die Befürworter reformatorischen Gedankenguts zum einen im niederen Weltklerus, zum anderen in der einfachen Stadt- und Landbevölkerung, die zunehmend ins Visier obrigkeitlicher Maßnahmen gegen die Verbreitung reformatorischen Schrift- und Gedankenguts geriet. Inwiefern die einfache Bevölkerung aber tatsächlich die reformatorischen Ideen rezipierte, bleibt (nicht nur quellenbedingt) in manchen Punkten unklar. Hier hätte sich - auch methodisch - ein vergleichender Blick in die Forschungsliteratur zur reformatorischen Bewegung in Italien gelohnt. [1]
Mit der profession de foi von 1527 (und nicht 1524, wie Binz-Wohlhauser nachdrücklich betont) stand dem Freiburger Rat eine rechtliche Grundlage zur Verfügung, um gegen reformatorisches Gedankengut ebenso wie gegen mangelnde Frömmigkeitsbezeugungen (zum Beispiel gegen das Nichteinhalten des Fastengebots) vorzugehen (Kapitel 4). Allerdings waren die entsprechenden Maßnahmen weniger repressiv und kompromisslos, als es die ältere Forschung angenommen hatte: Zu einem Todesurteil wegen "lutherischer Ketzerei" sei es nur einmal gekommen, ohne dass dieses jedoch vollstreckt worden sei, so Binz-Wohlhauser. Auch in den konfessionell geprägten Auseinandersetzungen in den gemeinsam mit Bern verwalteten Herrschaften Grasburg-Schwarzenburg, Murten, Orbe-Echallens und Grandson ging es weniger um Fragen der letzten Glaubenswahrheit als vielmehr um Machtansprüche und um die Aufteilung von Kirchenressourcen (Kapitel 5).
Binz-Wohlhauser kann zeigen, dass viele der stereotypen Urteile über Freiburg in der Reformationszeit auf die katholische Historiografie des 17. bis 19. Jahrhunderts zurückgehen (Kapitel 6). Chronisten wie Heinrich Fuchs (1624-1689) betrieben "katholische Profilbildung" (220), indem sie die Kontinuität des Katholizismus mit einer ebenso besonderen wie kompromisslosen Frömmigkeit der Freiburger Ratsherren zu erklären suchten. Binz-Wohlhauser kritisiert diese Interpretation zwar zu Recht, doch letztlich nimmt auch sie (quellenbedingt) eine obrigkeitliche Perspektive ein und erklärt das längerfristige Ausbleiben der Reformation mit den disziplinierenden Maßnahmen seitens der Obrigkeit: "Da sich die Lebensführung vieler Räte, Stadtbürger und Kleriker nicht mit den Vorgaben der Freiburger Glaubensartikel deckte, initiierte der Rat im Sommer 1542 eine umfassende Disziplinierung" (111). Hier wie andernorts erscheint der Rat als unpersonale, nach eigenen Logiken handelnde Institution, die auch schon mal gegen die eigenen Mitglieder vorgeht. Angesichts solcher Aussagen hat es den Rezensenten schon etwas erstaunt, dass im Buch weder ältere noch neuere Debatten der Konfessionalisierungsforschung rezipiert werden, zumal sie nun schon seit mehreren Jahrzehnten staatszentrierte Perspektiven auf Reformation und katholische Reform hinterfragen. Ebenfalls keine Erwähnung finden neuere Forschungen zu konfessionellen Grenzüberschreitungen, an die sich das Buch insofern als anschlussfähig erwiesen hätte, als es zu Recht darauf verweist, dass in den Jahren 1520 bis 1550 in konfessioneller Hinsicht noch manches offen und die konfessionelle Grenze noch nicht eng gezogen war.
Wichtig zu wissen ist, dass es sich nicht um eine Qualifikationsschrift handelt. Das merkt man sowohl an der fehlenden Situierung im erweiterten Forschungskontext als auch an der methodisch wenig ausgefeilten Konzeption des Buches. Gemessen am eigenen Anspruch, eine Lücke in der Lokalgeschichtsschreibung füllen zu wollen, vermag das Buch aber dennoch zu überzeugen: Es liefert eine erfrischend neue Sicht auf die Lokalgeschichte Freiburgs, indem es stereotype historiografische Narrative aufdeckt und das Bewahren des katholischen Glaubens nicht als von vornherein feststehendes Ergebnis darstellt.
Anmerkung:
[1] Siehe etwa Silvana Seidel Menchi: Erasmus als Ketzer. Reformation und Inquisition im Italien des 16. Jahrhunderts, Leiden 1993; Massimo Firpo: Juan de Valdés and the Italian Reformation, Farnham 2015.
Philipp Zwyssig