Klaus Weschenfelder (Hg.): CRANACH IN COBURG. Gemälde von Lucas Cranach d. Ä., Lucas Cranach d.J., der Werkstatt und des Umkreises in den Kunstsammlungen der Veste Coburg, Regensburg: Schnell & Steiner 2018, 239 S., ISBN 978-3-7954-3254-6, EUR 39,95
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Nach einer ganzen Reihe von Ausstellungskatalogen mit Cranach-Bezug seit 2015, die ihrem Zweck folgend naturgemäß eher populären Charakter haben, ist die Fachwelt reflexartig versucht, die vorliegende Publikation als weiteren Baustein des momentanen Cranach-Hypes zu verbuchen, dessen wissenschaftliche Relevanz eher sekundär ist. Das steigende Interesse an der "Firma Cranach", die uns wohl deshalb so fasziniert, weil sie als Erfolgsgeschichte eines frühmodernen Selfmade-Millionärs scheinbar deutsche Tugenden hochhält, ist jedoch aus anderen Gründen durchaus berechtigt. Kein Malerhandwerker der frühen Neuzeit hat mehr Werke hinterlassen als Cranach, dessen Söhne noch mindestens zwei weitere Generationen aktiv waren. Die Fülle an Werken und Themen sowie der stilbildende Einfluss auf die Kunst nördlich des Alpenkamms haben eine systematische Aufarbeitung des Gesamtwerks bislang verhindert. Stattdessen hat die Kunstgeschichtsschreibung früh damit begonnen, Einzelaspekte zu einem interpretativen Überbau zusammenzuführen, der sich lediglich im Mythos des "Reformationsmalers" manifestierte, den sozialgeschichtlichen Aspekt aber weitgehend unberücksichtigt ließ. Daneben kam aus dem wachsenden Kunstmarkt die Frage nach der Eigenhändigkeit der Einzelwerke auf, die von Experten mit voneinander abweichenden Zuschreibungen beantwortet wurde und bis heute wird. Nicht zuletzt die Museen tragen zu diesem Zerrbild bei, wenn sie je nach Ausstattung an Werken mit Cranach-Bezug im eigenen Interesse eher für als gegen eine Eigenhändigkeit ihrer Ausstellungsstücke votieren.
Umso erfreulicher ist der Ansatz des Autors Klaus Weschenfelder, seine langjährige Arbeit als Leiter der Coburger Kunstsammlungen mit einem Bestandskatalog der in Coburg verwahrten Werke mit Cranach-Bezug abzuschließen. Der Katalog, der den Hauptteil des Buches umfasst, gliedert sich motivisch und hätte damit die Gefahr möglicher Fehleinschätzungen, die durch traditionell angewandte chronologische Sortierung zwangsläufig entstehen, vermeiden können (28). Wenn der Autor, wie bei vielen Katalognummern geschehen, die Zuschreibungen überholter Forschung zitiert (32), aktuelle Forschungsmeinung allerdings unberücksichtigt lässt, geraten die durchweg nicht referenzierenden Zuschreibungen und Datierungen in den wissenschaftlich nicht haltbaren Bereich wertender Beliebigkeit. Wenn die unkommentierte Zuschreibung "Lucas Cranach d. Ä. (1472-1553) und Werkstatt" (32) im ausführlicheren Begleittext teilweise einschränkend kommentiert wird: "Cranachs wohl von eigener Hand mitgestalteter [...]" (35), lässt dies eher die wohl-Wortherkunft "gewollt" durchblitzen als den Versuch wissenschaftlicher Genauigkeit. Überhaupt ist die gewählte, und auch von einigen anderen Experten verwendete Terminologie einer präzisierenden Händescheidung durch den Zusatz "und Werkstatt" besonders im Falle Cranachs als problematisch anzusehen. Unzweifelhaft ist durch den belegten Betrieb einer mitarbeiterstarken und damit arbeitsteilig organisierten Werkstatt jedes Werk ein Produkt der Werkstatt, egal, ob es im Ganzen, in Teilen vom Meister oder ausschließlich von Mitarbeitern Cranachs geschaffen wurde. Ob und mit welchem Anteil der Meister selbst beteiligt war, lässt sich bis heute dagegen nicht mit ausreichender wissenschaftlicher Genauigkeit konstatieren. Ein Werk darf deshalb auch dann nicht als wissenschaftlich anerkannt gelten, wenn der überwiegende Teil der Forscher es für ein eigenhändiges Werk hält, ohne dass ein unumstößlicher Nachweis erbracht werden kann.
Selbst wenn der Autor in seinem Katalog der tradierten, kennerschaftlich motivierten Arbeitsweise folgt, soll hier nicht die Wichtigkeit seiner vorgelegten Arbeit geschmälert werden, sondern vielmehr sollen Chancen aufgezeigt werden, die moderne Kommunikationsmedien und Untersuchungsmethoden bieten, wenn sie sich einem auf Nachweis basierten methodologischen Arbeitsprinzip unterordnen. Klaus Weschenfelder stellt kenntnisreich wichtige Daten für die Forschung zur Verfügung und ermöglicht so, die Grundlagen für weitergehende auswertende Arbeit zu schaffen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Daten zusammen mit entsprechenden Hinweisen im Text künftig digital in die zur Verfügung stehenden virtuellen Arbeitsebenen übernommen werden können, um sie nicht nur persistent verfügbar, sondern auch unmittelbar nutzbar zu halten.
Einleitend findet sich ein Essay unter dem Titel "Cranach in Coburg" (7), das sich mit dem frühen Wirken Cranachs in Coburg zwischen 1506 und 1507 beschäftigt, einem Zeitraum, der geprägt war durch eine ganze Anzahl von cranach'schen Holzschnitten, die Coburg gleich zweimal im Bildhintergrund zeigen. Der zeitgleich datierte Katharinenaltar (13) zeigt ebenfalls die Veste in Coburg und belegt neben den archivarischen Quellen die Verbindung Cranachs zu Coburg. Klaus Weschenfelder arbeitet zusätzlich die Sammlungsgeschichte des Coburger Bestands heraus (20) und weist in seinem Fazit (23) auf eine Sammlung mit "beachtlicher Bedeutung" hin. Eine Konkordanzliste (231) und ein Literaturverzeichnis (232) runden die Publikation ab.
Nach Durchsicht des Katalogs wird der Leser feststellen, dass zusätzlich ein Aufsatz (209) mit dem Titel "Von Gotha in die ganze Welt - Die Fürstenserie des Monogrammisten IS" in den Bestandskatalog aufgenommen wurde. Manuel Teget-Welz behandelt darin ausführlich die Hintergründe der Entstehung und Provenienz von den ehemals 27 Porträtdarstellungen, die nach Bildnissen aus der Cranach-Werkstatt entstanden sind und von denen im 19. Jahrhundert sechs Tafeln aus Gotha nach Coburg gelangten. Ob es zusätzlich zu den Katalogeinträgen (Kat.-Nr.: 30-36) einer derart ausführlichen Betrachtung des Monogrammisten IS innerhalb eines Bestandskatalogs der Coburger Werke bedurfte, obliegt der Entscheidung des Lesers.
Insgesamt legt der Autor ein Werk vor, das der Cranach-Forschung durchaus informativen Mehrwert bieten kann, sofern er das Analog-Medium Buch als Informationsquelle bevorzugt. Die meist ganzseitigen Farbabbildungen sind durchweg gut reproduziert und ermöglichen einen detaillierten Überblick über die behandelten Werke, wenngleich sie an die hochauflösenden Digitalisate der Internetdatenbanken nicht heranreichen können. Diesbezüglich hätte auf die Abbildung von Infrarotreflektogrammen verzichtet werden können, die in der hier möglichen Auflösung keinerlei verwertbare Bildinformationen mitbringen.
Michael Hofbauer