Marco Vendittelli: Mercanti-banchieri romani tra XII e XIII secolo. Una storia negata (= I libri di Viella; 281), Roma: Viella 2018, 431 S., ISBN 978-88-6728-992-9, EUR 39,00
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Der Unternehmungslust der römischen Bankiers setzt dieses materialreiche Buch ein eindrucksvolles Denkmal. Auf gut 300 Seiten (weitere 100 Seiten nehmen das Quellen- und Literaturverzeichnis und ein sorgfältig angelegtes Personen-Ortsregister ein) präsentiert Marco Vendittelli eine summa seiner langjährigen Forschungen zu den stadtrömischen mercatores. Ein erster Teil (25-166) behandelt in zwölf Kapiteln ökonomische und soziale Aspekte, welche die Tätigkeit dieser vornehmlich als Kreditgeber arbeitenden Kaufleute charakterisierten. Der zweite Teil (169-329) konzentriert in insgesamt 69, chronologisch nach Erstbelegen geordneten Artikeln alles, was der Autor zu einzelnen mercatores, Verwandtengruppen oder Familien zusammentragen konnte. Der Nachteil einer solchen Bauweise liegt darin, dass sie zum einen Wiederholungen unvermeidlich macht und zum anderen durch die dominierende prosopografische Perspektive dazu verleitet, die historische Analyse in einer Aneinanderreihung quellengesättigter Fallbeispiele aufgehen zu lassen. Gewiss liegt eine hohe, nach Vollständigkeit strebende Quellendichte beim Textgenre des Personenartikels (also im zweiten Teil) in der Natur der Sache, doch färbt diese Darstellungsweise auch auf die thematisch orientierten Kapitel des ersten Teils ab. Das Problem der Wiederholungen bleibt zwar mit Hilfe von gut dosierten Querverweisen unter Kontrolle; allerdings könnten Leser, die sich nicht speziell für bestimmte römische Familien und nicht für die Details des hochmittelalterlichen Kreditgeschäfts interessieren, angesichts der Fülle der ausgebreiteten Quellenzeugnisse die Geduld verlieren.
Aber von vorne: Ziel ist, mit den mercatores der Stadt Rom eine von der Forschung bisher unterschätzte ("una storia negata") Personengruppe zu rekonstruieren, die sich im Lauf des 12. Jahrhunderts zu den Hauptkreditgebern der Päpste und vor allem der Kurienbesucher aufschwang und bis etwa 1250 in vielen europäischen Ländern operierte. Möglich wurde ihre Tätigkeit durch den Kapitalimport, für den die seit dem Frühmittelalter zahlreich nach Rom strömenden Besucher gesorgt hatten. Die sozialgeschichtlich zur römischen militia zählenden mercatores profitierten im 12. Jahrhundert vom steigenden Finanzbedarf wie von den steigenden Gebührenforderungen der Kurie, vom Aufbau des Patrimonium Petri, von der Expansion der römischen Tiberhäfen und nicht zuletzt auch von einer Reihe stadtrömischer Päpste (Clemens III. bis Gregor IX., 1188-1241). Zu ihnen gehörten bekannte Familien wie die Ilperini, Papazzurri oder Boveschi, daneben aber viele andere, die erst durch Vendittellis Studien hervortreten. Die Fragestellung zielt nicht darauf, ein neues Kapitel in der Geschichte der mittelalterlichen Finanzwirtschaft zu schreiben, sondern zur römischen Sozialgeschichte beizutragen und das in der Mediävistik verbreitete Bild der wirtschaftlichen und sozialen Bedeutungslosigkeit des hochmittelalterlichen Rom zu korrigieren. Außerdem soll eine Erklärung dafür gefunden werden, warum sich die römischen Bankiers ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts aus dem internationalen Geschäft zurückzogen, von italienischen Konkurrenten verdrängt wurden, das Kreditgeschäft aufgaben und vielfach sozial absanken.
Nach einer Eingrenzung des hier in Betracht kommenden Personenkreises - es geht um professionelle Kreditgeber, im Unterschied zu den gelegentlich nachweisbaren Händlern von Kleinkrediten einerseits und den Adelsfamilien andererseits, die aus politischen Gründen hin und wieder Geld an Mächtige verliehen - behandelt Vendittelli die folgenden Aspekte: Beziehungen der mercatores zur Kurie, ihr weiteres Operationsfeld (vor allem die Märkte der Champagne, England, aber auch Spanien, Deutschland und Skandinavien), die Kreditnehmer (neben Prälaten, Klöstern und Kirchen waren das auch Könige, Fürsten und Kommunen) sowie die vielfältigen schriftlichen Aufzeichnungen, welche die Kreditgeschäfte dokumentierten und sicherten (oder sichern sollten).
Eigentliche Kaufmannsschriften gab es noch nicht, dafür aber viele Notars- und Kanzleiurkunden sowie Prozessakten. Besonders letztere haben zahlreiche direkte oder indirekte Spuren hinterlassen, ein Indiz dafür, dass das Kreditgeschäft riskant war: Es kam trotz Garantien von Kardinälen und päpstlicher Interventionen oft zum Streit, der nicht nur Schuldner, sondern auch Gläubiger ins Gefängnis bringen konnte. Kein Wunder, dass der Zinssatz für die meist nur wenige Monate laufenden Darlehen bei über 20% lag. Auch ohne über Kaufmannsarchive verfügen zu können, entlockt Vendittelli den Urkundensammlungen römischer Kirchen, den Papstregistern und vor allem den Archiven der Empfänger oder der für die Empfänger zuständigen Herrscher eine beträchtliche Menge an Nachrichten. Auf den Spuren seiner mercatores arbeitet er sich bis weit in die europäische Peripherie vor, nutzt neben italienischen auch englische, französische, deutsche und spanische, auch unedierte Urkunden mitsamt der zugehörigen Forschungsliteratur, einschließlich der deutschen (unerwähnt bleiben allerdings die Beiträge von Andreas Fischer zu den Kardinälen des 13. Jahrhunderts). [1] Mehr kann man, so der Gesamteindruck, für die römischen Bankiers im Momemt nicht tun, selbst wenn sich hier und dort künftig noch neue Hinweise auf ihre europaweiten Aktivitäten finden sollten.
Aus seiner reichen, fast überreichen Sammlung von Fallgeschichten erschließt Vendittelli verschiedene Faktoren, die den Niedergang der römischen mercatores in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erklären könnten (161-166). Die Ablösung der stadtrömischen Päpste (nach Gregor IX.) durch auswärtige Pontifices, die lockere Organisation der römischen Bankiers in temporären societates und nicht in festen Firmen, die Neigung, Profite in Landeigentum in der römischen Campagna und nur ausnahmsweise in produktive Gewerbe wie die Tuchherstellung zu investieren - all das sind wichtige, aber nicht ausschlaggebende Ursachen. Den Hauptfaktor für den Rückzug der mercatores von der europäischen Bühne identifiziert Vendittelli im Aufstieg des römischen Baronaladels: Durch ihren im 13. Jahrhundert wachsenden Einfluss an der Kurie gelang es den großen Adelsfamilien, den Annibaldi, Orsini, Colonna usw., die Finanz- und Personalpolitik der Päpste ihren eigenen Interessen anzunähern. Dadurch wurden die mercatores verdrängt oder in die Klientelen der baroni gezwungen.
Das Buch ist ein Markstein für die Sozialgeschichte der römischen Eliten im Hochmittelalter und gewährt überdies viele interessante Einblicke in die (Finanz-)beziehungen zwischen Papstkurie und Peripherie. Der Verfasser versteht es, beim Leser Sympathie für die mercatores zu wecken, die häufig unter zahlungsunwilligen Schuldnern zu leiden hatten und letztlich Opfer der baroni wurden. Zu dieser Botschaft steht die Widmung zu Beginn des Buches (übersetzt: "Allen Opfern des illegalen oder legalisierten Wuchers") in einem merkwürdigen Widerspruch. Nach der Lektüre würde man eher einen Satz erwarten wie "Allen Wucherern - denn auch sie hatten es oft nicht leicht".
Anmerkung:
[1] Andreas Fischer: Kardinäle im Konklave. Die lange Sedisvakanz der Jahre 1268 bis 1271, Tübingen 2008; Ders.: Die Kardinäle von 1216 bis 1304: zwischen eigenständigem Handeln und päpstlicher Autorität, in: Geschichte des Kardinalats im Mittelalter, hgg. v. J. Dendorfer / R. Lützelschwab, Stuttgart 2011, 155-224.
Thomas Frank