Franz-Reiner Erkens: Sachwalter Gottes. Der Herrscher als christus Domini, vicarius Christi und sacra majestas. Gesammelte Aufsätze. Zum 65. Geburtstag herausgegeben von Martin Hille, Marc von Knorring, Hans-Christof Kraus. Unter Mitarbeit von Andreas Fohrer (= Historische Forschungen; Bd. 116), Berlin: Duncker & Humblot 2017, 564 S., ISBN 978-3-428-15222-3, EUR 119,90
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An der erst 1978 gegründeten Universität Passau hat Franz-Reiner Erkens den Großteil seiner beruflichen Laufbahn verbracht. Nach Studien in Köln folgte er seinem akademischen Lehrer Egon Boshof nach Passau, einer Universität, der er zunächst als "Mittelbauer" und - nach einem zehnjährigen Intermezzo in Leipzig - seit 2003 auch als Professor die Treue hielt. Einer der zentralen, wenn nicht überhaupt "der" zentrale Forschungsgegenstand Erkens' war und ist das Problem des Verhältnisses von Herrschaft und Sakralität. Diesem Thema widmete er eine beeindruckende Fülle grundlegender Abhandlungen, zunächst in Gestalt einer 2006 erschienenen Monografie zum Thema. [1] Doch auch in der Folgezeit setzte sich Erkens immer wieder mit der Problematik auseinander und weitete den Untersuchungsrahmen bis ins späte Mittelalter hinein aus. Anlässlich seines 65. Geburtstages wurden nun viele der einschlägigen Artikel in einer Aufsatzsammlung zusammengeführt. Das ist überaus bequem, freilich kann der Rezensent den in solchen Publikationen stets anzutreffenden Topos von "partiell weit verstreut publizierten und nicht immer leicht greifbaren Beiträgen" (5) nur bedingt nachvollziehen. In Zeiten effizienter elektronischer Fernleihen ist nur sehr weniges tatsächlich "nicht greifbar".
In jedem Artikel zeigt sich das besondere Spezifikum von Erkens' Schreibstil: exakte Begrifflichkeit paart sich dabei mit einer strikten Präzision des Ausdrucks, was dazu führt, dass auch komplexe Themen ohne den inzwischen üblich gewordenen, rezeptionserschwerenden Sprachschwulst klar dargestellt werden. Erkens bleibt stets gut verständlich.
Die 18 abgedruckten Beiträge, die durch ein Register erschlossen werden, gliedern sich in fünf große Kapitel (I. Grundlegendes; II. Religiöse Herrschaftslegitimierung; III. Das sakrale Reich; IV. Religiöse Herrschaftslegitimierung im späteren Mittelalter; V. Überblick und Ausblick).
Im einleitenden Beitrag (Herrschersakralität. Ein Essai, 13-30) wird der Boden für das Nachfolgende bereitet. Erkens bekennt (und wer würde hier nicht zustimmen!), dass Vorstellungen von Herrschersakralität "schwankend [sind] und die Sache selbst schwer zu fassen" (13). Denn in der Tat: Begriffe wie "Sakralkönigtum" oder "Sakralkönig" haben in den Quellen des Mittelalters keine Entsprechung, sie sind bloße "Hilfsbegriffe zur sprachlichen Erfassung eines bestimmten Sachverhalts" (13). Gleichwohl stehen Herrscher in religiösen Bezügen, besitzen eine besondere Stellung innerhalb der göttlichen Weltordnung und verfügen deshalb über ein ganz eigenes Verhältnis zum Numinosen: diesem Sachverhalt sollte ein Name gegeben werden. "Herrschersakralität" ist mithin ein Vereinbarungs- und deshalb auch in besonderem Maße ein Deutungsbegriff, dessen Verwendung zugleich Interpretation bedeutet. Erkens fragt danach, welche Vorstellungen das Mittelalter auf ein Phänomen anwandte, das heute unter dem Begriff "Herrschersakralität" firmiert und erläutert dies anhand eines vergleichenden Beispiels, das auch in vielen der folgenden Beiträge eine Rolle spielt. In den Blick genommen werden die englischen und französischen Herrscher des späten Mittelalters, bei denen sich das an die Herrschersakralität gebundene Aufgabenspektrum in den Bereich des Thaumaturgentums hin weitete - ein Thaumaturgentum, das eine Folge, nicht die Ursache königlicher Sakralität war. Erkens warnt zu Recht davor, diese perspektivische Verengung absolut zu setzen und damit der Gefahr zu erliegen, einem monokausalen Verständnis der Zusammenhänge das Wort zu reden. Die Versuchung ist groß, doch sollte Herrschersakralität beispielsweise niemals allein vor dem Hintergrund von Legitimationsstrategien begriffen werden: "Die Sakralität von Königen und Kaisern ist geglaubte Wirklichkeit und nicht nur ein Mittel der Herrschaftslegitimierung gewesen." (20)
Den Todesstoß versetzen der Herrschersakralität weder Humanismus noch Reformation, sondern die Aufklärung. In England wurde die letzte Skrofelheilung 1714 vollzogen, in Frankreich von einem selbst an seinen Fähigkeiten zweifelnden König Karl X. 1825.
Erkens luzide Ausführungen zur sakral legitimierten Herrschaft im Wechsel der Zeiten und Räume (69-95) münden in die bedenkenswerte (und nicht unwidersprochen gebliebene) Erkenntnis, dass die "weltweite und zeitenüberdauernde Erscheinung sakral legitimierter Herrschaft nicht nur ein ethnologisches Phänomen ist, sondern ebenfalls eine anthropologische Konstante darstellt." (95) Erkens weist so nicht von ungefähr auf die englische Monarchie hin, wo anlässlich der Krönung Elisabeths II. 1953 sakrale Elemente in Fülle in Erscheinung traten und man in wohl nicht mehr allzu ferner Zukunft gespannt darauf sein darf, welches dieser Elemente sich als derart stabil erweisen wird, um auch angesichts eines dramatischen Bedeutungsverlustes des Christentums im Allgemeinen, der anglikanischen Kirche im Besonderen weiterhin eine legitimierende Rolle zu spielen.
In einem weiteren Grundlagenartikel (Vicarius Christi - sacratissimus legislator - sacra majestas. Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter, 255-300) wird der Versuch unternommen, Kriterien zu benennen, die erfüllt sein müssen, um überhaupt von einem sakral legitimierten Königtum sprechen zu können. Und auch hier wird einmal mehr vor jeder Eindimensionalität in der Betrachtung gewarnt, setzten sich doch Wirken und Vorstellung von Königtum und Königsherrschaft immer aus verschiedenen, durchaus auch orts- und zeitgebundenen Elementen zusammen. Bei aller Diversität: stets vorhanden sind "im Prinzip gleichartige Vorstellungen von einem besonderen Nahverhältnis des Königs zu Gott" (278), mitunter dadurch verstärkt, dass der Herrscher der festen Überzeugung war, als göttliches Abbild gleichsam ein Gott auf Erden zu sein. Das Papsttum sorgte seit dem hohen Mittelalter dafür, dass sich derartige Vorstellungen nicht im Anspruch der Herrscher verdichten konnten, dem Priesterstand anzugehören. Dies änderte freilich nichts an der Tatsache, dass dem Herrscher ein Anteil an der gesellschaftlich-sazerdotalen Aufgabe der Seelenleitung zukam.
Mit Blick auf das späte Mittelalter werden letztere Aspekte in einem weiteren Beitrag noch einmal entfaltet (Heißer Sommer, geistliche Gewänder und königliche Siegel: Von der Herrschersakralität im späten Mittelalter, 359-374). Gezeigt wird, wie wichtig Aspekte der kaiserlichen Gewandung waren: Friedrich III. etwa weigerte sich bei der weihnachtlichen Evangelienlesung, das Pluviale nach Art der Diakone zu tragen und rückte das Pluviale mit eigener Hand zurecht, sodass sich die Mantelöffnung vor der Brust befand. Damit war dann auch die gekreuzte Stola sichtbar: beides wurde nach Art der Priester getragen. Diese priestergleiche Selbststilisierung setzte sich auch auf den Siegeln fort.
Erkens nimmt seine Kritiker (Jens Ivo Engels an erster Stelle) ernst und setzt sich mit ihren Bedenken hinsichtlich einer inflationären Verwendung des Begriffs "Sakralkönigtum" ebenso auseinander wie mit dem Vorwurf, die Selbstinszenierung des Monarchen und die Aussagen der Theoretiker würden zu sehr für bare Münze genommen und damit das jeweils Spezifische historischer Machtkonstellationen und -konzepte vernachlässigt.
Eines dürfte im Laufe der Lektüre von immerhin 18, thematisch einschlägigen und eng miteinander verzahnten Artikeln deutlich geworden sein: Erkens operiert ausgesprochen reflektiert mit Begrifflichkeiten wie dem vom "Sakralkönigtum" und wird nicht müde, immer wieder auf die Zeit- und Ortsgebundenheit von Überlegungen hinzuweisen, die sich mit Aspekten der im und vom Herrscher repräsentierten Macht beschäftigen.
Anmerkung:
[1] Franz-Reiner Erkens: Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006.
Ralf Lützelschwab