Nicholas Attfield: Challenging the Modern. Conservative Revolution in German Music, 1918-1933 (= A British Academy Monograph), Oxford: Oxford University Press 2017, X + 222 S., 4 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-726613-7, GBP 75,00
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Ob der CSU-Politiker Alexander Dobrindt auch an das Musikleben dachte, als er vor etwas mehr als einem Jahr für eine neue "Konservative Revolution" warb, ist nicht überliefert, ja, es scheint überhaupt zweifelhaft, ob er so genau wusste, in welche Traditionslinie er sich begab. Die öffentliche Debatte, die er mit seiner Forderung lostrat, koinzidierte jedenfalls mit einer neuen wissenschaftlichen Aufmerksamkeit für die Geschichte des Konservatismus, wie sie sich auch in Nicholas Attfields Studie Challenging the Modern: Conservative Revolution in German Music 1918-33 manifestiert.
Der britische Musikwissenschaftler bedient sich explizit der umstrittenen Wendung von der konservativen Revolution und weitet sie im Anschluss an Armin Mohler (und ganz in dessen Sinne) über das rein politische auf das musikalische Feld aus. Attfield weist allerdings Mohlers Gedanken einer konservativen Bewegung zurück und reduziert die Revolution mit explizit kleinem "k" zu einem rein heuristischen Begriff. Er nutzt ihn, um verschiedene Ausprägungen musikalischer Konservatismen in der Weimarer Zeit zu untersuchen. Musik als traditionsreiche, zugleich visionäre Kunst, so Attfield, eigne sich hervorragend, um die Widersprüchlichkeiten aufzudecken, die in der Wendung der konservativen Revolution angelegt waren.
Attfield geht es in erster Linie - und ein Stück weit konträr zum Buchtitel - darum, das alte Narrativ von den reaktionären "Vätern" (Strauss, Pfitzner, Graener etc.) und den jungen wilden "Söhnen" (Hindemith, Weill, Eisler etc.) ebenso zu entkräften wie die Einteilung der Komponisten in demokratische Avantgarden auf der einen und demokratiefeindliche Antimodernisten auf der anderen Seite. Attfields Erkenntnisinteresse in seinen vier Fallstudien zum Komponisten Hans Pfitzner, zum Musikpublizisten Alfred Heuss, zur Entstehung des Bruckner-Kults in der Musikwissenschaft sowie zum Bruckner-Forscher und Musikpädagogen Alfred Halm zielt deshalb auch stärker auf revolutionäre und zukunftsgewandte Ideen seiner Protagonisten und deren Musik, denn dass vor allem Heuss und Pfitzner stramme Rechte waren, die die Weimarer Republik ablehnten, ist hinlänglich bekannt.
Herauskommt dabei kein einheitliches Bild eines musikalischen Konservatismus, sondern eher ein Mosaik aus Ideen und Diskursen, in denen mal mehr und mal weniger deutlich eine gemeinsame Arbeit am Aufbau eines neuen deutschen Volkes eingefordert wird. Am Anfang steht Hans Pfitzners Wirken im Übergang zur Republik. Attfield zeigt, wie Thomas Mann zum wichtigsten Anwalt für Pfitzners Musik wurde, ehe die enge Freundschaft Mitte der 1920er-Jahre aufgrund Manns Läuterung zum Republikaner zu Bruch ging. Während Pfitzner in jener Zeit radikal gegen Futuristen und sonstige musikalische Neutöner polemisierte und ihnen unter anderem "musikalische Impotenz" vorwarf, rückt Attfield dessen eigene Werke trotzdem in ein neues, explizit zukunftweisendes Licht. Insbesondere Pfitzners Kantate "Von deutscher Seele" deutet der Musikwissenschaftler als Paradestück einer konservativen Revolution, das ganz im Mann'schen Sinne konservatives Gedankengut musikalisch ausdrücke und Pfitzner so zum Leuchtturm deutscher Zukunft prädestiniert habe.
Am Wirken des Musikkritikers Alfred Heuss wird sodann deutlich, wie disparat die musikalischen Konservativen waren. Heuss, der 1921 die Leitung der Zeitschrift für Musik übernahm, schoss gegen Modernisten wie Franz Schreker und Paul Hindemith genauso scharf wie gegen die Etablierten Richard Strauss oder sogar Hans Pfitzner, an dessen genannter Kantate er kein gutes Haar ließ. Attfields These, wonach Heuss mit der Übernahme der Zeitschrift eine gemeinschaftliche Arbeit am "Wiederaufbau" deutscher Musik und der "Wiedergeburt" des deutschen Volkes verrichten wolle, bleibt allerdings etwas blass. Jenseits der Auseinandersetzungen mit den genannten Komponisten - diejenige mit Hindemith lohnt allein das Kapitel schon wegen dessen aberwitziger Postkartenzeichnung samt frechem Brief, den Attfield in einem Anhang transkribiert und übersetzt hat - bleibt von Heuss' revolutionärer Agenda kaum mehr als die Überzeugung übrig, dass eine bessere Zukunft sich nur aus der Besinnung auf die weit glorreichere musikalische Vergangenheit ergeben könne.
Die dritte Fallstudie widmet sich dem aufziehenden Kult um den Komponisten Anton Bruckner. Detailliert wird der Prozess der Mystifizierung des Linzer Orgelkantors durch verschiedene Musikwissenschaftler zur Leuchtfigur der erneuerten deutschen Nation nachgezeichnet. Besonders akzentuiert wird hier die Rolle des jüdischen Musiktheoretikers Ernst Kurth, der Bruckner ähnlich wie seine nationalistischen und antisemitischen Kollegen als Mystiker und heilsbringenden Anführer der kommenden Revolution oder wenigstens einer neuen Kultur porträtierte. In der vierten und letzten Fallstudie steht der Komponist, Bruckner-Forscher und Musiklehrer August Halm im Mittelpunkt, der im musikalischen Zweig der Jugendbewegung aktiv wurde und sich, gleichfalls mit Bruckner im Ohr, für eine "dritte Kultur" zwischen Bach und Beethoven stark machte. Halm hatte bereits vor dem Ersten Weltkrieg gemeinsam mit Gustav Wyneken am Aufbau der Freien Schulgemeinde Wickersdorf mitgewirkt und kehrte 1920 dorthin zurück. Im Gegensatz zu reformpädagogischen Ansätzen des tätigen Entdeckens und der kindlichen Eigeninitiative, welche in der Regel mit der Schule in Verbindung gebracht werden, betont Attfield Halms musikpädagogische Überlegungen, Führungsfiguren für das deutsche Volk von morgen zu formen. Der Clou beider Kapitel ergibt sich aus der ungewöhnlichen Anbindung von Kurth und Halm an das konservative Lager und dessen Zukunftsvorstellungen, was jeweils zu überzeugen vermag.
Und dennoch lässt den Leser der Schluss der Studie zum Verbleib der Figuren und deren Ideen im Nationalsozialismus etwas ratlos zurück. Sicherlich, Attfield möchte explizit nicht in Mohlers Fußstapfen treten und eine Ehrenrettung des konservativen Musikmilieus vornehmen. Ebenso wenig geht es ihm darum, Verstrickungsgrade mit dem NS-Regime festzustellen, was auch wenig Sinn ergeben hätte angesichts Halms vorzeitigem Tod 1929 und Heuss' Ableben fünf Jahre später. Stattdessen steht das nationalsozialistische Eintreten für die vier Protagonisten nach 1933 im Zentrum des Epilogs. Dass Heuss' Ansichten von seinem Zögling, dem Musikkritiker Fritz Stege, weiter propagiert wurden, war jedoch genauso zu erwarten wie Pfitzners Krönung zum wahren "deutschen" Komponisten oder ein noch intensiver praktizierter Bruckner-Kult. Einzig die maßgeblich durch Wyneken beförderte Würdigung von Halm als durch und durch deutschen Musiktheoretiker und Komponisten hätte überraschen können, wenn diese Pointe nicht schon vorher einmal ganz ähnlich gesetzt worden wäre. So bleibt es vor allem Attfields Verdienst, den musikalischen Konservatismus im deutschen Musikleben der 1920er und 1930er-Jahre genauer ausdifferenziert zu haben; wünschenswert wäre es gewesen, die immer wieder aufblitzenden Widersprüchlichkeiten innerhalb dieses Lagers am Ende systematisch zu fassen, nicht zuletzt auch im Hinblick auf ihren vermeintlich revolutionären Gehalt.
Martin Rempe