Hans Dieter Zimmermann: Theodor Fontane. Der Romancier Preußens, München: C.H.Beck 2019, 458 S., 18 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-73437-3, EUR 28,00
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"Herzenspreuße" [1] oder "Chronist Preußens" [2], so rühmen politische oder historische Magazine den Schriftsteller Theodor Fontane. Für Hans Dieter Zimmermann, emeritierter Professor für Literaturwissenschaften an der TU Berlin, ist Fontane schlichtweg "Der Romancier Preußens", wobei dem Untertitel seiner soeben erschienenen Biografie nicht zu entnehmen ist, ob er die Betonung auf den Artikel oder das Nomen legt. Der Weg dorthin, daran lassen seine Kapitelüberschriften indes keinen Zweifel, war lang und beschwerlich. Nach "Lehrjahre[n]" (13) als Apotheker folgten "Wanderjahre" (119) als Journalist, und selbst in den "Meisterjahre[n]" (267) als Schriftsteller hatte Fontane manche Krise zu bestehen.
Geboren am 30. Dezember 1819 im brandenburgischen Neuruppin, übte der Spross einer hugenottischen Familie "aus Verlegenheit" (20) zunächst den Beruf seines Vaters aus - Apotheker: erst in Berlin, dann in Burg, Leipzig, Dresden und Letschin, schließlich wieder in Berlin. Früh entwickelte Fontane den Ehrgeiz, Poet zu werden, schloss sich 1841 in Leipzig "Freiheitsdichtern" an (72), trat 1843 dem konservativen literarischen Berliner Verein "Der Tunnel über der Spree" bei und webte mit ersten Dichtungen "am Ruhm des in der Schlacht unbesiegbaren Brandenburg-Preußen" (74).
Nachdem er sich im "Schicksalsjahr" 1849 (125) dem Journalismus zugewandt hatte, stempelte Fontane die Hohenzollern-Monarchie zum Hindernis für ein freies Deutschland. Die evidenten Widersprüche zwischen preußenverehrenden Balladen und preußenkritischen Artikeln erklärt Zimmermann damit, dass Fontane "nie auf einen einfachen Nenner" gebracht werden konnte (77) und eben kein "verbohrter Preuße" gewesen sei (121). Immerhin aber ließ sich Fontane 1852 von der regierungsamtlichen "Preußischen Zeitung" für einige Monate als Korrespondent nach London schicken. Nach der Rückkehr an die Spree diente er der Centralstelle für Presseangelegenheiten und verfasste zugleich Literaturkritiken, in denen er den Realismus als "Bewegung der Zeit" beschrieb (147). Wenn Fontane damals betonte, dass "auch die Politiker nach 'dem wirklichen Bedürfnis' sähen und nicht in ihren 'Vortrefflichtkeitsschablonen' dächten" (147), erinnert das an Otto von Bismarcks berühmtes Wort: "Wir müssen mit den Realitäten wirthschaften und nicht mit Fictionen". [3] Interessant wäre es zu erfahren, ob Fontane das den Zeitgeist erfassende, 1853 erschienene Buch August von Rochaus über die Realpolitik kannte. [4]
1855 ging der Journalist abermals nach London und schrieb dort zahlreiche Artikel vor allem für Berliner Zeitungen. 1859 wechselte er als fester Redakteur zur erzkonservativen "Kreuz-Zeitung", sah sich aber politisch als Nationalliberaler, der "nationale[n] Tönen" jedoch abhold blieb (244). Seine in den 1860er-Jahren verfassten Berichte von den Schauplätzen des deutsch-dänischen, des preußisch-österreichischen und des deutsch-französischen Krieges lassen laut Zimmermann jeden "preußische[n] Hurra-Patriotismus" (230) vermissen.
Weil die "Knechtsarbeit" bei der "Kreuz-Zeitung" ihm nicht die erhoffte Anerkennung einbrachte und sie außerdem keinerlei Altersversorgung garantierte (250), verließ Fontane das Blatt und heuerte 1870 als Theaterkritiker bei der liberalen "Vossischen Zeitung" ab. Obwohl er sich schon seit dem 1863 veröffentlichten zweiten Band der "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" wie ein "Schriftsteller" fühlte (195), begann für Fontane dem Urteil Zimmermanns zufolge erst jetzt, mit gut 50 Lebensjahren, die Zeit der "eigentlichen literarischen Arbeiten" (253). Doch auch in diesen "Meisterjahre[n]" (267) war er im Privaten wie im Beruflichen vor Krisen nicht gefeit, sehnte sich trotz aller Erfolge bis zum Ende seines Lebens vergeblich nach der Wertschätzung durch die "offiziellen und offiziösen Kreise der preußischen Hierarchie" (293).
Zimmermann schildert all die Stationen des harten, reichen Lebens von Fontane dicht an dessen literarischem Werk entlang und lässt dabei neben den großen Romanen und Balladen auch die Reiseberichte, Kriegstagebücher, Theaterkritiken, Gedichte und Briefe ausführlich zu Wort kommen. Den recht bescheidenen selbstgesetzten Anspruch, seinen Lesern den 1898 verstorbenen Schriftsteller "ein wenig verständlicher [zu] machen" (432), erfüllt seine Lebensbeschreibung über alle Maßen. Wenngleich die Biografie ausdrücklich "kein Beitrag zur Forschung" sein will (432), erlaubt sich der Rezensent dennoch zwei Ausstellungen: die selektive Literaturliste [5] und die neuere Forschungserkenntnisse kaum einbeziehenden Urteile über das Kaiserreich und dessen ersten Kanzler. War der Krieg gegen Österreich 1866 wirklich Bismarcks "eigentliches Ziel" (231)? Handelte es sich bei der "Schandtat" des Kulturkampfes (309) tatsächlich um einen "systematische[n] Kampf des Staates gegen die katholische Kirche" (308)? Und war in der Gründung des Deutschen Reiches 1871 unzweifelhaft "schon der Grund für sein Ende gelegt" (243)?
Anmerkungen:
[1] Bettina Musall: Der Herzenspreuße, in: DER SPIEGEL Geschichte 3/2013 http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelgeschichte/d-96654034.html.
[2] https://www.geo.de/magazine/geo-epoche-kollektion/97-rtkl-geo-epoche-kollektion-der-chronist-preussens-theodor-fontane.
[3] An Leopold von Gerlach, 2. Mai 1857, in: Otto von Bismarck: Die gesammelten Werke (Friedrichsruher Ausgabe, Bd.14/I), Berlin 1933, 468.
[4] August Ludwig von Rochau: Grundsätze der Realpolitik, angewendet auf die staatlichen Zustände Deutschlands, Stuttgart 1853.
[5] So hat der Verfasser offenbar u.a. die maßgebliche Biografie über Otto von Bismarck von Lothar Gall: Bismarck. Der weiße Revolutionär, Frankfurt am Main / Berlin / Wien 1980, ebenso wenig zur Kenntnis genommen wie Hans-Jürgen Perrey: Fontane und Bismarck. Eine Erzählung, Winsen / Weimar 1998.
Ulrich Lappenküper