Karl-Heinz Gersmann / Oliver Grimm (eds.): Raptor and human - falconry and bird symbolism throughout the millennia on a global scale. Publication in considerable extension of the workshop at the Centre of Baltic and Scandinavian Archaeology (ZBSA) in Schleswig, Neumünster: Wachholtz Verlag 2018, 4 Bde., 1957 S., ISBN 978-3-5290-1490-1, EUR 198,00
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Die Kunst, mit Vögeln zu jagen, geht etliche Jahrtausende zurück. Viel genauer ließen sich die Anfänge der Falknerei bisher freilich nicht bestimmen. Während weitgehend unbestritten ist, dass die Beizjagd in der griechischen und römischen Antike nicht praktiziert wurde, standen sich bezüglich der Herkunft dieser Jagdform bisher unterschiedliche Narrative gegenüber. Hans J. Epstein ortete sie in einer einflussreichen, 1943 publizierten Studie in den mesopotamischen Reichen, während der Ethnologe Jürgen Warmbier die Falknerei in den späten 1950er Jahren als originäre Erfindung schriftloser zentralasiatischer Steppenkulturen beschrieb. Von ihrem Ursprungsort ausgehend, habe sich die Jagd mit abgerichteten Greifvögeln allmählich verbreitet und in der Völkerwanderungszeit schließlich auch Europa erreicht.
Es ist nur eines von vielen Verdiensten des hier zu besprechenden Werks, sich von solchen vereinfachenden Narrativen von Ursprung und Ausbreitung der Falknerei zu lösen, die kürzlich von der UNESCO als immaterielles Welterbe deklariert wurde. Vielmehr wird von den Herausgebern die Möglichkeit vielfacher, untereinander nicht zwingend verbundener Herausbildungen und Erscheinungsformen dieser Jagdform explizit offengelassen. Denn was ungeachtet der Herkunftsfrage vor allem auffällt, ist die enorme Fülle von Schrift- und Bildquellen sowie materiellen Überresten zur Beizjagd über die gesamte eurasische Landmasse hinweg. Diese breite empirische Basis sowie der darauf aufbauenden Forschungserkenntnisse wird in diesem mit knapp 2000 großformatigen Seiten in jeder Hinsicht gewichtigen Werk erstmals systematisch zusammengetragen, mit Perspektiven auch in den transatlantischen Raum.
Das Kollektivwerk, das teilweise auf einen 2014 in Schleswig ausgerichteten Workshop zurückgeht, versammelt Beiträge von mehr als hundert Autorinnen und Autoren aus zahlreichen Disziplinen - unter anderem Archäologie, Archäozoologie, Biologie, Kunstgeschichte, Literaturgeschichte, Linguistik und Geschichte. Die Länge der Beiträge variiert erheblich von wenigen Seiten bis zum Umfang kleinerer Monographien. Bezüglich der Anordnung wählten die Herausgeber eine eher an systematischen Gesichtspunkten orientierte Struktur. Wer sich etwa für die Repräsentation und Praxis der Falknerei im Europa des 13. Jahrhunderts interessiert, muss daher sämtliche vier Bände zur Hand nehmen. Die synoptischen Darstellungen im ersten Band sowie Schlüsselfragen am Beginn der einzelnen Kapitel und vorangestellte Abstracts zu den einzelnen Beiträgen erleichtern aber die Orientierung erheblich. Den sehr reich illustrierten Bänden darf damit durchaus das Prädikat "leserfreundlich" attestiert werden.
Angesichts der Materialfülle sieht sich der Rezensent mit der Unmöglichkeit konfrontiert, hier eine Zusammenfassung zu liefern, geschweige denn den teilweise äußerst fundierten Einzelbeiträgen in irgendeiner Weise gerecht zu werden. Es sei ihm deshalb erlaubt, nur einige wenige, zwangsläufig perspektivengebundene Leseeindrücke mitzuteilen. So fällt etwa auf, dass archäologische Beiträge insbesondere zum nordeuropäischen Raum relativ viel Platz einnehmen - zweifellos bedingt durch die disziplinäre Verortung des Mitherausgebers Oliver Grimm. Dem diesbezüglich unkundigen Leser eröffnen sich hier spannende Einblicke in die Sozialgeschichte früherer (Eliten-)Kulturen und deren Beziehungen zu Greifvögeln, die sich aus Knochenfunden in Wikingergräbern, aber auch auf den Dunghaufen hoch- und spätmittelalterlicher Burganlagen erschließen lassen.
Der tiefe Fall des Jagdfalken vom vielgepriesenen König der Lüfte zum völlig nutzlosen, nicht einmal für Essenszwecke geeigneten toten Körper wurde in der mittelalterlichen Literatur sprichwörtlich, wie Baudouin Van den Abeele in einem schönen Beitrag aufzeigt. Überhaupt hat die Geschichte der Beziehungen zwischen Menschen und Greifvögel stets ein Doppelgesicht von praktischer Nutzung und symbolischer Aneignung: Während vor dem Aufkommen präziser Jagdgewehre Habichte, Falken oder - in Zentralasien - auch Adler tatsächlich über lange Zeiträume die geeignetste "Waffe" für die Jagd auf Rebhühner, Hasen oder gar Rehe darstellten, wurden sie schon früh auch zu einem Medium der Herrschaftsrepräsentation - eine Dimension, die in Europa ein Fortleben der Falknerei über das 17. Jahrhundert hinaus sicherstellte. Allerdings veränderte sich mit der "Verhöflichung" der Falknerei auch die Jagdpraxis und deren Repräsentation erheblich, wie der instruktive Beitrag von David Horobin andeutet.
Die Beziehungsgeschichte von "Raubvogel und Mensch" ist ambivalent und wechselhaft. Manche Greifvögel wurden als wertvolle Güter gehandelt und intensiv umsorgt, andere aber auch als Schädlinge bekämpft. Da es bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zu keiner Domestikation im eigentlichen Sinne kam - Falken wurden stets von Neuem als Wildtiere gefangen und anschließend abgerichtet -, wirkte sich die Falknerei nur sehr begrenzt auf die Morphologie und Ethologie der Vogelpopulationen aus. Erst infolge der modernen Agrarrevolutionen wurden diese mehr und mehr dezimiert, sodass schließlich Schutzmaßnahmen und Aufzuchtprogramme notwendig wurden. Jene Vögel, die heute im Dienst von Falknern jagen oder andere Vögel von Flughäfen vertreiben, wurden unter menschlicher Aufsicht aufgezogen. Sie teilen mit ihren Vorfahren damit weit weniger, als die Rede von der ungebrochenen Tradition der Falknerei über die Jahrtausende hinweg suggeriert.
Das vorliegende Gesamtwerk distanziert sich von solchen werbewirksamen Erzählungen weniger durch eine gezielte Auseinandersetzung als vielmehr durch viel kühle Empirie und Detailarbeit. Manche mögen dabei eine Synthese vermissen, zumal die Beiträge zahlreiche Bezugspunkte für ein durchaus reizvolles Unterfangen hergäben: eine Globalgeschichte aus der Vogelperspektive. Diese wäre eine Geschichte der Zirkulation und der Co-Evolution von Menschen und Tieren, eine Geschichte von interkulturellen Beziehungen und lokalen Adaptationen, eine Geschichte von bis in den Himmel reichenden Herrschaftsansprüchen, aber auch von den Grenzen menschlicher Gestaltungsmacht. Unter diesem Blickwinkel wird das Werk auch für tier-, umwelt- oder allgemein kulturgeschichtlich interessierte Leserinnen und Leser zu einer erhellenden Lektüre. Für die Geschichte der Falknerei handelt es sich zweifellos um ein neues Standardwerk, das Maßstäbe für alle künftige Forschung setzt.
Nadir Weber