Bertrand Marceau: Exercer l'autorité. L'abbé de Cîteaux et la direction de l'ordre cistercien en Europe (1584-1651) (= Bibliothèque d'Histoire Moderne et Contemporaine; 58), Paris: Editions Honoré Champion 2018, 745 S., 17 Kt., ISBN 978-2-7453-4653-7, EUR 150,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Amélia P. Hutchinson / Juliet Perkins / Philip Krummrich et al. (eds.): The Chronicles of Fernão Lopes. Translated by R. C. Willis, Philip Krummrich, Juliet Perkins, Iona McCleery, Francisco Fernandes, Shirley Clarke, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2023
Monique Goullet: Corpus Christianorum: Hagiographies VI. Histoire internationale de la littérature hagiographique latine et vernaculaire en Occident des origines à 1550, Turnhout: Brepols 2014
Alexander Loose (ed.): Compilatio singularis exemplorum, Turnhout: Brepols 2021
Die Zisterzienserforschung blüht. Nach wie vor sind es aber die Anfänge im 11. und 12. Jahrhundert, die das Gros der Forschungsaktivitäten bündeln. Das, was die Geschichte des Ordens im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit ausmachte, blieb in den letzten Jahren zwar nicht gänzlich unbeachtet, wartet aber immer noch mit vielerlei weißen Flecken und Unschärfen auf. In diese Forschungslücke stößt Bertrand Marceau mit der überarbeiteten Fassung seiner 2013 an der Sorbonne verteidigten Dissertation vor. Behandelt werden Stellung und Einfluss des Abtes von Cîteaux im Zeitraum zwischen 1584 und 1651. Der terminus a quo (1584) der Arbeit ergibt sich dabei zum einen aus der Sukzessionskrise im Königreich, zum anderen aus dem Rückzug von Nicolas Boucherat (1571-84) von der Ordensleitung und der Wahl von Edme de la Croix (1584-1604) als seinem Nachfolger. Der terminus ad quem (1651) hingegen markiert das Ende weitgreifender Ordensreformen, in die nicht nur die Äbte, sondern vor allem auch Kardinal Richelieu eingebunden waren.
Als Generaläbte des gesamten Ordens bewegten sich die Vorsteher des Mutterhauses in Cîteaux im Spannungsverhältnis zwischen "service de Dieu" und "service du prince". Die Herausforderungen waren gewaltig: Religionskriege und Kommendenwesen hatten der Vitalität der Zisterzienser insbesondere in Frankreich zugesetzt. Die den Bestimmungen der Carta caritatis zuwiderlaufende Errichtung von Kongregationen entlang nationaler Grenzen war ebenfalls alles andere als hilfreich, um den katholischen, d. h. allumfassenden Anspruch des Ordens aufrechtzuerhalten. Die fortschreitende Ausbildung eines nationalen Bewusstseins machte es für den Abt von Cîteaux immer schwieriger, Einfluss auf Klöster fernab der burgundischen Kernlande zu nehmen, ohne sich dem Vorwurf unangemessener Einmischung in Angelegenheiten "fremder Mächte" auszusetzen. Wie gelang es nun dem Generalabt, den Gesamtorden zu leiten? Wie weit reichten seine Befugnisse und Vollmachten? In den Blick rücken Fragen nach Autoritätskonzepten im regulierten Milieu ebenso wie solche nach den institutionellen (Vor-)Bedingungen abbatialen Handelns.
Die Arbeit ist in zwei große Teile (I. La réforme monastique (1584-1622); II. La réforme cardinalice (1622-1651)) mit insgesamt vier Kapiteln untergliedert. Widmet sich der erste Teil den vom Orden selbst initiierten und verwirklichten Reformen, richtet sich der Blick im zweiten Teil auf die dem Orden von außen aufgezwungenen Reformen mit den Kardinälen de La Rochefoucauld und Richelieu im Zentrum. Aufgrund seiner außerordentlichen Bedeutung wird zunächst das Generalkapitel von 1601 ausführlich behandelt. Bereits die Zeitgenossen nannten es "le Grand Chapitre". Marceau beschreibt eindrücklich, mit welchen Herausforderungen der Abt von Cîteaux im Vorfeld zu kämpfen hatte. Schutzgeldzahlungen, extreme Steuerforderungen, Plünderungen hatten zu einer existenzbedrohenden Leerung der Kassen geführt. Die Bereitschaft der Klöster, durch Zuwendungen an das Mutterkloster Cîteaux gleichzeitig auch die zentralen Ordensinstitutionen wie das Generalkapitel oder den Generalprokurator in Rom zu unterstützen, war kaum vorhanden. Gezeigt wird, welche Gefahren die fortschreitende Verfestigung von Kongregationsstrukturen zeitigen konnte. Mitunter waren die Kontakte zur Ordenszentrale in Cîteaux ausgesprochen lose, manches Mal kappte man sie ganz, um völlig unabhängig agieren zu können.
Seit der 1477 vollzogenen Eingliederung Burgunds - und damit von Cîteaux - in das Königreich Frankreich, leistete der Abt von Cîteaux dem französischen König den Treueid. Als Generalabt kam ihm jedoch die Aufgabe zu, das supranationale Ganze des Ordens im Blick zu behalten. Es gab Äbte, die diesen Spagat besser als andere bewältigten. Welche Art von Spannungen sich daraus tatsächlich ergeben konnten, demonstriert Marceau ebenso breit wie anschaulich anhand des Kapitels von 1601 - von der Einberufung über die Zusammenkunft selbst bis hin zu den gefällten Beschlüssen und ihrer Rezeption. In seinen Beschlüssen spiegeln sich die Transformationen im Zuge des Konzils von Trient wider: die Entstehung zisterziensischer Kongregationen, die Ausbildung einer strengen Observanz, die Neudefinition von Filiation entlang von Provinzgrenzen, die Auseinandersetzungen des Abtes von Cîteaux mit den Primaräbten um die Neuausrichtung des Ordens. Das Generalkapitel, zu dem sich im Mai 1601 nicht weniger als 55 Äbte einfanden, wurde als Chance begriffen, "de réformer non pas une partie de l'ordre, mais le corps dans son ensemble" (109).
Eugen IV. war 1438 der erste, der den Abt von Cîteaux als Generalabt bezeichnete, unklar blieb freilich, welche Machtbefugnisse mit diesem Titel verbunden waren. Handelte es sich um eine Art Ehrentitel (wovon man insbesondere in Clairvaux und Morimond ausging), oder um ein Amt mit eigenen Machtbefugnissen - ein Amt gleichsam monarchischen Zuschnitts, wovon beispielsweise Edme de la Croix überzeugt war? Er sah sich im Zentrum der monastischen Reform, der er insbesondere mit dem Mittel der Visitation zum Durchbruch verhelfen wollte. Hochinteressante Seiten werden der Beschreibung seiner Visitation der spanischen Klöster nach dem Generalkapitel 1601 gewidmet. Dort traf er 1603/4 insbesondere bei den Zisterziensern Kastiliens auf erbitterten Widerstand. Die spanische Kirche, vor allem ihr regulierter Teil, spielte eine wichtige Rolle in den Reformvorhaben des spanischen Königs - eine Einmischung von außen lief dem zuwider. Marceau zitiert breit aus dem Briefverkehr des spanischen Königs mit seinen Gesandten am Heiligen Stuhl, aus demjenigen des französischen Königs mit der Kurie und natürlich aus demjenigen des Generalabtes mit unterschiedlichen Empfängern. So entsteht ein ausgesprochen plastisches Bild der unterschiedlichen politischen Gemengelagen.
1604 wurde Nicolas II. Boucherat Abt von Cîteaux und löste sich von den monarchisch geprägten Herrschaftskonzepten seines Vorgängers. Er leitet den Orden zwar autoritär, suchte aber stets die Rückbindung an die Primaräbte. Bei der Neuordnung der Finanzen agierte er äußerst geschickt und griff mehr als einmal auf ein Netzwerk einflussreicher Persönlichkeiten zurück, um seinen (zumeist zu Recht bestehenden) Forderungen Nachdruck zu verleihen.
Der Generalabt war immensem Druck von Seiten des Königs in Fragen der Abtsernennungen ausgesetzt. Oft ging es darum, in Abteien, in denen der Abt bisher (mehr oder minder) frei gewählt werden konnte, Kommendataräbte zu installieren. Als Günstlinge des Königs hing deren Herz aber weniger am regulierten Leben als an den Einkünften, die ein Kloster generieren konnte.
Unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Gewichtung von officium divinum, Schweigen, Fasten und Handarbeit im Kloster führten zur Entstehung und Festigung zweier Observanzen, von denen die allgemeine (communis) an der Tradition (mit ihren Lockerungen der ursprünglichen Regel) festhielt, während die strengere ein beachtliches Maß an Austerität einforderte und durchsetzte und eine Rückkehr zum Buchstaben der Regel befürwortete. Eigentlich (und Marceau weist darauf hin) handelt es sich bei der "strengen" Observanz noch nicht um das, was später Armand de Rancé in La Trappe praktizieren und für Aufsehen sorgen sollte, sondern um eine Art "regulierter" Observanz - sie war ein innerfranzösisches Phänomen. In diesem für den Orden schwierigen Moment machte sich der Einfluss von François de la Rochefoucauld (†1645), "théologien de peu d'envergure et mal doué pour l'art oratoire" (277), immer stärker bemerkbar. Seit 1622 Apostolischer Kommissar für die Reform des Regularklerus, versuchte der Kardinal die traditionellen Macht- und Verwaltungsstrukturen innerhalb des Ordens aufzubrechen. Die Ablehnung, die ihm dabei entgegenschlug, war so groß, dass er selbst bald wieder in die zweite Reihe zurücktreten musste.
Der vermeintliche Erfolg war für den Orden jedoch teuer erkauft, musste doch der neue Generalabt Pierre Nivelle mit Kardinal Richelieu einen der machtbewusstesten und -gierigsten Männer seiner Zeit zu Hilfe rufen. Der neue Titel eines "chef generalissime, restaurateur, reformateur et protecteur de tout l'ordre de Cisteaux" (398) dürfte Richelieu gefallen haben. Er sorgte auch dafür, dass Nivelle als Abt resignieren und auf den Bischofsstuhl von Luçon abgeschoben werden konnte. Dem bereits beeindruckenden Portfolio von Abteien, denen er als Kommendatarabt vorstand, fügte Richelieu diejenige von Cîteaux hinzu. Die letzte Anerkennung in Form einer päpstlichen Bestätigungsbulle blieb ihm zwar verwehrt, dies hinderte ihn aber nicht daran, Reformen in Angriff zu nehmen. Das hervorstechendste Ergebnis dieser Tätigkeit bestand wohl in der Einführung der strengen Observanz in Cîteaux selbst. Erst nach seinem Tod Ende 1642 sollten sich die Machtverhältnisse im Orden neu ordnen.
Die Fülle des ausgewerteten Quellenmaterials ist beeindruckend (zu einer Auflistung vgl. 674-678). Nicht immer kann der Autor allerdings der Versuchung widerstehen, dieses mühsam gesammelte und brillant ausgewertete Material in seinen ganzen Verästelungen vor dem Leser auszubreiten. Im Dickicht von Namen und Ereignissen verirrt man sich schnell. Doch auch wenn dies (gelegentlich) geschehen mag, wird man sich immer noch am rhetorischen Raffinement und Sprachgefühl des Autors erfreuen. Mit anderen Worten: die Lektüre der Arbeit ist ein Genuss.
Zahlreiche Karten (647-663) und genealogische Tafeln (669-671) dienen ebenso wie ein umfangreicher Index der Namen und Orte (705-741) der Tiefenerschließung einer Arbeit, die auf lange Sicht hin ihren Wert behalten und eine Fülle neuer Arbeiten anregen dürfte.
Ralf Lützelschwab