Rosalind Krauss (ed.): William Kentridge (= October Files; 21), Cambridge, Mass.: MIT Press 2017, XVI + 187 S., 53 s/w-Abb., ISBN 978-0-262-53345-4, USD 22,95
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Leora Maltz-Leca: William Kentridge. Process as Metaphor and Other Doubtful Enterprises, Oakland: University of California Press 2018, xi + 400 S., ISBN 978-0-520-29055-6, USD 49,95
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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
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Die beiden Neuerscheinungen widmen sich mit William Kentridge einem Künstler aus Südafrika, der in den letzten Jahren zu einem der erfolgreichsten Akteure im internationalen Kunstbetrieb aufstieg. Seit den 1970er-Jahren entwickelte er auf der Grundlage von schwarz-weißen Zeichnungen und Druckgrafiken ein multimediales Œuvre, das neben Arbeiten auf Papier auch Animationsfilme, Wandbilder, Skulpturen, Theater- und Operninszenierungen sowie Lecture Performances umfasst.
Inhaltliche Schwerpunkte bilden der Kolonialismus sowie die Apartheid und ihre Folgen, die Kentridge mit ihren Bezügen zu Geschichte und Gegenwart, Krieg und Gewalt, Liebe und Hoffnung, Erinnerung und Vergessen in semantisch und ästhetisch komplexen Kompositionen verhandelt. In diese fließen nicht nur seine persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse mit ein, sondern auch die Verflochtenheit der Geschichte (Süd)Afrikas mit der europäischen und globalen Geschichte ist immer wieder explizit Gegenstand seiner Arbeiten.
Für eine vergleichende Lektüre sind die beiden Bände insofern von besonderem Interesse, als sie sich dem Künstler und seinem Werk aus unterschiedlichen methodischen Perspektiven nähern. Während der von Rosalind Krauss, Mitbegründerin der Zeitschrift October, in der hauseigenen Reihe der OCTOBER files herausgegebene Band dem eigenen Anspruch nach Texte der Kunstkritik versammelt, entwickelt die Monografie von Leora Maltz-Leca, die aus einer in Harvard abgeschlossenen Dissertation hervorgegangen ist, eine theoretische Fragestellung, die die Autorin maßgeblich aus der künstlerischen Praxis Kentridges mit expliziten Referenzen auf den politisch-kulturellen Kontext Südafrikas entwickelt, wo der Künstler nach wie vor lebt und arbeitet. Diese methodischen Ansätze sollen hier im Hinblick darauf diskutiert werden, welche Zugänge sie zu einer künstlerischen Position bieten, die an der Peripherie der westlichen Kunstzentren und unter den Bedingungen von (Post)Kolonialismus entsteht und im Falle Kentridges gleichwohl durch vielfältige Beziehungen mit dem globalen Kunstsystem und europäischen Denktraditionen verflochten ist.
Zunächst zu den OCTOBER files, einer Reihe von inzwischen 24 Bänden, die sich als Einführung zu internationalen Positionen der Nachkriegskunst versteht. Die Bände enthalten Texte als Wiederabdruck oder Erstveröffentlichung, die die künstlerischen Positionen idealerweise aus verschiedenen Perspektiven beleuchten sollen. Der Band zu William Kentridge umfasst insgesamt 10, zwischen 1988 und 2015 entstandene Texte, darunter ein Interview mit dem Künstler sowie drei von ihm selbstverfasste Texte und zwei Aufsätze der Herausgeberin. Lediglich bei dem jüngsten Beitrag (2015) der amerikanischen Ethnologin und Kulturwissenschaftlerin Rosalind Morris, die umfangreich zu Kunst und Kultur Südafrikas publiziert und bereits zwei Buchprojekte mit Kentridge realisiert hat, handelt es sich um eine Erstveröffentlichung, alle anderen Texte sind Wiederabdrucke.
Als Einstieg in den Band dient ein Interview Kentridges mit der Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev (1999), die ihn nach seiner ersten Documenta-Teilnahme 1997 mit einer Einzelausstellung in Brüssel 1998 einem breiteren westlichen Publikum bekannt machte. Christov-Bakargievs fragende Versuche der Einordnung von biografischen und werkbezogenen Zusammenhängen werden von Kentridge immer wieder zurückgewiesen, so dass die Andersartigkeit seiner südafrikanischen Erfahrungen, Zugänge und Perspektiven sowie seine spezifische künstlerische Entwicklung abseits der westlichen Kunstszene eindrücklich hervortritt. Nach diesem thematisch breit angelegten Interview wird der Fokus auf die seinen internationalen Durchbruch begründende Zeichentrickserie "Drawings for Projection" (1989-2011) gerichtet - zunächst mit einem eigenen Text des Künstlers (1993), dem der einschlägige Aufsatz von Rosalind Krauss "The Rock: William Kentridge's Drawings for Projection" (2000) folgt, eine zentrale Referenz in der Kentridge-Forschung. Weitere Schwerpunkte, die mit den nachfolgenden Texten gesetzt werden, sind das für Kentridge wichtige Thema des Schattens (Andreas Huyssen), seine druckgrafischen Techniken (Rosalind Krauss), seine kolonialen Landschafts- und Baumbilder (Rosalind Morris, Joseph Leo Koerner/Margaret Koster Koerner) sowie seine Opern- und Theaterinszenierungen (Maria Gough).
Die Struktur des Bandes entwickelt sich entlang dieser Themensetzungen, die meist durch einen Text des Künstlers eingeleitet werden, dem dann die kunst- und kulturwissenschaftlichen Texte folgen. Dabei rhythmisieren die verbalen Äußerungen des Künstlers nicht nur die Struktur des Bandes, sondern bestimmen vielfach auch die Argumentation der wissenschaftlichen Texte, in denen Zitate von ihm als Ausgangs- und fortwährende Bezugspunkte dienen. Während Rosalind Krauss in ihrem Text (2000) eine Formulierung von Kentridge über das Prinzip des Zufalls zum Anlass für eine weit ausgreifende und differenzierte Auseinandersetzung mit seinem Werk- und Medienbegriff unter Bezugnahme auf westliche Theoriepositionen etwa von Stanley Cavell, Barthes, Deleuze oder Benjamin nimmt, bewegen sich die anderen Texte eher dicht beschreibend und mit weniger analytischen Referenzen entlang von Kentridge-Zitaten durch die verschiedenen Werkgruppen.
Was die Texte in den OCTOBER files verbindet, ist eine Position, die keine kritische Distanznahme zu Künstler und Werk sucht, sondern mit ihm und seinen eigenen Formulierungen sein künstlerisches Schaffen und Denken erschließen will. Man kann einem solchen Verfahren mangelnde kritische Distanz zur auktorialen Figur des Künstlers vorwerfen. Man kann darin aber auch den methodischen Versuch erkennen, keine westlich geprägten Urteilskategorien, keine autoritären Positionierungen von außen auf diese Kunst anzuwenden, die in einem von Kolonialismus und Apartheid geprägten Umfeld entstanden ist. In die aktuellen Debatten zur Kunstkritik, an denen sich October selbst bereits früh beteiligt hat [1], fügt sich ein solches beschreibendes Schreiben über Kunst recht gut. So hat sich Beate Söntgen kürzlich für das Beschreiben als eine Textform ausgesprochen, die sich besonders für kunstkritische Texte eigne, wenn sie sowohl wissenschaftliche als auch poetische Verfahren nutze, weil sie dann Möglichkeiten eröffne, "eine am Gegenstand orientierte und zugleich durch differenzierende Darstellung über ihn hinausführende Form der Kritik (...) als Baustein für eine neu zu denkende Kunstkritik" (104) zu entwickeln. [2]
Auch Leora Maltz-Leca entfaltet ihre Untersuchung zu den metaphorischen Dimensionen von Kentridges Werkprozess mit großer Nähe zum Künstler. Die Autorin, die selbst in Südafrika aufgewachsen ist, führte nicht nur zahlreiche Interviews mit ihm, sondern zitiert auch immer wieder aus seinen Texten, wenn sie in fünf Kapiteln fünf grundlegende Arbeitstechniken Kentridges als Metaphern für historische, politische und gesellschaftliche Phänomene in Südafrika während und nach der Apartheid deutet. So verbindet sie seine Zeichentechnik, bei der er Kohlezeichnungen immer wieder ausradiert und überarbeitet, mit der Zensur und Amnesie der Verbrechen der weißen gegen die schwarze Bevölkerung, aber auch mit der Verdrängung dieser Vergangenheit nach dem Ende der Apartheid, um die Entstehung eines "neuen Südafrika" nicht zu belasten. Auf ähnliche Weise zeigt sie Analogien zwischen seinen Prozessionsdarstellungen, seinen Körperbewegungen im Schaffensprozess und den Dynamiken der politischen Transformation in Südafrika. Kentridges Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Bewusstem und Unbewusstem, etwa in "Stereoscope" (1999) oder "Zeno Writing" (2002), bringt sie mit der gespaltenen Wahrnehmung in der Phase des politischen Umbruchs in Verbindung und schließlich seine technisch-visuellen Projektionstechniken im Rekurs auf Freud und Wollheim als materiale und mediale Adressierungen südafrikanischer Traumata.
Die Analogien zwischen Kunst und Gesellschaft, die Maltz-Leca in ihrer symbolischen Lesart der künstlerischen Techniken herausarbeitet, überzeugen als innovativer Ansatz für Kentridges Werk besonders durch das dichte argumentative Netz, das sie mit einer beeindruckenden Fülle von Material knüpft. Dazu gehören sowohl einschlägige, aber auch kaum bekannte oder selten publizierte Arbeiten Kentridges, vielfältige dokumentarische Quellen zur Geschichte Südafrikas sowie neue künstlerische und theoretische Referenzen. Wenn die Autorin westliche Theorien und Diskurse für die Konturierung und Einordnung von Kentridges Arbeiten und Denken aufruft, so ist sie im Vergleich zu den Autoren und Autorinnen der OCTOBER files stärker um enge Verbindungen zwischen Theorie und Werk bemüht, vor allem um eine Berücksichtigung der spezifischen Verhältnisse in Südafrika; so bezieht sie sich etwa auch auf postkoloniale Theoretiker wie Achille Mbembe.
Auch wenn man sich bei Leora Maltz-Leca gelegentlich eine stärkere systematisch-analytische Trennschärfe von Begriffen und Kategorien wünschen würde, bildet sie mit der komplexen Verwobenheit von künstlerischen Techniken, Themen, Werken, Zitaten, historisch-politischen und theoretischen Kontexten selbst eine Analogie zu einem Charakteristikum Kentridges, der seine eigenen Sujets und Techniken immer wieder aufs Neue adaptiert und variiert und sein Werk selbst als dichtes Netzwerk von Referenzen und Bedeutungen gestaltet.
Der Kentridge-Band der OCTOBER files erfüllt mit seiner klaren thematischen Struktur durchaus den Anspruch der Reihe, mit einem günstigen Paperback-Format in das Werk des Künstlers einzuführen. Dabei stehen die Texte im Vordergrund, denn die schwache Qualität der schwarz-weißen Abbildungen vermittelt kaum einen Eindruck von der Materialität und Farbigkeit der Werke. Noch bedauerlicher ist, dass der eigene Anspruch auf Multiperspektivität lediglich durch die Texte des Künstlers eingelöst wird, während Beiträge anderer afrikanischer Autoren und Autorinnen, die etwa auch 'schwarze Perspektiven' miteinbringen würden, fehlen. [3] Im Vergleich zu Maltz-Leca, der es überzeugend gelingt, Kentridges spezifische Motive, Themen, Bildformen und künstlerische Verfahren erstmals in diesem Umfang im Kontext der südafrikanischen Geschichte und Gegenwart zu verorten, werden bei dem von Krauss herausgegebenen Band mit Texten von Autoren und Autorinnen, die größtenteils aus ihrem engeren institutionellen Umfeld der Columbia University stammen, die Grenzen einer nur mit westlichen Methoden und Referenzen operierenden Kunstkritik deutlich. Der mit zahlreichen farbigen Abbildungen auch bestens ausgestattete Band von Maltz-Leca kann hingegen als gelungener Beitrag zu einer multidimensionalen Kunstgeschichte von global verwobenen Geschichten gelten und sollte zukünftig zur Standardlektüre der Kentridge-Forschung gehören.
Anmerkungen:
[1] Vgl. George Baker / Rosalind Krauss / Benjamin Buchloh / Andrea Fraser / David Joselit / James Meyer / Robert Storr / Hal Foster / John Miller / Helen Molesworth: Round Table: The Present Conditions of Art Criticism, in: October 100 (2002), 200-228.
[2] Vgl. Beate Söntgen: Im Gespräch bleiben. Notizen zur Kunstkritik, in: Regards croisés 8 (2018), 98-108, Zitat: 104.
[3] Interessant wäre etwa der Text von Okui Enwezor: Swords Drawn: William Kentridge, in: Frieze 39 (1998), URL: https://frieze.com/article/swords-drawn-william-kentridge.
Elke Anna Werner