Harriet Rudolph (Hg.): Die Reichsstadt Regensburg und die Reformation im Heiligen Römischen Reich, Regensburg: Schnell & Steiner 2018, 301 S., 13 Farbabb., 14 s/w-Abb., ISBN 978-3-7954-3335-2, EUR 39,95
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Wenn man darüber spricht, welche Rolle die Reichsstädte während der Reformation gespielt haben, dann fällt der Name Regensburg eher selten. Das liegt vor allem daran, dass sich die Stadt erst 1542 als eine der letzten in Süddeutschland offiziell zur Neuen Lehre bekannte. Es ist aber auch darauf zurückzuführen, dass die Geschichte der Reformation in Regensburg bislang nur einem engeren Kreis von Spezialisten näher bekannt war. Dieses Manko beseitigt der vorliegende Sammelband, der die um drei Beiträge ergänzten und mit den wichtigsten Quellenbelegen versehenen Referate der öffentlichen Vortragsreihe "Regensburg und die Reformation im Heiligen Römischen Reich" präsentiert.
Die Herausgeberin und verantwortliche Initiatorin der Vortragsreihe konnte einen Kreis ausgewiesener Experten unterschiedlicher Disziplinen für das Projekt gewinnen. So werden die Geschichte Regensburgs im Reformationsjahrhundert und die praktischen Auswirkungen der Reformation innerhalb der Stadt in der Folgezeit aus theologischer, musikgeschichtlicher, kirchengeschichtlicher, reichs- und landesgeschichtlicher Perspektive betrachtet. Grundlegend Neues tritt dadurch zwar selten zutage, doch die Vielfalt der Forschungsansätze lässt ein ausgesprochen plastisches Bild der auch für Regensburg sehr bewegten Jahre zwischen 1542 und 1618 entstehen.
Die Aufsätze konzentrieren sich im Wesentlichen auf vier Themenkomplexe: die reichspolitische Dimension der städtischen Politik, die Umsetzung der Reformation in Regensburg, den medialen Wirkungskontext und die überregionale Ausstrahlung. Dabei wird ein ums andere Mal deutlich, dass die Koexistenz von mehreren reichsfreien Herrschaften innerhalb der Stadt ein besonderes Spannungsfeld erzeugte, das insbesondere beim Prozess der Konfessionalisierung zahlreiche Kompromisse notwendig machte. Genannt sei die Kalenderfrage, die Armen- und Krankenfürsorge, aber auch die Regelung der Wirtschaftsbeziehungen zum Herzogtum Bayern. Mit Recht hebt Harriet Rudolph in ihrer Einleitung hervor, dass sich Regensburg gerade deshalb dafür anbiete, zeittypische Konfliktlösungsstrategien, mediale Strategien der Eskalation und Deeskalation aber auch die Auswirkungen innerprotestantischer Kontroversen näher zu studieren.
Das geschieht bei den einzelnen Autorinnen und Autoren auf sehr unterschiedliche Weise. Während beispielsweise Irene Dingel bei ihrer Behandlung der Regensburger Religionsgespräche und Harriet Rudolf in Ihrer Darstellung des Wegs zum Religionskrieg die innerstädtischen Entwicklungen kaum in den Blick nehmen, stehen diese z.B. bei Sabine Arends Untersuchung der Regensburger Kirchenordnungen oder Artur Dirmeiers Analyse der Reformation des St. Katharinenspitals im Mittelpunkt.
Ein schöner Brückenschlag zwischen beiden Polen gelingt Georg Schmidt, der am Beispiel Regensburgs zeigen kann, wie sehr die Rahmengesetzgebung des Reiches zum Erfolg der Reformation beigetragen hat. Dass es letztlich der Sicherung der städtischen Autonomie durch den habsburgischen Schutz- und Schirmherrn zu verdanken war, dass sich die Regensburger Obrigkeit - wenn auch spät - dazu entschloss, dem Drängen der Bevölkerung nachzugeben und den Konfessionswechsel offiziell zu vollziehen, ist so prägnant in den Darstellungen zur Regensburger Reformationsgeschichte noch nicht formuliert worden. Die These fügt sich gleichwohl gut in sein Konzept komplementärer Staatlichkeit des Alten Reiches.
Neben den eher abstrakten Größen Reich und Stände, städtische Obrigkeit und Untertanen treten in den einzelnen Aufsätzen immer wieder Einzelpersönlichkeiten in den Vordergrund. So nehmen viele Autoren Bezug auf die zentrale Rolle des Ratskonsulenten Johannes Hiltner (1485-1567) und des Superintendenten Nikolaus Gallus (1516-1570). Auch der kurze Aufenthalt des Kirchenreformers Matthias Flaccus Illyricus (1520-1575) und seine Bedeutung für die gnesiolutheranische Ausrichtung der Konfessionalisierung in Regensburg einschließlich der Ausstrahlung nach Österreich werden an verschiedenen Stellen intensiver betrachtet.
Diese Wiederholungen bemerkt man aber nur, wenn man den ganzen Sammelband in einem Zuge liest. Die Einzelbeiträge sind so verfasst, dass sie problemlos alleine stehen können. Sie sind durchgängig in einem allgemeinverständlichen Stil geschrieben, ohne dass dadurch die fachliche Prägnanz der Argumentation Schaden nehmen würde. Darin dürfte der eigentliche Wert des Sammelbandes bestehen. Er bietet einerseits einen guten Einstieg in die Reformationsgeschichte Regensburgs verbunden mit den notwendigen Verweisen auf die ältere Forschungsliteratur. Andererseits werden neue Fragen gestellt und ungewohnte Perspektiven eröffnet. Dazu zählen insbesondere die stärker kulturhistorisch ausgerichteten Beiträge von Katelijne Schiltz zur evangelischen Kirchenmusik, von Bernhard Lübbers über den Buchdruck in Regensburg und von Bridget Heal über Kunst und religiöse Identität in Regensburg.
Der Band ist ansprechend gestaltet und vom Team um die Herausgeberin sorgfältig redaktionell betreut worden. Als informativ und hilfreich erweisen sich die Kurzvorstellungen der Autoren am Ende des Bandes. Die qualitativ gut bis sehr gut gelungenen Farbtafeln würde man zwar lieber unmittelbar bei den jeweiligen Aufsätzen sehen. Sie erfüllen ihren Zweck aber auch als abschließende kleine Sammlung.
Peer Frieß