Rezension über:

Rainer Oßwald: Das islamische Sklavenrecht (= Mitteilungen zur Sozial- und Kulturgeschichte der islamischen Welt; Bd. 40), Würzburg: Ergon 2017, 313 S., ISBN 978-3-95650-238-5, EUR 45,00
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Rezension von:
Anna Kollatz
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Anna Kollatz: Rezension von: Rainer Oßwald: Das islamische Sklavenrecht, Würzburg: Ergon 2017, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 1 [15.01.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/01/32256.html


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Rainer Oßwald: Das islamische Sklavenrecht

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Die wissenschaftliche Erforschung eines beliebigen Themas, so stellte S. Kejser 1859 im Vorwort zu dem von ihm herausgegebenen Précis de Jurisprudence Musulmane (Leiden: Brill 1859) fest, sei erst dann solide zu erreichen, wenn "un nombre suffisant de données se prêtent à une saine appréciation, et qu'elles ont assez éveillé l'attention générale pour que les esprits distingués puissent saisir le côté pratique que doivent offrir ces connaissances." (ebd., iv). Dabei bezog Kejser sich auf die Erforschung des schafiitischen Rechts, die er als Wissenschaftler im Dienst der niederländischen Kolonialmacht in Indonesien als von praktischem Nutzen zu erkennen glaubte. Im weiteren Verlauf seiner Einführung drückt er seine Hoffnung, aber auch feste Überzeugung aus, das Thema werde in den nächsten Jahren allgemeine Aufmerksamkeit und damit sachdienliche Erforschung finden. Diese Hoffnung hat sich sicher nur teilweise erfüllt, gehört doch die Beschäftigung mit islamischem Recht bis heute nicht zu den am prominentesten betriebenen Sparten der Islamwissenschaft. Insbesondere für das islamische Sklavenrecht ist festzustellen, dass sich bis dato nur wenige esprits distingués und, man darf wohl hinzufügen, dédiés, gefunden haben, die sich dieser Materie vertieft widmeten und widmen. Zu diesen dédiés gehört Rainer Oßwald ganz offensichtlich - ohne eine gewisse Besessenheit von einem Thema wäre eine Studie wie die seine zum malikitischen Sklavenrecht wohl nicht zu realisieren gewesen. Oßwald liefert damit einen wertvollen Beitrag zur Kartierung islamischer Rechtsvorstellungen in Bezug auf Sklavenrecht oder, präziser ausgedrückt, Rechtsvorstellungen, die das Leben von Sklavinnen und Sklaven berühren. Wenn 'Sklavenrecht' impliziert, hier handele es sich um ein Recht, das sich auf sklavereispezifische Fragestellungen, wie etwa Versklavung, Verkauf, Nutzung einer Sklavin oder eines Sklaven konzentriert, so beweist Oßwalds Studie, dass 'Sklavenrecht' viel mehr ist als dies: Sklaverei erscheint aus seiner beeindruckenden, wenn auch zuweilen verwirrend detaillierten Sammlung von Evidenzen als ein fest in die Sozialordnung malikitischer Gesellschaften Nordafrikas eingebundener Faktor. Das führt zu der Erkenntnis, dass praktisch alle Lebensbereiche des Menschen mit 'Sklavenrecht' in Verbindung stehen und für jedwede Lebenssituation, die juristischer Reglementierung bedarf, nicht nur Regelungen für Freie, sondern auch für Versklavte unterschiedlichen Status existieren.

In der Einleitung grenzt Oßwald die im Titel sehr umfassend als 'islamisches Sklavenrecht' angekündigte Thematik seiner Studie drastisch ein: Hier handelt es sich um eine Erforschung des "entwickelten malikitischen Rechts", das Oßwald als ab dem Ende des 9. Jahrhunderts stabil und in seiner grundsätzlichen Ausformung nicht mehr veränderlich voraussetzt. Diese Grundannahme kann hinterfragt werden, ebenso wie der Nutzen eines weit gestreckten, diachron angelegten Quellenkorpus der die Basistexte der malikitischen Rechtsschule, die sogenannten "Mütter der Rechtsschule" aus der "formativen Periode" des malikitischen Rechts ohne weiteres neben die Meinung malikitischer Gelehrter des 20. Jahrhunderts stellt. Der Rahmen der Studie wird weiterhin dadurch definiert, dass Oßwald sich dezidiert auf einen Korpus normativer Texte bezieht und die praktische Anwendung des Rechts, wie etwa in Rechtsgutachten (fatāwa) belegt, nur gelegentlich zur Illustration anführt.

In seiner Studie skizziert Oßwald eine Sozialordnung, die "frei" und "unfrei" als zwei grundlegende, wenn auch nicht die einzigen Marker für sozialen Status eines Individuums kennt und definiert. Ausgehend von einer Einordnung des Freiheitsbegriffs in den Kontext der Antike und des Christentums (jüdisches Recht wird nicht behandelt) sowie grundlegender Äußerungen islamischer kanonischer Texte, entscheidet der Autor sich dazu, den emischen Begriff ḥurrīya als "Freiheit" zu übersetzen. Dabei gilt es zu beachten, dass dieser Begriff weder im malikitischen Recht noch einer anderen islamischen Rechtsschule je hart definiert wurde, sondern, so Oßwald, als eine "naturrechtliche" Gegebenheit vorausgesetzt wurde. Schon an diesem grundlegenden Begriff ist also eine gewisse "Elastizität" des islamischen Rechts zu erkennen, die durch seinen diskursiven Charakter noch weiter vertieft wird. Schon in der Einleitung weist Oßwald den Leser darauf hin, dass eindeutig definierte Aussagen zu einzelnen Fragestellungen des 'Sklavenrechts' nicht nur in dieser Studie kaum zu erwarten sind. In der Tat belegt Oßwalds Sammlung eine kaum zu systematisierende Diversität von Rechtsaussagen selbst im Rahmen der malikitischen Rechtsschule. Dem schwierigen Charakter des Materials ist es wohl auch zuvörderst anzurechnen, dass die Studie sich in manchen Teilen in für den Leser schwer erfassbaren Details verliert und gelegentliche Repetition nicht vermeiden kann. Ein weiterer Punkt ist die von Oßwald angestrebte, jedoch nicht absolut durchgehaltene Nutzung emischer Begriffe zur Beschreibung von Rechtsvorstellungen. Hier sind sein allgemeines Glossar und sein Glossar zu "Sklaventermini" hilfreiche Stützen bei der Erfassung der Inhalte seiner Studie. Jedoch werden nicht alle genutzten Begriffe für den Leser verständlich und rekapitulierbar eingeführt, was insbesondere Leser, die des Arabischen nicht mächtig sind, vor Probleme stellen dürfte. Umgekehrt erscheinen manche von ihm gewählten Übersetzungen von Quellenbegriffen zwar durchdacht, aber nicht hundertprozentig passgenau (etwa der Begriff des "Hybridsklaven", aber auch die recht selbstverständlich vorgenommene Gleichsetzung von ḥurrīya und "Freiheit", was die Gefahr der Gleichsetzung mit einem modernen Freiheitsbegriff durch den Leser nicht ausräumen kann). Oßwalds Studie muss sich damit einem grundsätzlichen Problem stellen, in dem jeder gefangen ist, der sich mit einer ähnlichen Thematik auseinandersetzt.

Für den Kontext des von ihm definierten "entwickelten malikitischen Rechts" beginnt Oßwald eine beeindruckende Sammlung von Belegstellen und folgt dabei offensichtlich dem Ziel, möglichst vollständig Rechtsaussagen zu sämtlichen Lebensbereichen zu kartieren, die Sklavinnen und Sklaven berührten. Folgerichtig beginnt die Studie in Kapitel drei mit einer Diskussion der verschiedenen Wege des Eintritts in die Sklaverei, die von Kriegsgefangenschaft bis zur "Selbstversklavung" unterworfener Ungläubiger im Rahmen des Sicherheitsversprechens amān reichen. Ohne dass dies explizit formuliert würde, zeigt bereits dieses Kapitel deutlich auf, welche Perspektive auf Sklaverei die Erforschung normativer Rechtstexte erlaubt: Hier liegt der Fokus auf der Perspektive der slaver, während die Perspektive der in unterschiedlichen Status starker asymmetrischer Abhängigkeit befindlichen Personen in diesem Ansatz kaum herauszuarbeiten sein wird. Als wichtiger Ansatz für die weitere Erforschung starker asymmetrischer Abhängigkeiten in islamischen Gesellschaften ("islamisch" sollte hier im Sinne Hodgeson's "islamicate" gelesen werden) sollte die Nähe der rechtlichen Status von nichtmuslimischen Untertanen und versklavten Kriegsgefangenen oder Eroberten im Hinterkopf behalten werden: In seiner Darstellung der "Optionen des Imams" (32 ff.) hält Oßwald auch fest, dass die Konzeption von Sklaverei als "Strafe für Unglauben" durchaus auch die Option nachträglicher Versklavung eroberter nichtmuslimischer Bevölkerungsteile offenließ. Seine Studie, die sich mit Sklaverei auf den extremen Endpunkt eines continuum of dependency konzentriert, vertieft diesen Punkt naturgemäß nicht. Jedoch scheinen auch im weiteren Verlauf seiner Sammlung eine ganze Anzahl von Hinweisen auf, die die große Nähe von Sklaverei zu anderen Status (partieller) asymmetrischer Abhängigkeit belegen. So werden in den von Oßwald analysierten malikitischen Rechtstexten Sklaven, (Ehe)frauen, Minderjährige und "Geisteskranke" häufig mit denselben oder zumindest sehr ähnlichen Einschränkungen ihrer Handlungsfähigkeit belegt. Dies sollte als Indikator dafür gelesen werden, dass Forschung zu starken asymmetrischen Abhängigkeiten keinesfalls solche sozialen Status aus ihrem Blickfeld verbannen darf, die aus heutiger Perspektive als 'nicht zu stark' oder 'nicht zu asymmetrisch' erscheinen.

Aus dem reichen Fundus an von Oßwald in insgesamt siebzehn Kapiteln behandelten Themen sollen hier zwei noch nähere Erwähnung finden, nämlich seine Konzeption des "Hybridsklaven" sowie seine Untersuchung des Eigentums von Sklaven, das er mit dem römischen Rechtsterminus peculium bezeichnet. Beide erscheinen zentral für eine weitere Erforschung juristischer und praxeologischer Abhängigkeitskonzepte nicht nur im malikitischen Recht. Den Begriff "Hybridsklave" nutzt Oßwald, um die in seinen arabischen Quellen genutzte Formulierung der "Beimengung" von Freiheit bzw. Sklavenstatus (šāʿiba al-ḥurrīya/šāʾiba ar-riqq) in den Rechtsstatus eines Menschen wiederzugeben. Diese "Beimengung", die die Betroffenen quasi zu Teileignern ihrer selbst werden lassen - wohingegen der komplett Freigelassene oder der Freie als Eigner seiner selbst konzeptualisiert wird - kann in unterschiedlicher Form entstehen: So gilt der mukātab, der Sklave, der mit seinem oder seinen Besitzer/n einen Freikaufsvertrag geschlossen hat Oßwald ebenso als "Hybridsklave" wie die umm walad oder ein Sklave, der zuvor mehreren Besitzern gehörte und von einem derselben freigelassen wurde, um nur einige Beispiele zu nennen. Die genannten Kategorien behandelt das malikitische Recht je nach Anteil der 'Freiheit' in einer solchen Person jedoch in unterschiedlichen Rechtsfragen wiederum ganz unterschiedlich. Die emische Konzeptualisierung, die Oßwald über den Begriff der "Hybridsklaverei" zu fassen sucht, zeugt also deutlich von der von ihm eingangs festgestellten "Elastizität", damit aber auch in gewissem Maße von Unverbindlichkeit der normativen Texte, die hier oft an (konstruierten) Beispielfällen entlang argumentieren. Es erwächst daraus der Verdacht, dass die normativen Texte hier versuchen, eine ihrer Natur nach diverse und unsystematische Lage im Gewohnheitsrecht zu dokumentieren, die sich sicherlich nach Region und Zeit unterscheidet - der Vorstellung eines gefestigten Rechtskorpus zum Trotz. Zur Erforschung praktischer Interaktionsgrundlagen von sklavenhaltender Gesellschaft und Versklavten wird es daher unabdingbar sein, den Blick auf praxeologische Zugänge zu erweitern. Nur so wird es letztlich möglich sein, emische Konzepte wie das der umm walad oder des Teilfreigelassenen umfassend zu verstehen und auf eine etische, dem transkulturellen Vergleich offenstehende Deskriptions- und Analyseebene zu bringen. Ein weiterer Versuch, eine solche Ebene schon in seiner Grundlagenstudie zu erreichen, ist Oßwalds Benennung des Eigentums von Sklaven als peculium, also die Verwendung eines für ein ähnliches Konzept im römischen Recht verwendeten Terminus. Oßwald greift zu diesem Mittel, da für die offensichtlich im malikitischen Recht vorhandene, allerdings sehr vage Konzeptualisierung eines dem Sklaven gegebenenfalls zustehenden "Besitzes" kein emischer Begriff zu finden ist. Hier besteht die Gefahr einer (vom Autor nicht intendierten) Gleichsetzung des römischen mit dem so bezeichneten und noch nicht ausreichend erforschten malikitischen Konzept durch die Rezipienten. Gerade das von Oßwald so bezeichnete peculium des Sklaven, also seine Möglichkeit, in gewissem Rahmen selbstständig und zu seinen Gunsten über wirtschaftliche Ressourcen verfügen zu können, erscheint zentral für die juristische Konstruktion einer ganzen Anzahl von sklavenrechtlichen Regelungen, so etwa dem Selbstfreikauf im Rahmen einer kitāba, aber auch für Haftungs-, Ehe-, und nicht zuletzt Erbfragen. Dass Oßwalds Studie immer wieder auf die soziale Stellung abhängiger Frauen, sei es als Konkubinen, umm walad oder Ehefrauen, zu sprechen kommt zeigt schließlich, dass das Abstammungsrecht eine zentrale Rolle für die Entscheidung über den Status eines Individuums einnimmt und damit 'Sklavenrecht' und Personen in unterschiedlichen Status starker asymmetrischer Abhängigkeit als selbstverständliche Teile in die Konstruktion der Gesellschaft einfügt.

Insgesamt ist Oßwalds Studie wohl weniger ein Nachschlagewerk für malikitisches Sklavenrecht - erst recht nicht für islamisches Sklavenrecht, wie es der Titel suggeriert. Vielmehr ist es ein Kompendium hochinteressanter Rechtsnormen, die in ihrer beeindruckenden Fülle die Einbindung der rechtlichen Institution "Sklaverei" in das malikitische Recht und die von ihm geprägten Gesellschaften beweisen. Die in den siebzehn Kapiteln und zahlreichen Detailkapiteln zusammengetragenen Regelungen und Diskussionen werfen, wie oben angerissen, zahlreiche weiterführende Fragen auf. Durch seine Struktur und den gewählten terminologischen Ansatz ist die Studie vielleicht gewollt etwas sperrig - aber gerade dieser Zug kann auch dazu dienen, disziplinäre und interdisziplinäre Begriffsschärfung anzuregen.

Anna Kollatz