Frauke Geyken / Michael Sauer (Hgg.): Zugänge zur Public History. Formate - Orte - Inszenierungsformen (= Grundlagen Geschichtswissenschaft), Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2019, 158 S., 4 s/w-Abb., ISBN 978-3-7344-0823-6, EUR 19,90
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Die Geschichtswissenschaft öffnet sich durch das Konzept der Public History der außeruniversitären Beschäftigung mit Geschichte und erschließt damit neue Forschungsgegenstände und künftige Arbeitsfelder für Studierende. Um diesen einen Einblick in Public History zu geben, entstand 2016 in Göttingen eine Ringvorlesung, aus welcher der hier besprochene Sammelband hervorgeht. Dieser soll explizit als einführende Seminarlektüre in die Vielfalt der Public History geeignet sein, so Frauke Geyken und Michael Sauer in der Einleitung (11). Dort liefern sie einen knappen Theorieeinstieg, stellen die Konzepte Public History, Geschichtskultur und Erinnerungskultur einander gegenüber und greifen Bernd Schönemanns Netzwerkmodell der Geschichtskultur für Public History auf. Hierbei betonen sie insbesondere die Rolle der Publika, welche bisher zu wenig Berücksichtigung fänden.
Die einzelnen Aufsätze sind nach "Formate[n]" (alternativ wäre hier 'Medien' als Oberbegriff denkbar gewesen), "Orte[n]" und "Inszenierungsformen" gegliedert, ergänzt um einen allgemeineren Aufsatz und eine Vorstellung des Public-History-Studienganges der Freien Universität Berlin. Neben eher theoretischen Betrachtungen, wie Geschichte in bestimmten Feldern der Public History dargestellt werden kann oder sollte, finden sich Berichte über die praktische Umsetzung dieser Möglichkeiten.
Die erste Gruppe eröffnet der Beitrag "Antipoden oder 'ziemlich beste Freunde'?" von Kristina Beckers und Stefan Haas, welche "Popular History" als Spezialfall der Public History aufschlussreich diskutieren. Um ein möglichst großes Publikum zu erreichen, generiere sie Meistererzählungen und verhalte sich dadurch konträr zur Geschichtswissenschaft, welche die Illusion einer solchen Eindeutigkeit zu brechen versuche. Mit unterschiedlichen Erwartungen an Geschichtsdarstellungen in Gedenkstätten setzt sich Jens-Christian Wagner in seinem Plädoyer für "Erkenntnis statt Bekenntnis" auseinander. [1] Er stellt die Entwicklung der Gedenkstätten vor und kritisiert problematische Tendenzen in der Debatte um deren Bildungsarbeit, insbesondere die Enthistorisierung und Vereinnahmung durch Menschenrechtspädagogik oder die Holocaust Education. Der Aufsatz bietet einen guten Einstieg ins Thema und die damit verbundenen Kontroversen. Seine Lösungsvorschläge fallen hingegen relativ knapp aus, obwohl gerade hier die zukünftigen Public Historians gefragt sind und somit der Bezug zum Rahmenthema des Sammelbandes hätte betont werden können. Reenactment und Living History widmet sich Eugen Kotte, der speziell der Beliebtheit dieser Phänomene aus Perspektive der Akteur*innen und des Publikums nachgeht und deren Annahme über Empathie mit der Vergangenheit kritisch diskutiert. Damit wirft er wichtige Fragen auf, deren Beantwortung aber zum Teil hinter der theorielastigen Sprache verschwindet. Angela Schwarz diskutiert die Rolle von Geschichte für Computerspiele und wird durch ihre Konzentration auf drei Titel deutlich konkreter als die zuvor besprochenen Aufsätze, zieht aber auch allgemeine Schlüsse über die Rolle des jeweiligen Genres. Für künftige Analysen von Geschichtskultur seien Computerspiele unbedingt stärker zu berücksichtigen.
Die anderen Aufsätze gehen jeweils von einem konkreten Fallbeispiel aus und erläutern, wie Geschichte darin aufbereitet wurde. Besonderen Reiz entfalten dabei die beiden Beiträge zu Museen, indem sie Bedürfnisse bestimmter Publika in den Fokus rücken. Michael Sulies plädiert dafür, dass Museen inklusiver arbeiten sollten. Neben der ausführlichen Begründung dieser Forderung, zeigt er, dass es sich um eine Querschnittsaufgabe handelt und wie diese Öffentlichkeitsarbeit, Museumsbau und Ausstellungsgestaltung im Deutschen Historischen Museum in Berlin betrifft. Petra Zwaka berichtet aus dem Jugend Museum in Berlin, und speziell dessen "Geschichtslabor", mithilfe welcher Prinzipien Jugendliche erfolgreich angesprochen werden konnten und sowohl Re- als auch Dekonstruktion angeregt wurden. Ihre Vorschläge entsprechen dabei geschichtsdidaktischen Grundüberzeugungen; im Aufsatz selbst werden diese Bezüge jedoch kaum hergestellt. Erfreulich ist überdies, dass Kritik an überinszenierten Ausstellungen geübt und eingefordert wird, allerdings wäre dann ebenso die Inszenierung des vorgestellten Museums als Labor ausführlicher zu reflektieren.
Regina Löneke und Ira Spieker stellen ein Forschungsseminar vor, dessen Ergebnisse als Theaterstück präsentiert wurden, sodass die Ansprüche von Geschichtswissenschaft und Theater verglichen werden können. Das besprochene Konzept des "Dokumentarischen Theaters" ist sehr interessant und ein reizvoller Impuls für die Lehre. Leider werden nicht alle eingangs aufgeworfenen Probleme konsequent durchdiskutiert und die Auswertung am Ende lässt dadurch einzelne Fragen der Umsetzbarkeit solch eines Projektes offen. Eine ähnliche Kombination aus Analyse von außen und Einbringung eigener Erfahrungen ist auch Jean-Christoph Carons Beitrag. Auf eine Diskussion der Stärken und Schwächen filmischer Aufbereitung von Geschichte in Spielfilm und Dokumentation folgt ein Beispiel, wie Geschichtswissenschaft und Filmemacher*innen "auf Augenhöhe" (35) kooperieren können.
Am Ende steht Irmgard Zündorfs "Bilanz" über das Studium der Public History, anders als der allgemeine Titel vermuten lässt, aber nur auf den Studiengang der Freien Universität Berlin bezogen. Der Aufsatz ist vorrangig deskriptiv, obwohl einige der konzeptionellen Entscheidungen viel Diskussionsanlass bieten, etwa das Studieren im "Klassenverband" oder die starke Ausrichtung an (arbeits-)marktlogischen Prinzipien. Der Aufsatz bildet dennoch einen guten Abschluss für den Band, da er die Doppelnatur von Public History als Forschungsgegenstand und Arbeitsfeld für Historiker*innen aufgreift und Konsequenzen daraus für Studium und Lehre behandelt. Gerade in diesen Implikationen liegt schließlich eine Stärke der Public History gegenüber vergleichbaren Konzepten wie Erinnerungs- oder Geschichtskultur.
Der Sammelband soll "Zugänge zur Public History" bieten und das gelingt ihm. Nicht nur werden auf vergleichsweise engem Raum - der Band umfasst nur etwa 150 Seiten - viele Felder behandelt, sondern überdies auf vielfältige Weise angegangen. Durch die Kombination von Analysen über bestimmte Felder und Berichten aus ihnen heraus, gelingt es, die Doppelbedeutung von Public History fruchtbar zu machen. Dies hätte durch die Gliederung ausgedrückt werden sollen. Die stattdessen gewählte Unterteilung in "Formate - Orte - Inszenierungsformen" äußert sich zwar in der Anordnung, nicht aber durch übergreifende Besprechungen der jeweils zusammengehörenden Beiträge oder Bezüge zwischen ihnen.
Der Anspruch, als Seminarlektüre geeignete Texte zu liefern, wird eingelöst, da die Aufsätze sowohl Debatten und ihre Hintergründe erläutern als auch zur Fortführung dieser Debatten anregen. Genauso begrüßenswert ist der Ansatz in vielen Aufsätzen, genauer auf Bedürfnisse und Erwartungen des Publikums einzugehen und zu diskutieren, wie und wann sie zu berücksichtigen oder zu irritieren sind.
Anmerkung:
[1] Der Aufsatz entspricht im Wesentlichen der früheren Publikation Jens-Christian Wagner: NS-Gesellschaftsverbrechen in der deutschen Gedenkstättenarbeit, in: Der Ort der "Volksgemeinschaft" in der deutschen Gesellschaftsgeschichte, hg. von Detlef Schmiechen-Ackermann [u.a.], Paderborn 2018, 421-437.
Daniel Münch