Staffan Wahlgren: The Chronicle of the Logothete (= Translated Texts for Byzantinists; Vol. 7), Liverpool: Liverpool University Press 2019, VI + 298 S., ISBN 978-1-78694-207-4, GBP 85,00
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Das Werk, das mit der hier zu rezensierenden Ausgabe erstmals in eine den meisten Althistorikern bekannte moderne Fremdsprache (2014 erschien bereits eine russische Übersetzung) übertragen wurde, stellt einen Abriss der Geschichte von der Schöpfung bis zum Jahr 948 dar. Verfasst wurde es von einem nicht näher fassbaren Autor vermutlich nach 959 und sicher vor 1013, vielleicht unter Nikephoros II. (963-969). Neben etwa dreißig Handschriften, die das Werk in der Hauptform überliefern, existieren zahlreiche davon abhängige Versionen, die sowohl Kürzungen und Auslassungen, aber auch Ergänzungen und Veränderungen bieten (diese liegen etwa unter den in älteren Editionen noch verwendeten Namen Leon Grammatikos und Theodosios Melitenes vor); auch zwei altslawische Übersetzungen sind bekannt.
Für Byzantinisten ist das Werk vor allem als Zeugnis byzantinischer Literatur und als Quelle für die Jahre 842 bis 948, da für diese Jahre der Eigenanteil des Chronisten vorliegt, von Bedeutung. Aber auch die Altertumswissenschaft hat seine Bedeutung erkannt: Da die Logothetenchronik auf denselben Quellenstrang wie Kedrenos und Zonaras zurückgeht, liegt ihr Wert auf denselben Gebieten wie derjenige des bekannteren Zonaras. In den entsprechenden Abschnitten bieten diese Geschichtsabrisse für das Werk des Cassius Dio die wesentliche Überlieferungsgrundlage (zur Geschichte der Republik) oder eine Ergänzung derselben (gegenüber Dio bzw. Xiphilinos für die Kaiserzeit). So sind beispielsweise Kedrenos und die Logothetenchronik 61,2 (97) geringfügig detaillierter in Bezug auf die Adoption Trajans durch Nerva. Für die Geschichte des späteren dritten und vierten Jahrhunderts stellen die drei Byzantiner eine relevante Ergänzung des Quellenbestandes dar, da sie eine ansonsten verlorene Quellentradition von recht hoher Zuverlässigkeit überliefern.
Die Ausgabe besteht aus einer knappen Einleitung (1-14), einer englischen Übersetzung der Chronik (15-253), die von kommentierenden Anmerkungen begleitet wird, sowie Namen- (254-291) und Sachregister (292-298). Es handelt sich dabei um eine exzellente Leistung, die einen wesentlichen Fortschritt bedeutet, aber gleichzeitig in mancherlei Hinsicht enttäuscht. Sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte sind darin begründet, um es mit Ernst Stein zu sagen, dass Wahlgren "zwar ein vortrefflicher Philolog, aber nicht eigentlich ein Historiker ist". [1]
Zu den positiven Aspekten gehört die Übersetzung, die als besonderer Glücksfall anzusehen ist, da Wahlgren bereits eine kritische Edition der Logothetenchronik (2006) vorlegte und mit den sprachlichen und überlieferungsgeschichtlichen Details dieses Textes somit exzellent vertraut ist. Neben der Übersetzung selbst, die an jeder Stelle diese genaue Kenntnis verrät, zeigt sich das auch an den Teilen des Kommentars, der sich mit philologischen Aspekten befassen: Textkritische Probleme, die Schwierigkeiten bei der Übersetzung verursachen können (83, Anm. 1 und 7; 111, Anm. 1), werden ebenso verzeichnet wie denkbare abweichende Übersetzungen (83, Anm. 6; 88, Anm. 2; 89, Anm. 4; 98, Anm. 1 und 8; 99, Anm. 2 und 5; 104, Anm. 4; 107, Anm. 6; 108, Anm. 7) und Namensformen (83, Anm. 8; 84, Anm. 4; 89, Anm. 2). Nur eine Kleinigkeit ist zu bemerken: 97,12 (97) wäre der Text mit einem zusätzlichen Komma besser lesbar ("died, Flavian" statt "died Flavian").
Über ein Element der Methodik Wahlgrens ließe sich allerdings diskutieren: So entscheidet er sich dafür, nur die ursprüngliche Fassung der Chronik zu übersetzen und spätere Ergänzungen, Modifikationen und Tilgungen nicht zu berücksichtigen (9). Das ist durchaus eine sinnvolle Entscheidung, doch ist sie nicht konsequent durchgeführt, da immer wieder entsprechend vermerkte Passagen (78, Anm. 5; 97, Anm. 6; 99, Anm. 3) doch aufgenommen sind. Besonders bedauert man allerdings, dass die Notiz zu dem Begräbnis Julians in Tarsos gegenüber vom Grab des Maximinus Daia (Bekker 93,21-23 = Wahlgren 114, App. zu Z. 21), die als zusätzlicher Beleg wie als wahrscheinliches Zeugnis für eine Philostorgios-Lektüre von besonderem Interesse ist, ausgeklammert wurde. Auch vermisst man 76, Anm. 3 einen Hinweis, dass Quintillus, der hier als fehlend notiert wird, im sogenannten Leon Grammatikos (Bekker 79,1-7) behandelt wird.
Schwächer sind hingegen die übrigen Partien des Kommentars. In den allgemeinen Hinweisen (9-10) erklärt Wahlgren seine Schwerpunkte: Dem Leser soll ein grundlegender Rahmen geboten werden, wobei vor allem 1) die allgemeine Chronologie, 2) die Chronik als literarisches Werk und Quelle für die Mentalität der Byzantiner sowie 3) die Probleme der Überlieferung in den Blick genommen werden. Der dritte Aspekt ist wie bereits erwähnt gut umgesetzt und somit ausgesprochen hilfreich. Der zweite Aspekt kommt nicht richtig zur Geltung, doch ist das bei einem Kommentar in der gebotenen Form auch schwierig und wohl eher den Vorgaben der Reihe geschuldet. Die konkrete Umsetzung des ersten Aspekts sieht so aus, dass etwa im Fall römischer Kaiser (zunächst tagesgenau, was ab Antoninus Pius die Ausnahme wird) die Regierungsdaten genannt und bei stärkeren Abweichungen mit denen anderer byzantinischer Chroniken abgeglichen werden. Das bedeutet eine Reihe voneinander unabhängiger Anmerkungen, deren Nutzen für den Leser unklar bleibt. Umgekehrt wird es hingegen versäumt, auf manchmal grobe Irrtümer hinzuweisen. Natürlich würde eine vollständige Erfassung aller Fehler und Ungenauigkeiten in der Chronik den Kommentar unnötig aufblähen, aber wenn selbst schwerwiegende Irrtümer wie 52,3 (62), wonach Caligula von Claudius getötet wurde, oder 89,2 (85), wonach Gallus den Usurpator Magnentius besiegte, vollkommen unkommentiert bleiben, hätte man auf einen historischen Kommentar auch ganz verzichten können. Und selbst wo dieser geboten wird, bleibt er weit unter dem, was möglich wäre, da zu 85,1 (77) zwar ein Fehler in den Angaben zu Carinus und Numerianus angemerkt wird (77, Anm. 6), nicht aber die klare Verwechslung der beiden als Hintergrund dessen. Zu der Angabe 104,13 (110), die Bauten des Prokopios umfassten acht Bücher, wird knapp erklärt "These are the Peri ktismaton, or Buildings of Justinian" (110, Anm. 3), was nicht nur keinen Informationsgewinn gegenüber dem Text bringt, sondern auch übersieht, dass dieses Werk nur sechs Bücher umfasst. Schwerwiegende Fälle sind allerdings selten, so dass sich die meisten Probleme eher auf dem folgenden Niveau des folgenden Beispiels bewegen: Für Titus ist der Ausspruch belegt, ein Kaiser müsse jeden Tag jemandem eine Wohltat erweisen. Daraus wird (im Kommentar nicht bemerkt) dann 59,3 (65), dass Titus während seiner Herrschaft tatsächlich jeden Tag jemandem eine Wohltat zukommen ließ. [2]
Ebenfalls nicht immer gelungen ist die Einleitung (1-12). Die Behandlung des Genres der Weltchroniken allgemein (1-4) geht weder auf die Werke von Kedrenos und Zonaras noch auf die Ausführungen von Burgess und Kulikowski ein. [3] Was zu Autor und Werk (4-8) geboten wird, ist zuverlässig und durchdacht, wenngleich die genaue Datierung spekulativ bleiben muss. Auf die Prinzipien der Übersetzung (8-9) und des Kommentars (9-11) wurde bereits eingegangen. Der Absatz zu der Frage, warum man die Logothetenchronik lesen sollte (11), ist insgesamt unzureichend. Als Gründe werden die Bedeutung der Chronik als historische Quelle für die hundert Jahre nach Theophanes und, "Even more importantly", für das Geschichtsbild der Byzantiner genannt; ersteres ist sinnvoll, zweiteres hingegen zu allgemein und auf viele Texte anzuwenden. Besonders ins Gewicht fällt aber, dass die oben skizzierte Bedeutung des Werkes als Quelle für die römische Geschichte vollkommen ausgespart wird. Die Inhaltsangabe (11-12) ist hilfreich, aber durch die erheblich stärker ins Detail gehenden Zwischenüberschriften und Register letztlich unnötig. [4]
Unklar ist der Zweck der "Select bibliography" (13-14), die keine Zusammenstellung der wichtigsten Werke zur Logothetenchronik, sondern eher eine Art Abkürzungsverzeichnis für Einleitung und Kommentar darstellt. So finden sich einerseits Titel, deren Bedeutung in etwa der eines Überblickwerkes entspricht (vor allem die Kommentare zu anderen byzantinischen Geschichtswerken), wohingegen mit Ausnahme der Edition Wahlgrens und zweier Aufsätze zu der Chronik als Quelle für die Geschichte des neunten Jahrhunderts keine Spezialliteratur geboten wird. Die Namen jener Altertumswissenschaftler, in deren Studien die Logothetenchronik eine größere Rolle spielt, sucht man hingegen vergeblich. Nicht einmal Bruno Bleckmann scheint irgendwo zitiert zu sein.
Nachdem nun in dieser Rezension vorwiegend auf die negativen Aspekte eingegangen werden musste, sei betont, dass die wichtigsten Kritikpunkte mit einem weitgehenden Verzicht auf einen historischen Kommentar und einer um wenige Seiten vermehrten Einleitung vollständig weggefallen wären. Aber auch in seiner jetzigen Form kann man das Buch aufgrund der exzellenten Übersetzung, die durch die philologische Kommentierung nochmals bereichert wird, nicht nur Byzantinisten, sondern auch Althistorikern ohne Einschränkungen als nützliches Arbeitsinstrument zur Erfassung dieses wichtigen Textes empfehlen.
Anmerkungen:
[1] Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 21 (1928), 158 = Opera minora selecta, Amsterdam 1968, 436.
[2] An kleineren Fehlern im Kommentar ist noch zu notieren: 72, Anm. 4 ist in dieser Form sinnlos; 75, Anm. 5 Gefangennahme Valerians 259 (richtig: 260); 76, Anm. 5 erscheint die geäußerte Hypothese unnötig; 78, Anm. 1 Diokletian regiert seit 285 (284, aber 285 konnte er sich als alleiniger Herrscher durchsetzen); 81, Anm. 3 wäre zu bemerken, dass Licinius erst 308 Kaiser wurde; 86, Anm. 5 Anekdoten zu Kaiser Julian aus Eusebios (siehe dagegen 86, Anm. 7); 88, Anm. 3 ist falsch gesetzt und muss sich auf die nächsten beiden Sätze beziehen; 90, Anm. 2 Gratian und Valens seit 365 Kaiserkollegium (375).
[3] Richard W. Burgess / Michael Kulikowski: Mosaics of time I, Turnhout 2013.
[4] Einzelnes: Auch wenn Karl Krumbachers byzantinische Literaturgeschichte stellenweise veraltet ist, hätte sie angesichts ihres Materialreichtums 2, Anm. 2 genannt werden sollen. 3, Anm. 8 vermisst man einen Verweis auf die Editionen des Georgios Monachos. Es ist falsch, dass es keine Übersetzung des Pseudo-Polydeukes gibt (4, Anm. 10), da der Edition von Hardt eine lateinische beigegeben ist. Pseudo-Symeon (4, Anm. 13) kann zumindest in seinen Grundlagen über den Apparat der Kedrenos-Edition Tartaglias erfasst werden.
Raphael Brendel