Rezension über:

David Rafferty: Provincial Allocations in Rome. 123-52 BCE (= Historia. Einzelschriften; Bd. 254), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2019, 243 S., 2 Tbl., 2 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-12119-4, EUR 54,00
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Rezension von:
Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer
Seminar für Alte Geschichte, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer: Rezension von: David Rafferty: Provincial Allocations in Rome. 123-52 BCE, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 5 [15.05.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/05/33016.html


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David Rafferty: Provincial Allocations in Rome

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In seiner von Frederik Vervaet an der Universität Melbourne betreuten Dissertation widmet sich David Rafferty den Entscheidungen des spätrepublikanischen Senats darüber, welche Provinzen den Konsuln und welche den Prätoren zugewiesen wurden, ob ein neuer Statthalter in die Provinz gesandt oder der Amtsinhaber prorogiert wurde und mit wieviel Truppen und Geldmitteln der eine Provinz übernehmende Gouverneur ausgestattet wurde, wobei die außerordentlichen Kommanden unberücksichtigt bleiben. [1] Die Arbeit reiht sich in die neuere institutionengeschichtliche Forschung zu einzelnen republikanischen Ämtern und Verfahren ein [2], wobei der Autor "empirisch" in dem Sinne vorgehen will, dass er die Verfahren der Provinzzuweisung "induktiv" aus den Quellen rekonstruieren und nicht "deduktiv" theoretisch begründen möchte (11). [3] Dabei geht es ihm vor allem darum zu zeigen, in welchem Ausmaß der Prozess der Provinzzuweisung von Konflikten im Senat bestimmt wurde, was zu einer erheblichen Flexibilität in der Handhabung der institutionellen Gegebenheiten geführt habe. Die zeitliche Begrenzung der Untersuchung ergibt sich aus der These des Verfassers, nicht die Reformen Sullas hätten die "Wasserscheide" im Verfahren der Provinzzuweisung dargestellt, sondern die lex Sempronia de provinciis consularibus von 123 v. Chr. und die lex Pompeia de provinciis von 52 v. Chr. (24, 152).

In der Einleitung werden die Leitbegriffe imperium und provincia geklärt, wobei Rafferty die Einheitlichkeit von imperium domi und militiae betont, das imperium also beim Übergang von der stadtrömischen Magistratur zum militärischen Kommando nicht erneuert werden musste. Bezüglich des Konzeptes provincia schließt er sich der von John Richardson begründeten communis opinio an, der zufolge sich zum Teil bis in die späte Republik nicht für alle 'Provinzen' sicher klären lässt, ob mit dem Quellenterminus provincia der militärische Aufgabenbereich eines Magistrats oder der reguläre territoriale außeritalische Herrschaftsbereich von Prätoren und später auch Konsuln gemeint ist. [4]

Das Buch ist in acht Kapitel gegliedert, wobei das erste den Ritualen der Provinzübertragung gewidmet ist, die sich von der mittleren Republik bis zur Kaiserzeit nicht geändert hatten, das zweite und achte Kapitel den Provinzgesetzen des C. Gracchus und Cn. Pompeius, die den zeitlichen Rahmen der Arbeit bilden, während Kapitel 3 bis 7 zentrale Aspekte des Prozesses der Provinzzuweisung und Provinzübernahme behandeln, nämlich die Flexibilität im senatorischen Entscheidungsprozess, die Losung, die materielle Ausstattung des Gouverneurs, den Aufbruch in die Provinz und die Verweigerung der Provinzübernahme. Ein zu knappes Fazit geht den fünf Appendices voraus; Bibliographie, allgemeiner Index und Quellenindex beschließen den Band.

In Kapitel 1 geht Rafferty der Frage nach, welche Rituale die Legitimität der Prätoren und Konsuln bei der Amtsübernahme in Rom und beim Übergang von der stadtrömischen Magistratur zum außerrömischen Kommando als imperator begründeten, wofür er die einzelnen Riten betrachtet: die Nachtwache und das Auspicium zuhause, der Marsch am 1. Januar in der toga praetexta mit den 12 bzw. 6 Liktoren zum Capitol, das Opfer eines weißen Stiers für Jupiter und die Gelübde für Jupiter auf dem Capitol, die Senatssitzung mit der Losung oder Absprache über die Provinzzuteilung, die Verabschiedung der lex curiata (seit dem 1. Jh. v. Chr. durch 30 Liktoren), der Senatsbeschluss über die materielle Ausstattung des Imperators, die Feier der feriae Latinae und schließlich zu einem späteren Zeitpunkt der Aufbruch in die 'Provinz' durch das Überschreiten der sakralen Stadtgrenze, das Anlegen des Feldherrnmantels und die Hinzufügung der Beile zu den Rutenbündeln der Liktoren. Er gelangt durch die Erörterung verschiedener Verstöße gegen solche Riten zu dem Schluss, dass nur die mit der profectio verbundenen Riten zwingend gewesen seien (45).

In Kapitel 2 zeigt Rafferty, dass mit der lex Sempronia de provinciis consularibus 123 v. Chr., die die Festlegung der konsularischen Provinzen vor den Konsul-Wahlen verfügte und sie damit von der Auslosung der prätorischen Provinzen trennte, ein Bewusstsein vom Unterschied konsularer und prätorischer Provinzen entstand und die Vergabe der konsularen Provinzen dem innersenatorischen Streit dadurch entzogen wurde, dass kein tribunizisches Veto gegen den Senatsbeschluss mehr möglich war. Die Einrichtung der ständigen Geschworenengerichtshöfe unter dem Vorsitz von Prätoren (quaestiones publicae) seit 148 habe dazu geführt, dass die 6 und seit Sulla 8 Prätoren ihre Amtszeit nun im ersten Jahr in Rom verbrachten und erst anschließend als Imperatoren in "secondary praetorian provinces" (48) gingen, wobei nicht alle Prätoren ein Provinzkommando erhalten konnten.

In Kapitel 3 macht der Verfasser deutlich, dass durch die gracchische Gesetzgebung der Handlungsspielraum des Senats bezüglich der Provinzzuweisungen nicht eingeschränkt wurde, was er an der Neuzuweisung von bereits zugewiesenen Provinzen in militärischen Notsituationen mittels eines Senatsbeschlusses oder Plebiszites und den Motiven für eine Prorogation bzw. Rückberufung provinzialer Amtsträger diskutiert.

In Kapitel 4 zeigt sich, dass eine Zulosung (sortitio) der vorher festgelegten konsularischen Provinzen nur erfolgte, wenn die Konsuln keine Übereinkunft erzielten, während sich die Auslosung der prätorischen Provinzen deshalb schwierig gestaltete, weil eine doppelte Losung für die städtischen und die territorialen provinciae nötig war und die Anzahl beider nur in sullanischer Zeit einander entsprach. Rafferty diskutiert in diesem Zusammenhang verschiedene Möglichkeiten, wie das aus der Überlieferung keineswegs klare Losverfahren erfolgt sein könnte.

Kapitel 5 befasst sich mit der Ausstattung der Imperatoren mittels Truppen, Geldern und persönlichem Haushalt (ornatio). Die Ausstattung der Prätoren war politisch nicht umstritten und erfolgte in ciceronischer Zeit wegen der politischen Konflikte häufig erst später im Amtsjahr. Der Senatsbeschluss zur ornatio der Konsuln fand nicht mehr - wie in der mittleren Republik - gleich nach den Wahlen zum Konsulat statt, sondern später im Jahr, da die Konsuln in dieser Zeit aus verschiedenen Gründen fast immer bis November in Rom blieben und nicht nach zwei bis drei Monaten ihre außerrömischen Kommanden übernahmen. Ihre Anwesenheit führte dazu, dass der Senatsbeschluss zu ihrer Ausstattung häufiger politisch umstritten war, wobei die Volkstribunen in nachsullanischer Zeit auf ihr Veto oft nur verzichteten, wenn die Konsuln ihre Gesetzesanträge unterstützten.

In Kapitel 6 erörtert Rafferty die Abreise der Imperatoren aus Rom (profectio) und die Amtsübernahme (traditio) in ihrer Provinz. Sowohl die meisten Prätoren, als auch die Konsuln reisten wegen ihrer Aufgaben in Rom oft erst spät im Jahr in ihre Provinz. Dass die dortigen Statthalter oft nach ihrem Amtsjahr erst abgelöst wurden, scheint den Senat nicht beunruhigt zu haben. Klar ist aber, dass die Gegenwart des neuen Statthalters für die Amtsübernahme zwingend war.

Kapitel 7 gilt dem Phänomen, dass einige Konsuln und Prätoren besonders in nachsullanischer Zeit die Übernahme des ihnen übertragenen Provinzkommandos verweigerten, was offenbar keinen Anstoß erregte. Rafferty erklärt diesen Umstand für die Konsuln damit, dass einige - wie Cicero - dringendere Geschäfte in Rom sahen oder sich dem Druck der Volkstribunen, die ihr Veto gegen das SC de provinciis ornandis und die lex curiata einlegen konnten, nicht beugen wollten, und für die Prätoren, dass sie bei Anwesenheit in Rom größere Chancen auf den Konsulat hatten, in prätorischen Kommanden weniger Möglichkeiten sahen, militärischen Ruhm zu erlangen denn als Legaten des Pompeius oder Caesar, und für beide Gruppen damit, dass die Chancen, einen Triumph zu bekommen, geringer wurden und die Bereicherung in den Provinzen schwieriger wurde, seit die Repetundenprozesse zum politischen Instrument geworden waren. Ob der (erzwungene) Verzicht einiger Prätoren in vorsullanischer Zeit, die bei der Auslosung der "secondary territorial provinces" überzählig waren (127 ff.), dafür einen Präzedenzfall boten, darf bezweifelt werden.

Kapitel 8 befasst sich Rafferty mit der lex Pompeia de provinciis von 52 v. Chr., mit der die lex Sempronia abgeschafft wurde und die ein Fünf-Jahres-Intervall zwischen stadtrömischer Magistratur und Provinzkommando etablierte, womit die Provinzstatthalterschaft als eigenständiges Amt entstand. Das bedeutete freilich, dass nicht Magistrate als Verlängerung ihres städtischen imperium nahtlos ein imperium militiae übernahmen, sondern privati. Unklar ist, wie diesen das auspicium verliehen wurde. Mit dem Gesetz wurde auch der Zuweisungsmodus verändert, indem die Konsuln und Prätoren nun gemeinsam ihre Provinzen erhielten, was häufig erst im Laufe des Amtsjahres geschah. Ein Effekt dieses Gesetzes bestand darin, dass nur noch Konsuln konsulare und Prätoren prätorische Provinzen erhielten. Zwar kam die lex Pompeia nicht mehr zur Entfaltung, da nach 49 v. Chr. nur noch Legaten des Pompeius und Caesars die Provinzen beherrschten, doch wertet sie Rafferty als zeitgenössische Reaktion darauf, was im Prozess der Provinzzuweisung zuvor falsch gelaufen war.

Vier der fünf Appendices behandeln knapp strittige Fragen, die zuvor schon gestreift worden waren, während die erste umfangreiche Appendix (155-209) eine nützliche chronologische Liste aller Amtsträger der Jahre 122-91 und 80-52 v. Chr. bietet, denen vom Senat eine Provinz zugewiesen wurde (unabhängig davon, ob sie die Statthalterschaft angetreten hatten) und deren statistische Auswertung.

Diese mikroskopische Untersuchung ist nicht leicht zu lesen, denn Rafferty argumentiert detailliert, wobei die Darlegungen ohne eine gute Quellenkenntnis nur schwer verständlich sind, weil die Kontexte nicht erläutert werden. Worin besteht ihr Gewinn? Sie ist die erste systematische Darstellung dieses Phänomens über einen längeren Zeitraum hinweg, während die Forschung zuvor diese Fragen zumeist punktuell behandelt hatte. Obwohl der Verfasser bisherige Forschungsergebnisse nur in Nuancen modifizieren kann, ergibt sich doch ein klareres Bild vom Prozess der Provinzzuweisung und Provinzübernahme, aus dem einerseits die politischen Manipulationsmöglichkeiten und andererseits die Flexibilität des Senats im konkreten Fall hervorstechen.


Anmerkungen:

[1] Dazu Wolfgang Blösel: The imperia extraordinaria of the 70s to the 50s B.C. and public opinion, in: Communicating Public Opinion in the Roman Republic, hg. von Cristina Rosillo-López, 2019, 135-149 und demnächst ders.: Imperia extraordinaria liberae rei publicae. Studien zur Demilitarisierung der römischen Nobilität (2020).

[2] T. Corey Brennan: The Praetorship in the Roman Republic, New York / Oxford 2000; Francisco Pina Polo: The Consul at Rome: The Civil Functions of the Consuls in the Roman Republic, Cambridge 2011; Frederik J. Vervaet: The High Command in the Roman Republic: the Principle of the summum imperium auspiciumque from 509 to 19 BCE, Stuttgart 2014; Fred Kilday Drogula: Commanders and Command in the Roman Republic and Early Empire, Chapel Hill 2015.

[3] Diese Absetzung von Theodor Mommsens Ansatz (11, Anm. 3) ist nach Jahrzehnten von Untersuchungen zur sozialen Fundierung politischer Prozesse und zur politischen Kultur in der Römischen Republik überholt. Überdies ist es eine Illusion zu glauben, die "Logik der Praxis" ohne jegliche, zumindest implizite, theoretische Vorannahmen allein aus den Quellen rekonstruieren zu können, was im Folgenden dann auch nicht geschieht: Die vielen quellenbedingten Unsicherheiten bei der Rekonstruktion der Verfahren werden natürlich durch Annahmen theoretischer Natur überbrückt.

[4] John S. Richardson: Imperium Romanum. Empire and the Language of Power, in: JRS 81 (1991), 1-9; ders.: The Language of Power. Rome and the Idea of Empire from the Third Century BC to the Second Century AD, Cambridge 2008. Ein Beispiel bietet Appendix C: Crete and Cyrene.

Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer