Rezension über:

Felwine Sarr / Bénédicte Savoy: Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter (= punctum; 013), Berlin: Matthes & Seitz 2019, 223 S., 13 Farbabb., ISBN 978-3-95757-763-4, EUR 18,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Antoinette Maget Dominicé
Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Antoinette Maget Dominicé: Rezension von: Felwine Sarr / Bénédicte Savoy: Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter, Berlin: Matthes & Seitz 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 9 [15.09.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/09/33414.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Felwine Sarr / Bénédicte Savoy: Zurückgeben

Textgröße: A A A

Der im Mai 2019 beim Berliner Verlag Matthes & Seitz veröffentlichte Band ist die deutsche, gekürzte (9) und überarbeitete (222) Fassung des Ende November 2018 dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron vorgelegten Berichts zu den Möglichkeiten und Fragen von Restitution in der Gegenwart. [1] Der Text, verfasst von dem senegalischen Wirtschaftswissenschaftler Felwine Sarr und der französischen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, entstand in einem achtmonatigen Forschungsprojekt zwischen Europa und Afrika. Unterstützt wurde dieses, wegen des "organisatorischen Teil[s] des Verständigungsprozesses und bei der Abfassung des juristischen Teils" (10-11), von der Generalinspektorin für Kulturangelegenheiten beim französischen Kulturministerium Isabelle Maréchal und dem Juristen und Forscher des Institut des Sciences sociales du Politique, Vincent Negri. Der Text gilt als die manifestartige Festschreibung des Anspruchs des französischen Präsidenten Macron vom November 2017 in Ouagadougou, als er proklamierte, er möchte innert fünf Jahre die Voraussetzungen dafür geschaffen sehen, eine zeitweise oder endgültige Restitution afrikanischer Kulturgüter an Afrika zu ermöglichen. [2]

Der deutschsprachige Titel lehnt sich stark an dieser präsidialen Aussage an und legt den Fokus durch eine begriffliche Verdopplung auf die materielle Restitution von Kulturgütern, während der Titel der französischsprachigen Fassung hingegen auch die Dimension eines neuen ethischen Austauschs beinhaltete und dadurch näher am Gehalt des Texts orientiert war. Die deutsche Fassung weist eine ähnliche Struktur wie die ursprüngliche auf und ist ebenso als Bericht wahrzunehmen. Allerdings wurden die Anhänge - insbesondere was die vorgeschlagenen Anpassungen des französischen Rechts auf legislativer und verwaltungsrechtlicher Ebene anlangt - erheblich gekürzt. Nach einem knappen Vorwort und einer kurzen Einführung wird die Position Sarrs und Savoys in vier Kapiteln (Die lange Dauer des Verlusts, Restituieren, Restitutionen und Sammlungsgeschichte, und Restitutionen begleiten) deutlich gemacht.

In großen Zügen wird im Kapitel I eine Geschichte der Aneignung von Kulturgütern in unterschiedlichen Kontexten präsentiert. Diese baut sowohl auf eher aleatorisch ausgewählten und emblematischen Ereignissen auf, wie auf deren Rezeption und Normierung durch Zeitgenossen, was die Wiedergabe einer tatsächlich nachvollziehbaren Polyphonie ermöglicht. Außerdem wird an dieser Stelle versucht, den lokalen Kontext der Debatte, der sich - Macron folgend - auf das subsaharische Afrika bezog, global zu erweitern. Aufbauend darauf wird im Kapitel II Restitution als Praxis von Kulturpolitik skizzenhaft und hauptsächlich aus der Sicht jener Parteien beleuchtet, an die restituiert wird. Die wichtige sogenannte Resozialisierung restituierter Objekte (69) wird terminologisch eingeführt, wie auch das dabei notwendige Umdenken bisheriger Deutungshoheiten. [3] Die Position der restituierenden Seite (nach der Eigentumsübertragung) findet dabei - über die Idee, Replikate einzusetzen, um "die hinterlassene Leere zu füllen" (84), hinaus - wenig Erwähnung. [4] Im dritten Kapitel werden quantitative, geografische und historische (militärische, wissenschaftliche und personenbezogene) Kontexte reflexiv verglichen, um den Aufbau von Sammlungen in Frankreich, den Vormarsch des Kolonialismus und die Gewichtung der zugrunde liegenden Infrastrukturen in Verbindung zu bringen. Folgende Einblicke in die Sammlungserweiterungen französischer Museen (insbesondere des Musée du quai Branly) setzen das Fundament für vier Empfehlungen (111, 118,121 und 125), welche zukünftige Restitution(sforderung)en begleiten sollen. Diese werden von ergänzenden, methodisch angelegten Kriterien (125-126) vervollständigt. Im vierten und letzten Kapitel findet sich ein Plädoyer für ein geeignetes Restitutionsrecht, das in seiner Ausformulierung stark auf in anderen Kontexten und Disziplinen (der Medizin bspw.) oder anderen Staaten (u.a. Neuseeland oder Italien) entwickelten Wegen aufbaut. Der eingebrachte Vorschlag präsentiert einige Kollateralaspekte der Restitutionsmaßnahmen - insbesondere solche der Finanzierung - und positioniert sich, was die Prüfung der jeweiligen Rückforderungen angeht, zentralistisch (159). Sarr und Savoy schließen ihren Bericht mit einem Appel zur sichtbareren Aufarbeitung von Fragen der Provenienz in Museen und einem knappen Fazit. Eine Auffächerung der Einzelaspekte und eine Verknüpfung der Argumente wäre wünschenswert gewesen, auch um den eher knapp eingeführten Beispielen mehr Gewicht in der Etablierung möglicher Restitutionsdoktrin zu verleihen.

Dreizehn Abbildungen, davon vier in den Buchklappen, illustrieren emblematische, zur Restitution empfohlene Kulturgüter und werden jeweils von einer knappen Beschreibung begleitet. Die Angaben stammen zum einen aus der Datenbank des Musée du quai Branly, zum anderen aus den weiterführenden Recherchen Sarrs und Savoys. Im Anhang hingegen nicht mehr ausgeführt wurde der Teil zur Methodik des Berichts, dessen Angaben sparsam in den eher kurz gehaltenen Verweisen sich wiederfinden: Zu dem als Teil des Forschungsprojektes veranstalteten Workshop zu juristischen Fragen beispielsweise wird sehr knapp in der Endnote 84 berichtet, während die französischsprachige Fassung die - bis auf zwei Ausnahmen ausschließlich von in Frankreich ausgebildeten und tätigen Juristen und Juristinnen besetzte - Teilnehmendenliste als Anhang verfügbar macht und so eine informative Quelle zur darin vorgeschlagenen Normänderungen liefert. Auch fehlen ergänzende Informationen zu den abgebildeten Kulturgütern, die leider ohne Quellenangaben eingeführt werden und daher der geforderten Präzision (177) methodisch ebenso wenig entsprechen wie die Angaben aus der Museumsdatenbank. Diese im Grunde sinnvollen Ergänzungen verlieren dadurch erheblich an ihrer potenziellen Aussagekraft.

Schließlich werfen deutschsprachige Begriffe an mehreren Stellen des Buches Fragen auf: Der von Savoy in die wissenschaftliche Diskussion um die Zirkulation von Kulturgütern eingebrachte Begriff der Translokation beispielweise wird nur dreimal der originalen Fassung entsprechend verwendet (65, 100, 138). An anderen Stellen wird der Term durch Begriffe wie Verbringung (34, 44, 69 und 127) oder Verschleppung (57) ersetzt, was zur Präzisierung des neuen Konzepts nur bedingt beiträgt. Die eindeutige - und zutreffende - Auslegung des Begriffs "restituieren" (64), des von Macron verwendeten Oxymorons einer "zeitweisen Restitution" folgend, wird in der deutschsprachige Fassung durch eine eher zufällige Verwendung (bspw. 40) verwässert und widerspiegelt daher nur bedingt den Stand der Forschung. [5]

Als Fortsetzung der brisanten Aussagen Macrons aus dem November 2017 folgt der Bericht dem präsidialen Ziel, Voraussetzungen für die Restitution von Kulturgütern aus kolonialen Kontexten zu etablieren, nur teilweise. Dafür hat der polarisierende, an manchen Stellen vereinfachte Text das Thema der Aufarbeitung von Sammlungen aus kolonialen Kontexten stärker in der öffentlichen Debatte und weit über die Grenzen Frankreichs hinaus verankert. Zwei Jahre nach Publikation der radikalen, polarisierenden Empfehlungen Sarrs und Savoys sollte gerade Grundlagenforschung zu den komplexen und eng verwobenen Themen der Kolonialisierung, der sammlungsgeschichtlichen Aufarbeitung und der kulturellen Diplomatie dringend weiter betrieben werden.


Anmerkungen:

[1] Rapport sur la restitution du patrimoine culturel africain. Vers une nouvelle éthique relationnelle, 2018. Abrufbar unter restitutionreport2018.com (zuletzt abgerufen am 20.08.2020).

[2] Discours d'Emmanuel Macron à l'université de Ouagadougou, 28 novembre 2017. Abrufbar unter https://www.elysee.fr/emmanuel-macron/2017/11/28/discours-demmanuel-macron-a-luniversite-de-ouagadougou (zuletzt abgerufen am 20.08.2020).

[3] Christina Kreps: Liberating Culture. Cross-Cultural Perspectives on Museums, Curation and Heritage Preservation, London 2003.

[4] Laura Peers: The Magic of Bureaucracy. Repatriation as Ceremony, in: Museum Worlds 5 (2017), Nr. 1, 9-21.

[5] Vgl. Kerstin von der Decken: Kulturgüterschutz. Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems, Tübingen 2005, 161ff.; Xavier Perrot: De la restitution internationale des biens culturels au XIXe et au XXe siècles. Vers une autonomie juridique, unv. Diss, Université de Limoges 2005.

Antoinette Maget Dominicé