Katrin Keller / Martin Scheutz (Hgg.): Die Habsburgermonarchie und der Dreißigjährige Krieg (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 73), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2020, 451 S., eine Kt., 53 s/w-Abb., 3 Tbl., ISBN 978-3-205-20951-5, EUR 90,00
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Als "gelobtes Land" und "Insel der Seligen" (16) erscheinen die Länder der Habsburgermonarchie im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648). Dieser Eindruck rühre daher, dass sich die meisten großen Schlachten, die schwerwiegendsten Verheerungen und totbringendsten Seuchenzüge des Krieges weiter nördlich und westlich ereigneten. Die Habsburgerlande hingegen seien kaum zerstört worden und hätten vergleichsweise geringe Bevölkerungsverluste erlitten. So geben Katrin Keller und Martin Scheutz, die beide den vorliegenden Sammelband herausgeberisch verantworten, die Wahrnehmung wieder, die sich üblicherweise aus Gesamtdarstellungen zum Dreißigjährigen Krieg (auch solchen jüngeren Datums), aber auch aus manchen zeitgenössischen Selbstzeugnissen ergebe. Zudem würden die Habsburger, die jene Länder beherrschten, im Kontext des Krieges zumeist eindimensional als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wahrgenommen. Ihre Rollen als Erzherzöge von Österreich, als Könige von Böhmen und Ungarn oder als Vertreter ihrer Dynastie würden dabei kaum berücksichtigt.
Neue Forschungen hingegen betonen eine stärkere Auswirkung des Kriegsgeschehens auf die Bevölkerungsentwicklung in den Ländern der Habsburgermonarchie und beleuchten die Wechselwirkungen zwischen der Dynastie der Habsburger und dem Dreißigjährigem Krieg weit vielschichtiger als bislang. Vor diesem Hintergrund ziehen die Herausgeber*innen in Zweifel, dass "die Habsburgermonarchie wirklich eine 'Leerstelle' im Kriegsgeschehen" (17) war. Ziel des vorliegenden Bandes, der auf eine Wiener Tagung von Oktober 2018 zurückgeht, ist demnach, die "Kriegsereignisse und Kriegsfolgen auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie in einem Überblick sichtbar zu machen und jüngere Forschungsergebnisse zusammenzufassen." (19)
Zu diesem Zweck ist der Band in sechs - überwiegend nach Themen gegliederte - Sektionen unterteilt. Erstens werden die unmittelbaren Kriegsereignisse, zweitens die Dynastiepolitik, drittens die Kriegsfolgen und -lasten, viertens Medien und Selbstzeugnisse sowie fünftens der Dreißigjährige Krieg als Erinnerungsort in den Ländern der Habsburgermonarchie in den Blick genommen. Zwei Beiträge finden sich zudem in einem als "Ausblick" bezeichneten Kapitel am Ende des Bandes und bilden die sechste Sektion. Ein umfangreiches Orts- und Personenregister, das von Sonja Lessacher gestaltet wurde, sowie ein Adressverzeichnis der Autor*innen schließen den Band ab.
Die erste Sektion trägt zur Klärung der Frage nach den konkreten Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges auf die Herrschaftsbereiche der österreichischen Habsburger bei. In den vier Beiträgen von Thomas Winkelbauer, Petr Mat'a, Géza Pálffy und Dieter Speck werden die österreichischen Erbländer, Böhmen, Ungarn sowie Vorderösterreich unter die Lupe genommen. Dabei wird deutlich, dass die Auswirkungen gravierender waren als bisher angenommen. So lassen sich für Österreich ob und unter der Enns "große materielle Zerstörungen und massive Bevölkerungsverluste" (51) sowie eine erhebliche Ab-, aber auch Zuwanderung durch Flüchtlingsströme feststellen. Für die böhmischen Länder wird der Krieg "als Periode gravierenden Wandels" (73) geschildert. Die Stände hätten zwar nach dem gescheiterten "Aufstand in Böhmen" (1618-1620) ihren politischen Anspruch auf Beteiligung an der Regierung weitgehend verloren, aber weiterhin eine wichtige Rolle gespielt. Der Begriff "Aufstand in Böhmen" sei zudem kritisch zu hinterfragen, da er eine vermeintliche Einheitlichkeit des an sich heterogenen politischen Systems suggeriere und zudem allein die kaiserliche Sicht auf die Geschehnisse widerspiegele (57). Die "ungarische Tragödie" (94) im Dreißigjährigen Krieg hatte zur Folge, dass das Königreich Ungarn - im 16. Jahrhundert noch wichtiges "Bollwerk gegen die Osmanen" (93) - u.a. bedingt durch Gebietsverluste an Siebenbürgen zu einem "Nebenschauplatz" (93) der Habsburger Politik wurde. Von allen Erblanden mit am stärksten von Kriegseinwirkungen betroffen waren die vorderösterreichischen Lande am Oberrhein, wo die sog. tirolisch-vorderösterreichische Linie der Habsburger wirkte. Sie war für die dynastischen Interessen sowohl der österreichischen als auch der spanischen Hauptlinie der Habsburger von großer Bedeutung.
Dynastische Aspekte der Habsburgerpolitik im Dreißigjährigen Krieg werden in der zweiten Sektion mit drei Beiträgen von Horst Carl, Arno Strohmeyer und Lena Oetzel in den Blick genommen. Dabei geht es zum ersten darum, die Rolle der Habsburger als Kriegsherren zu beleuchten. Diese sei bislang kaum beachtet, da sich die Historiographie "in der Tradition Schillers" (140) zu sehr auf die erste Hälfte des Krieges konzentriert habe. Im weiteren Kriegsverlauf allerdings hätten auch die Habsburger zunehmend persönlich Feldherrenrollen ausgefüllt. Zweitens wird die Einheit der Casa de Austria unter dem Konzept des "Dynastizismus" thematisiert, der sich zwischen spanischer und österreichischer Linie z.B. in Form von Ehen, Klientelismus und Diplomatie ausprägte. Drittens wird auf die vielfältigen Rollen eingegangen, die mit den diversen Herrschaftsämtern einhergingen, die die Habsburger besetzten. Aus der Rollenpluralität etwa Kaiser Ferdinands III. (Oberhaupt des Reiches, Verteidiger des katholischen Glaubens und Erzherzog von Österreich) ergaben sich Interessenskonflikte auf dem Westfälischen Friedenskongress.
Die dritte Sektion wendet sich in Beiträgen von William D. Godsey, Martin P. Schennach und Martin Scheutz den Kriegslasten und -folgen für die Habsburgermonarchie zu. Hier wird herausgestellt, dass die Landstände für die kaiserliche Kriegsfinanzierung "eine beständige Kreditquelle bildeten" (205), die von elementarer Bedeutung für die Kriegsfortsetzung war. Hinsichtlich kriegsbedingter sozialer Unruhen solle der Blick zukünftig nicht mehr nur auf punktuelle Großereignisse wie die Bauernaufstände von 1626 und 1635 gerichtet werden, sondern stärker auf kleinere, dafür permanent ablaufende Konflikte, die insbesondere bei Einquartierungen von Söldnern in Privathaushalten aufkamen. Von Einquartierungen und weiteren Belastungen durch verschiedenes Militär berichten auch die Selbstzeugnisse des Steyrer Färbers Jakob Zetl, dessen Aufzeichnungen insbesondere zum Bauernkrieg von 1626 eine interessante Quelle darstellen.
Auch die vier Autor*innen Katrin Keller, Harald Tersch, Alexander Zirr und Esther-Beate Körber widmen sich in der vierten Sektion spannenden Selbstzeugnissen und Medien der Zeit des Dreißigjährigen Krieges in den Ländern der Habsburgermonarchie. Behandeln die ersten drei Beiträge "die spezifische[n] Kriegs- und Gewalterfahrung[en]" (262) sowie sonstige Eindrücke von Individuen unterschiedlichen sozialen Standes (ein Kardinal, zwei Offiziere, ein Söldner, ein weltlicher Fürst) anhand von Diarien, Tagzetteln und Autobiographien, thematisiert der letzte Beitrag das Medium der Messrelationen und dabei die Frage nach einer möglichen Beeinflussung der darin enthaltenen zeitungsähnlichen Berichterstattung durch die Habsburger.
Die fünfte und letzte thematisch überschriebene Sektion wendet sich dem Dreißigjährigen Krieg als Erinnerungsort zu. Friedrich Polleroß, Alois Niederstätter und Arthur Stögmann widmen sich dazu erstens den Offiziersporträts in Khevenhüllers Annales Ferdinandei, um dem bislang kaum erforschten Typus des Feldherrnporträts näher zu kommen, zweitens der Erinnerung des Dreißigjährigen Krieges - insbesondere bezogen auf den Feldzug des schwedischen Generals Wrangel 1647 in Vorarlberg - sowie drittens der schwedischen Truppen in Niederösterreich. Die Erinnerung an den "Schwed" (377) habe sich offenbar auf Grund der harten Kontributionen durch schwedische Truppen "in einem - im Verhältnis zur Dauer ihrer Präsenz - ungewöhnlichen Ausmaß in der niederösterreichischen Erinnerungskultur erhalten" (393).
Auch die von Werner Telesko und Christoph Kampmann bestrittene sechste Sektion ("Ausblick") beschäftigt sich mit der Entstehung von Erinnerungsorten. Konkret wird die Bildende Kunst des 19. Jahrhunderts und die Frage nach der Rolle des Dreißigjährigen Krieges darin in den Blick genommen. Zuletzt geht es um die Rezeption des Westfälischen Friedens von 1648, wobei drei Deutungsebenen herausgearbeitet werden: Erstens stellte der Frieden eine wichtige völkerrechtliche Grundlage im Verhältnis des Reiches zu Schweden und Frankreich dar, zweitens galt er als fundamentales Reichsgesetz und drittens als "Grundverfassung des 'Ius Publicum Europaeum'" (432).
Es ist ein Verdienst der Herausgeber*innen das vernachlässigte Thema der genaueren Erforschung der Länder der Habsburgermonarchie im Dreißigjährigen Krieg multiperspektivisch in den Blick genommen zu haben. Auf diese Weise ist es nicht nur geglückt, die Erkenntnisse zu einzelnen Forschungsthemen auszubauen, sondern auch zahlreiche Forschungsdesiderate aufzuzeigen.
Kritisch sei allerdings angemerkt, dass die Gliederung des Bandes sowie die Zusammenfassung der einzelnen Beiträge zu thematischen Sektionen nicht immer überzeugt. Warum finden sich etwa nicht sämtliche Beiträge, die sich wesentlich auf Selbstzeugnisse beziehen, in der gleichnamigen Sektion? Weshalb wurde eine Sondersektion "Ausblick" eingefügt, wenn sich die beiden darin enthaltenen Beiträge der Erinnerungskultur bzw. Rezeption des Dreißigjährigen Krieges widmen, vergleichbar den Beiträgen der fünften Sektion? Da die Gliederung in der Einleitung der Herausgeber*innen zudem nicht konkret erläutert wird, bleiben diese Fragen unbeantwortet.
Von dieser Kritik abgesehen, ist es den Herausgeber*innen gelungen, einen weitgehend homogenen Sammelband zum Dreißigjährigen Krieg in den Ländern der Habsburgermonarchie zusammenzustellen, der der Forschung zum Dreißigjährigen Krieg vor Augen hält, dass die Habsburgischen Länder bislang zu Unrecht stiefmütterlich behandelt worden sind. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Ergebnisse und Anregungen des Bandes breit rezipiert werden.
Volker Arnke