Jürgen Luh (Hg.): Potsdamer Konferenz 1945. Die Neuordnung der Welt, Dresden: Sandstein Verlag 2020, 263 S., ISBN 978-3-95498-546-3, EUR 34,00
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Aus Anlass der 75. Wiederkehr der Potsdamer Konferenz vom 17. Juli bis 2. August 1945 hat die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten in Potsdam am historischen Ort eine temporäre Ausstellung eröffnet. Im Schloss Cecilienhof, dem letzten Wohnsitz von Wilhelm von Preußen - dem Sohn Kaiser Wilhelms II., das damals der Veranstaltungsort des Treffens der "großen Drei" war, ist sie dieser Tage zu besuchen.
Zur Ausstellung hat die Schlösserstiftung einen Begleitband - irrtümlicherweise wird er auf der Website als Katalog angepriesen - veröffentlicht, der die Konferenz in Erinnerung ruft. Er gibt mit 14 Aufsätzen zum einen einen Überblick über die an der Konferenz teilnehmenden Großmächte und ihre Intentionen. Zum anderen aber widmet er sich auch denjenigen Staaten, Regionen und Bevölkerungen, die nicht mit am Tisch saßen und für die die Konferenz jedoch einschneidende Auswirkungen besaß. Hier verhandelten drei Staatslenker faktisch darüber, was künftig - vereinfacht gesprochen - im Rest der Welt stattfinden sollte. Damit wird durch diesen Band ein unzutreffendes Bild korrigiert, das seit Jahrzehnten auch durch die Schulbücher geistert [1]: Die Konferenz sei ein abschließendes Meeting, das allein den Umgang der Sieger mit Deutschland (und Japan) regelte [das ist mehr als sehr verkürzt] und eben den Kalten Krieg eröffnete [das ist richtig].
Im Einzelnen: Die Konferenz fand im nicht zerstörten Potsdamer Norden statt, wohin die westlichen Delegationen fahren konnten, ohne den zerstörten Stadtkern in Augenschein nehmen zu müssen. Berlin kam als Veranstaltungsort wegen der Schäden in seiner Stadtmitte nicht in Frage. Um die Delegationen unterzubringen, wurden zahlreiche Häuser im Villenvorort Griebnitzsee beschlagnahmt. Die Versorgung wurde durch die Rote Armee sichergestellt und extra ein 6,80 Meter messender kreisrunder Tisch gebastelt. Stefan Gehlen verortet die Konferenz in Potsdam, indem er die sowjetischen Vorbereitungen der "Trophäenbrigade" unter der Zuständigkeit von Marschall Shukov und der Sicherheitsvorbereitungen für Josef Stalin detailliert beschreibt (20-33). Es war eine Konferenz im sowjetischen Machtbereich.
Philipp Gassert beschreibt die Sicht der USA auf die Konferenz: Die USA hatten die geringsten Menschenverluste der Siegermächte in diesem Krieg erlitten, ihre Wirtschaft profitierte vom Krieg und ihr Präsident Harry S. Truman und seine zurückhaltende Haltung ließen die Konferenz zum Sieg für Stalin werden. Deswegen ist sie in der Wahrnehmung der USA weniger das Ende des Zweiten Weltkrieges, sondern vielmehr der Beginn des Kalten Krieges (58f.).
Die Sowjetunion erlitt im Krieg horrende Verluste an Menschen und zerstörte, geplünderte Landschaften. Das Vorschieben seiner Grenze nach Westen entsprach nicht nur Stalins Sicherheitskalkül, sondern war auch Ausdruck seiner neuen Selbstwahrnehmung als weltpolitischer Akteur. Die Westverschiebung Polens wirkt im Beitrag von Jacob Riemer wie ein "Kuhhandel", den die amerikanische Delegation Stalin geradezu zu Füßen legte; in der Hoffnung, anderes später regeln zu können (79). Der Beitrag liest sich befremdlicherweise wie eine späte Anerkennung für die Leistungen der Roten Armee und den Überlebenswillen der Bevölkerung des heutigen Russlands.
Die britische Delegation saß zwischen den Stühlen: sie erkannte wohl als erste, welche Intentionen Stalin besaß und wie schwach die US-Delegation auftrat. Andererseits setzte gerade der vollkommene Zusammenbruch des Empires und der Wirtschaftskollaps Großbritanniens ein; hier rollt eine riesige politische Aufgabe auf die Regierung zu. Mit ihrer europäischen Agenda (91) konnte sie sich letztlich nicht durchsetzen. Dabei war den Briten schneller als anderen klar, wie Victor Mauer herausstellt, dass friedliche Stabilität in Europa schwierig zu erreichen wäre, wenn Deutschland gegen seinen Willen geteilt sei (94).
John Zimmermann lenkt den Blick von der "großen Politik" auf die Deutschen, die sich nach der Kapitulation mit den Verhältnissen und der Not arrangieren mussten. Er spannt geschickt Zeugnisse von Durchschnittsmenschen ein. Sie mussten als Mitglieder der "Volksgemeinschaft" von außen befreit werden, weil sie selbst im Krieg aus eigenem Antrieb dazu weder bereit noch fähig waren. Viele waren einfach nur froh, "dass alles vorbei ist und der Krieg ein Ende hat. Und wir wollen gar nichts mehr davon wissen" (109). Ausblendung als Überlebensstrategie und Geschichtsvergessenheit als Verhaltensmuster schien den deutschen Nachkriegsbürger zu kennzeichnen.
Für die in Lagern lebenden europäische Juden, wenn sie die Shoah überlebt hatten, stellten sich frei Fragen: wie geht es mit ihnen weiter, erleben sie eine Art Rückerstattung oder Entschädigung und gibt es eine Lösung in der Palästinafrage (143). Der sehr gute Beitrag von Thomas Brechenmacher beschreibt die damit zusammenhängenden Fragen als ein Problem zwischen der Mandatsmacht Großbritannien und den USA und wie sich beide Regierungen in dieser Frage bewegten. Letztlich sollte sich erst 1947/48 eine Klärung ergeben, nach der der Staat Israel entstand (154).
Die Rolle Japans und seiner führenden Klassen im Krieg, der in Ostasien mit Anschlägen bereits 1931 eingeleitet wurde und spätestens 1937 begann, betrachtet Robert Kramm. Er sieht das nach der Potsdamer Konferenz erfolgte Kriegsende als Umbruch in Ostasien und als zentrale Ursache für das Aufkommen neuer Hegemonien - die bis heute fortwirken (171).
Die schwierige Lage des nach Westen verschobenen Polens als Spielball zwischen Ost und West und unter erheblichen Umsiedlungen, die faktisch wie Vertreibungen wirkten (Beitrag von Krzysztof Ruchniewicz), die Rolle Frankreichs als Nebensieger, des Irans im Kräftefeld zwischen Großbritannien, der Sowjetunion und Chinas sowie ein umfassendes Literaturverzeichnis ergänzen den informativen Band.
All diese Beiträge werden durch die knappe Einführung von Jürgen Luh, der gewissermaßen das Protokollarische des Treffens skizziert, klug eingeleitet (13-17). Nach der Lektüre des Bandes wird sehr viel deutlicher, dass bei dieser Konferenz Stalin die Weltordnung in seinem Sinne neu regelte. Truman, Churchill und Attlee erscheinen beinahe wie Nebendarsteller - von den unter den Entscheidungen leidenden Statisten ganz zu schweigen. Um sie, die Juden in Europa, die vielen Vertriebenen aller möglichen Länder und andere hat sich keiner gekümmert.
Anmerkung:
[1] So pars pro toto: Buchners Kollege Geschichte 11/12, Ausgabe Brandenburg. Unterrichtswerk für die gymnasiale Oberstufe, Bamberg 2012, das in keiner Weise auf die über Deutschland als Ganzes hinausreichende Bedeutung der Konferenz hinweist.
Heiner Möllers