Sébastien Rossignol: Maiestas principum. Herzogsurkunden als Medien der Herrschaftsrepräsentation in Schlesien, Pommern und Pommerellen (1200-1325) (= Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien; 36), Wiesbaden: Harrassowitz 2019, XII + 446 S., ISBN 978-3-447-11176-8, EUR 89,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Sébastien Rossignol / Anna Adamska (Hgg.): Urkundenformeln im Kontext. Formen der Schriftkultur im Ostmitteleuropa des Mittelalters (13.-14. Jahrhundert), Wien: Böhlau 2016
Sébastien Rossignol untersucht in seiner Studie Herzogsurkunden aus den benachbarten Regionen Schlesien, Pommern und Pommerellen im Zeitraum von 1200 bis 1325. Zentrale Fragestellung ist, inwieweit diese Urkunden nicht nur den bloßen Rechtsinhalt widerspiegeln, sondern Medien der Herrschaftspräsentation und Kommunikation waren, wie etwa Heinrich Fichtenau, Peter Rück, Michael Lindner oder Hagen Keller meinen (1, Anm. 1). Rossignol rekonstruiert damit Entstehungs- und Rezeptionsprozesse dieser herzoglichen Urkunden und versucht, den Kommunikationsprozess hinsichtlich aller Beteiligten auszuleuchten. Im Fokus der Forschung stand bisher die Vermittlung von visuellen Eindrücken durch die Urkunden oder die Darstellung verschiedener Aspekte von Herrschaft besonders in den Arengen. Zurecht weist Rossignol darauf hin, dass die Schriftlichkeit in den Untersuchungsregionen ein Ergebnis der relativ späten Christianisierung Ostmitteleuropas gewesen sei und einen Kulturtransfer dargestellt habe.
In einem einleitenden ersten Kapitel thematisiert Rossignol, mit Rekurs auf die aktuelle Forschung, die Begriffe Schriftlichkeit, Macht, Herrschaft, Herrscherurkunden, Kommunikation und Medien sowie Herrschaftsrepräsentation und weist zurecht auf das reich überlieferte Urkundenkorpus Schlesiens, Pommerns und Pommerellens hin. Ziel seiner Studie sei die Integration verschiedener Forschungsfelder, so Herwig Wolframs Ansätze zur Intitulatio, Fichtenaus Studien zu Arengen, Rücks visuelle Rhetorik, verstanden als grafische Gestaltung der Urkunde, sowie Marc H. Smiths Ansatz zu den geschichtlichen Ergebnissen von Schriftlichkeit (26). Hiernach folgt ein umfangreiches zweites Kapitel, das die Gemeinsamkeiten, Unterschiede und die geschichtliche Situation der drei Untersuchungsregionen im betreffenden Zeitraum untersucht. Rossignol betont die territoriale Labilität der drei Regionen: die Zersplitterung Schlesiens sowie die Herrschaftsteilungen in Pommern und Pommerellen. Außerdem "entwickelten sich Schriftlichkeit und Urkundenwesen in Schlesien, Pommern und Pommerellen ganz anders" (84).
Im dritten Kapitel untersucht Rossignol die Intitulationes sowie deren Intentionen und Rezeptionen. Als wesentliches Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Kanzleien aller drei Regionen, obwohl unterschiedlich besetzt, jeweils regionale Identitäten konstruiert haben. Für Schlesien wird deutlich, dass die Intitulationes nicht der Außenwahrnehmung der Herzöge entsprachen. Dagegen nahmen die pommerschen Intitulationes Bezug auf die Slawen oder die Cassubia, während die pommerellisch-herzoglichen Kanzleien auf die Pomerania oder die Pomerani rekurrierten. Das vierte Kapitel untersucht den Stellenwert, die Botschaft und die Zielgruppen der Arengen. Hier führt Rossignol aus, dass die Arengen stetig wechselten, sich zumeist in den Dienst der Memoria stellten und oftmals den Empfängern vorgelesen wurden. Ab dem 14. Jh. wurden sie, sofern sich die Urkunde an einen weltlichen Empfänger richtete, meist vernachlässigt. Das fünfte Kapitel widmet sich der visuellen Rhetorik der Urkunden. Rossignol betont, dass die älteren Urkunden Schlesiens und Pommerns (Pommerellen wird hier nicht behandelt) eher schlicht gehalten waren (377) und erst allmählich charakteristische Merkmale der Urkundenschrift eingeführt wurden. Ein wichtiger Befund ist auch, dass herzogliche Urkunden in den untersuchten Räumen wohl stets ohne ein besonderes Zeremoniell übergeben wurden (378). Überraschend ist das Ergebnis, dass die grafische Gestaltung offenbar unabhängig von Empfänger und Inhalt war (377).
Das sechste Kapitel fasst die Ergebnisse der Studie zusammen. Rossignol hebt hervor, dass er Urkunden im Wesentlichen als Symbole einer sozialen und einer Herrschaftsordnung begreift (370). Damit lehnt er sich deutlich an Gerd Althoffs Schule an. Sie seien demnach Herrschaftszeichen gewesen, die von den Empfängern anerkannt werden mussten und daher einer entsprechenden inhaltlichen wie visuellen Gestaltung bedurften. Somit fand, Rossignol zufolge, eine Legitimation von Herrschaft durch die Intitulatio, die Arenga und die visuelle Rhetorik statt. Auf diese Weise untermauerten und verbreiteten die untersuchten herzoglichen Urkunden ihre jeweilige Herrschaftsideologie. Abschließend geht Rossignol auf die Frage ein, wie erfolgreich die Kanzleien und Herzöge hinsichtlich Herrschaftsrepräsentation und Kommunikation gewesen sind. Die Intitulationes hätten demnach nur in herzoglichen Urkunden, kaum aber anderen narrativen Quellen ihre Wirkung entfaltet. Eher seien die Arengen wirksam gewesen, da sie immer auf den Konsens mit den Empfängern abgezielt hätten. Die größte Wirkung auf die Empfänger habe jedoch die visuelle Rhetorik entfaltet (379). Ein Register der Orts- und Personennamen beschließt das Werk, dem an einigen Stellen eine sprachliche Überarbeitung gut getan hätte.
Rossignol hat für die vorliegende Studie rund 3000 edierte, 370 nichtedierte, weitere 400 Originalurkunden sowie 165 Kopien von Urkunden berücksichtigt und kann damit für sich beanspruchen, seine Forschung auf eine breite Quellenbasis gestellt zu haben. Wichtig und zukunftsweisend ist, dass Rossignol den Entstehungs- und Kommunikationsprozess sowie die Empfänger stärker in den Blick nimmt. Es gelingt Rossignol allerdings nicht, durchgängig die komplexen und quellenmäßig kaum fassbaren Kommunikationskonstellationen zu rekonstruieren. Auch folgt er keinen fundamental neuen Ansätzen [1], jedoch ist die Untersuchung von großen diplomatischen Korpora bezüglich dieser Fragen verdienstvoll, zumal der ostmitteleuropäische Raum hinsichtlich der Diplomatik schlechter erforscht ist als die westeuropäischen Urkunden. Die Anwendung verschiedener geschichtswissenschaftlicher Theorien macht die Studie Rossignols besonders interessant, da sie diese auf den Prüfstand stellt. Es zeigt sich, dass die urkundlichen Quellen nicht alle Fragen der modernen Mediävistik beantworten können. Perspektivisch könnte Rossignols Studie wertvolle Anstöße geben, Urkunden für weitergehende Fragen nutzbar zu machen, z.B. im Bereich der historischen Identitätsforschung gerade auch im ostmitteleuropäischen Raum. Für derartige Fragestellungen sind Urkunden eine noch zu wenig ausgewertete Quellengruppe. [2]
Anmerkungen:
[1] Vgl. Alexander Sauter: Fürstliche Herrschaftsrepräsentation. Die Habsburger im 14. Jahrhundert, Stuttgart 2003, besonders 65-98, 186-205.
[2] Über 30 000 edierte Urkunden mit Bezug zum Deutschen Orden konnten unter dieser Fragestellung erstmals ausgewertet werden bei Marcus Wüst: Studien zum Selbstverständnis des Deutschen Ordens im Mittelalter, Weimar 2013, 274-285.
Marcus Wüst