Rezension über:

Stephen Calloway / Caroline Corbeau-Parsons (eds.): Aubrey Beardsley, London: Tate Publishing 2020, 192 S., ISBN 978-1-84976-680-7, GBP 24,95
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Rezension von:
Lisa Hecht
Kunstgeschichtliches Institut, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Lisa Hecht: Rezension von: Stephen Calloway / Caroline Corbeau-Parsons (eds.): Aubrey Beardsley, London: Tate Publishing 2020, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 9 [15.09.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/09/34880.html


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Stephen Calloway / Caroline Corbeau-Parsons (eds.): Aubrey Beardsley

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Mit schlichter Eleganz trumpft der Katalog auf, den Stephen Calloway und Caroline Corbeau-Parsons für die monografische Ausstellung der Werke Aubrey Beardsleys (1872-1898) herausgegeben haben. Das in schwarzes Leinen gebundene Softcover wird auf der Vorderseite geschmückt von dem in Gold gedruckten Umschlagentwurf, den Beardsley für Thomas Malorys "Le Morte Darthur" gestaltete. Hinter dem Äußeren eines handlichen Coffee Table Buches verbirgt sich eine charmante und aufschlussreiche Lektüre, welche die Besucher und Besucherinnen der Tate Britain auf kurzweilige Art und Weise in die Bildwelten des englischen Illustrators einführt.

Die Londoner Ausstellung ist seit der großen Werkschau im Victoria and Albert Museum 1966 [1] die erste monografische Präsentation von Beardsleys Arbeiten in dieser Größenordnung. Stephen Calloway, der bereits 2011 mit seiner Ausstellung zum Aesthetic Movement [2] und zuvor mit Monografien über Oscar Wilde [3] und Aubrey Beardsley [4] in Erscheinung getreten ist, legt gemeinsam mit der Tate-Kuratorin für britische Kunst, Caroline Corbeau-Parsons, eine passende Publikation für die Ausstellung grafischer und buchkünstlerischer Werke vor. Insbesondere die geschmackvolle Gestaltung des gesamten Katalogs sei bereits an dieser Stelle nochmals hervorgehoben. Auf schwerem, mattem Papier wird ausschließlich mit Farbdrucken gearbeitet - ein bisher ungewöhnlicher Umgang mit den zumeist in Schwarz-Weiß gehaltenen Werken des Zeichners, der jedoch die detaillierten Qualitäten der ausgestellten Handzeichnungen erstmals umfänglich im gedruckten Buch sichtbar macht. Selbst Linda Gertner Zatlins zuletzt erschienener Catalogue raisonné arbeitet hauptsächlich mit monochromen Abbildungen. [5]

Insgesamt gliedert sich der Londoner Katalog in sieben kurze Aufsätze, die unterschiedliche Aspekte von Beardsleys Werk erläutern. Es schließt sich ein Katalogteil an, in welchem die einzelnen Abbildungen mit höchstens dreizeiligen Kommentaren versehen sind und in dem auf ausführlichere Analysen verzichtet wird. Letzteres überlässt man wohl weiterhin dem Werkverzeichnis aus Gertner Zatlins Feder.

Angelehnt an Joseph Pennells Essay "A New Illustrator", der 1893 im Magazin The Studio erschien und in dem der junge Zeichner erstmals einem breiteren Publikum vorgestellt wurde, meistert auch Stephen Calloway die Aufgabe, Beardsleys "highly developed eclecticism" (13) den heutigen Betrachtenden im ersten Aufsatz nahe zu bringen. Dabei setzt der Autor ganz auf die anhaltende Faszination, die Beardsleys früher Tod an seinem tuberkularen Leiden und sein schneller Weg zu Berühmtheit und Notorietät bis heute auf das Kunstpublikum hat. Während Calloway also das Bild eines dandyhaften Außenseiters mit Hang zum Frivolen und Perversen zeichnet, gelingt ihm wie nebenbei auch eine Skizze der wichtigsten Schaffensperioden des Künstlers: Von den präraffaelitisch inspirierten Malory-Illustrationen über den Proto-Jugendstil der berühmten "Salome", die skandalösen Bilder für das Yellow Book, die vom französischen Rokoko beeinflussten Zeichnungen für das Magazin The Savoy oder Alexander Popes "The Rape of the Lock", bis hin zu den Erotika der "Lysistrata"-Illustrationen. Zu bedauern ist lediglich die ausbleibende Besprechung von Beardsleys letzten Werken, die sowohl technisch als auch inhaltlich neue Akzente setzten. Dies holen auch die folgenden Aufsätze nicht nach.

Damit bleibt es auch in den meisten anschließenden Beiträgen bei zwar sehr interessanten Ansätzen, die jedoch kurz gehalten sind, sodass teils wegweisende Argumente nur skizziert werden können. So verweist Caroline Corbeau-Parsons auf nur vier Textseiten auf einige Beispiele für "Beardsley's free attitude to mythology" (27) und Emma Sutton legt mit ihrem Essay zu "Beardsley's Musical Work" (32-37) eine Art Abstract ihrer sehr lesenswerten Publikation zur Rezeption des britischen Wagnerismus im Werk des Zeichners vor. [6]

Klingen in Suttons Aufsatz bereits einige Gedankengänge zu einem möglicherweise parodistischen Grundprinzip in Beardsleys Ästhetik an, werden diese in Susan Owens folgenden Ausführungen zum Begriff der Satire in Beardsleys Salome-Illustrationen weitergedacht. [7] Neben ihren teils erhellenden Detailbeobachtungen zu den äußerst populären Bildern vertritt Owens die strittige Sichtweise, Beardsleys Illustrationen seien eine Attacke auf Oscar Wildes vermeintlich mediokren Text, und schließt die selbstironischen Züge in Wildes Einakter damit kategorisch aus.

Clare Barlow, Kuratorin an der National Portrait Gallery, gibt anschließend eine kleine Einführung in Beardsleys Erotika und räumt abermals mit dem tradierten Bild der viktorianischen Prüderie auf, wenn sie auf die "sheer diversity of Victorian sexuality and approaches to gender" hinweist. Auch die Fluidität, mit der Beardsley seine eigene sexuelle Identität inszeniert, wird hier thematisiert.

In den letzten beiden Essays scheinen schließlich überaus interessante Sichtweisen auf Beardsleys Schaffen und dessen Nachwirken auf. Joichiro Kawamura betrachtet erstmals für ein breiteres westliches Publikum nicht nur Beardsleys Japonismus, sondern vor allem seinen Einfluss auf die japanische Kunst des frühen 20. Jahrhunderts, der sich insbesondere in bibliophilen Magazinen niederschlägt. Daran schließt sich Rosamund Bartletts Aufsatz über die russische Begeisterung für Beardsleys Werke seit den 1890er Jahren an, die in so illustren Persönlichkeiten wie Sergei Diaghilev, Léon Bakst, Ida Rubinstein oder Alla Nazimova ihren Ausdruck findet.

Der angeschlossene Katalogteil zeichnet sich vor allem durch die zumeist hochauflösenden Farbabbildungen bisher selten zu findender Werke aus: Darunter beispielsweise diverse Buchumschläge, farbig gedruckte Plakatentwürfe, einen in blassem Violett gehaltenen Vorabdruck einer Lysistrata-Illustration, die so nicht umgesetzt worden ist, und sogar das bisher nur im Privatbesitz präsentierte Portrait von Beardsleys Schwester Mabel, verkleidet als elisabethanischer Page. Hervorzuheben ist außerdem der letzte Abschnitt des Katalogs, der unter dem Titel "After Beardsley" ausgesuchte und teils überraschende Erben von Beardsleys ästhetischen Einflüssen bis in der 2000er Jahre aufzeigt.

Der neueste Beardsley-Katalog stellt somit nicht nur ein ästhetisch gelungenes Buchprojekt dar. Es handelt sich zudem um eine empfehlenswerte Einführung in Beardsleys Œuvre für interessierte Leser und Leserinnen, die bereits ein grundlegendes Verständnis für die britische Kultur der 1890er Jahre entwickelt haben.


Anmerkungen:

[1] Brian Reade: Aubrey Beardsley, London 1966.

[2] Stephen Calloway / Lynn Federle Orr (eds.): The Cult of Beauty. The Aesthetic Movement 1860-1900 (Ausst.-Kat. Victoria and Albert Museum London), London 2011.

[3] Stephen Calloway / David Colvin: The Exquisite Life of Oscar Wilde, New York 1997.

[4] Stephen Calloway: Aubrey Beardsley, New York 1998.

[5] Lisa Hecht: Rezension von Linda Gertner Zatlin: Aubrey Beardsley. A Catalogue Raisonne, New Haven / London 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 5, verfügbar unter: http://www.sehepunkte.de/2017/05/30410.html (letzter Zugriff am 10.09.2020).

[6] Emma Sutton: Aubrey Beardsley and British Wagnerism in the 1890s, Oxford 2002.

[7] Susan Owen: Aubrey Beardsley, Salome and Satire, London 2003.

Lisa Hecht