Rezension über:

Juliane Hornung: Um die Welt mit den Thaws. Eine Mediengeschichte der New Yorker High Society in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Göttingen: Wallstein 2020, 384 S., 48 s/w-Abb., 166 Filmszenen, ISBN 978-3-8353-3771-8, EUR 42,00
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Rezension von:
Clemens Zimmermann
Historisches Institut, Universität des Saarlandes, Saarbrücken
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Clemens Zimmermann: Rezension von: Juliane Hornung: Um die Welt mit den Thaws. Eine Mediengeschichte der New Yorker High Society in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Göttingen: Wallstein 2020, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 11 [15.11.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/11/34925.html


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Juliane Hornung: Um die Welt mit den Thaws

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Margareth ("Peggy") und Lawrence ("Larry") Thaw gehörten in den 1920er und 1930er Jahren zu den prominentesten Figuren der New Yorker "High Society". Diese wird von Juliane Hornung als äußerst einflussreiche und stilbildende, zugleich "fluide" Gesellschaftsformation betrachtet. Sie basierte nicht allein auf Reichtum wie die "upper class" des "gilded age", die freilich fortexistierte. Sondern es war für die Angehörigen der nach 1900 hervortretenden "High Society" notwendig, für die Öffentlichkeit ständig sichtbar zu bleiben. Privates wird öffentlich verfügbar - in besonderen medialen Formen und hoch selektiv; der eigene Status muss immer wieder erneuert werden. Historische Voraussetzung für das neue Stratifikationsmuster war die Entfaltung der Konsumgesellschaft, die insbesondere "Freizeitvergnügen" und ein "jugendliches Schönheitsideal" prämierte. Da sich gleichzeitig Fotografien in der Gesellschaftsberichterstattung und in Anzeigen häuften, da auch das Radio und Wochenschauen über gesellschaftliche "Ereignisse" berichteten, konnten Frauen gehobener Schichten eine neue Rolle als Trendsetter übernehmen, nicht zuletzt im Bereich der Mode. Es ergab sich demnach eine neue historische Konstellation, bei der Medien und Bildagenturen sowie performative Akte demonstrativen Konsums in eine neue Relation zueinander traten. Gleichzeitig wuchs gerade das (nicht nur weibliche) Medienpublikum deutlich an, das sich für diese Akte sehr interessierte und wo nicht wenige glaubten, am Prominentenkult einmal selbst teilhaben zu können (41-45).

Dieser neue gesellschaftliche und mediale Zusammenhang wird von Juliane Hornung am Beispiel der Thaws demonstriert und differenziert erklärt. Die gesellschaftliche Karriere von "Peggy" war durch ihren Bildungsgang vorbereitet, sie war als 21-jährige in der Lage, "sich selbst medial sichtbar zu machen" (60), indem sie einmal in einer öffentlichen Aktion den Straßenverkehr regelte und ihre Konkurrentinnen dabei ausstach. Bei "Larry" kamen ein großes Vermögen und organisatorische Tatkraft dazu. Das Besondere an der Karriere der Thaws war, dass sie nicht nur medial und durch Präsenz an den 'richtigen' Orten (Clubs, Miami Beach, Baden-Baden) immer wieder in Erscheinung traten, sondern selbst Medien produzierten und sich eigene Öffentlichkeiten schufen. Ferner ist in ihrer Lebenskarriere die immense Reisetätigkeit auffallend, die allmählich professionell gestaltet wurde.

Diese begann mit Fotos und Amateurfilmen von den zahlreichen Europareisen, die das Paar nach Europa unternahm, und die dann im Freundeskreis oder in kleinen Foren vorgeführt wurden (96-106). Die filmische Eigenproduktion steigerte sich, als sich Lawrence Thaw moderne Medientechnik angeschafft hatte und die Arbeit opulenter und an professionellen Produktionen orientiert gestaltete. Schließlich weitete sich die mediale Sichtbarkeit der Thaws in den 1930er Jahren erheblich aus: Durch lange Reisefilme, die mit starker Unterstützung von professionellen Spezialisten gestaltet wurden, und die an Filmgesellschaften verkauft werden konnten. Selbst im "National Geographic" erschienen Reiseberichte, die den Anspruch erhoben, "wissenschaftlichen" Charakter zu haben - so konnte deren Glaubwürdigkeit erhöht werden und es eröffnete sich ein Millionenpublikum. So verknüpft die Autorin das Feld der "Wissensgeschichte" mit dem der "Wissenschaftsgeschichte". Ferner genügte es dem Paar nicht, technisch einwandfreie Expeditionsberichte z.B. über Kenia zu erstellen. Trotz aller persönlichen Freundlichkeit einheimischen Helfern gegenüber achteten die beiden Protagonisten auf Distinktion und blieb die kolonialistische Hierarchie ("Zivilisation" gegen "Natur") auch in den Arrangements und Symbolgehalten der Filme gewahrt.

Beim Buch von Juliane Hornung handelt es sich keineswegs allein um das medialisierte Lebens eines Glamour-Paares (lange vor dem Zeitalter heutiger medialer Selbsttechnologien), sondern es werden wichtige Felder der Kultur- und Zeitgeschichte ausgeleuchtet: Zeitrhythmen, Geschlechterrollen und Kolonialismus. Die Autorin schöpft das heutige kultur- und medienwissenschaftliche Begriffsrepertoire perfekt aus und ordnet ihre Beschreibungen auf eine strenge analytische Weise ein. Ferner zeigt sich eine äußerst genaue Recherche, die den Geografien besuchter Orte und Länder nachgeht, die sozialen Kontakte des Paares sowie den finanziellen und technischen Aufwand der Reisen ermittelt. Auch stadtgeschichtlich ist das Werk relevant, wenn die angesagten Orte New Yorks vorgestellt werden oder die modernistische Architektur der Türkei erscheint. Trotz des elaborierten begrifflichen Tableaus, das Hornung anwendet, wird man bei der Lektüre gut unterhalten, etwa der Kühlschrank im gigantischen Wohnmobil, in dem die Thaws zuletzt reisten, entbehrt nicht der Kuriosität. Zentral im Text ist die Ausdeutung der "Travelogues". Es wird klar, dass in den Filmen der Thaws ein typisch "modernes" und amerikanisch geprägtes Weltbild erscheint. Insgesamt: "Peggy" und "Larry" betrieben ihre soziale und mediale Karriere zielgerichtet und nachdrücklich, aber sie waren trotz der Zuschreibungen eines "Celebrity"-Charakters doch praktische Naturen.

Solche individuellen Züge und die Verankerung der Thaws speziell im Milieu New Yorks erweisen zugleich, dass man die Studie nicht einfach generalisieren kann. Die Verfasserin ist selbst hinsichtlich der Verallgemeinerung ihrer Befunde zurückhaltend. So wird angedeutet, dass seit den 1930er Jahren Hollywood die Metropole am Hudson im Bereich der Populärkultur in den Schatten stellte. Die Studie wirft erheblich Licht auf die soziologischen Aspekte der untersuchten Formation, aber sie tut das nicht mit einem Anspruch auf Repräsentativität im soziologischen Methodenverständnis. Indes, der erhobene Anspruch, Außen- und Binnenperspektiven auf allen Darstellungseben zu verbinden, konnte deswegen realisiert werden, weil die Quellenbasis des Buches geradezu traumhaft ist. Neben der reichhaltigen Presseausschnittsammlung, die im Archiv der Nachfahren der Thaws aufzufinden war, wurde auch weiteres Pressematerial berücksichtigt. Es standen fast sämtliche Filme, die von den Thaws selbst produziert wurden, zur Verfügung wie auch die Tagebücher von "Peggy", dazu amtliches Material und die publizistischen Diskurse. Schließlich fügte Juliane Hornung nicht weniger als 166 Filmszenen bei, teils Ausschnitte aus den Produktionen der Thaws, teils zeitgenössisches Filmmaterial. Dies wurde durch die technische und finanzielle Unterstützung der Gerda-Henkel-Stiftung ermöglicht, technisch gelang dies durch die Umsetzung dieses visuellen Materials in QR-Codes. Leserinnen und Leser benötigen also neben dem Buchtext ein Smartphone, um die Codes einzulesen.

Diese erhellende, transparent organisierte und sehr kritisch operierende Studie leistet zur Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts, zur amerikanischen Gesellschaftsgeschichte und zur Geschichte der Dekolonisierung einen ganz eigenständigen und erheblichen Beitrag.

Clemens Zimmermann