Nadine Fink / Markus Furrer / Peter Gautschi (eds.): The Teaching of the History of One's Own Country. International Experiences in a Comparative Perspective (= Forum Historisches Lernen), Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2020, 359 S., ISBN 978-3-7344-0983-7, EUR 39,90
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Peter Gautschi / Armin Rempfler / Barbara Sommer Häller (Hgg.): Aneignungspraktiken an ausserschulischen Lernorten. Tagungsband zur 5. Tagung Ausserschulische Lernorte der PH Luzern vom 9. und 10. Juni 2017, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2018
Peter Gautschi / Barbara Sommer Häller (Hgg.): Der Beitrag von Schulen und Hochschulen zu Erinnerungskulturen, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2014
Markus Furrer / Kurt Messmer (Hgg.): Handbuch Zeitgeschichte im Geschichtsunterricht, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2013
Wie unterrichte ich identitätsgeladene Geschichte? Die Frage, wie Geschichte an SchülerInnen vermittelt werden soll, die, je nach Sprache, ethnischer Zugehörigkeit, Glauben, sozialer Klasse und Geschlecht unterschiedliche historische Erfahrungen haben, stellt sich nicht erst seit dem brutalen Mord am französischen Geschichtslehrer Samuel Paty, nachdem dieser im Unterricht zur Meinungsfreiheit Mohamed-Karikaturen gezeigt hatte. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit ist immer pluralistisch. Je nachdem, welche Aspekte ihre Erzählung privilegiert, beziehungsweise auslässt, inkludiert oder exkludiert sie.
Der von Nadine Fink, Markus Furrer und Peter Gautschi unter dem Titel "The Teaching of the History of One's Own Country" herausgegebene Sammelband beschäftigt sich mit einem besonders emotionsgeladenen historischen Gegenstand, nämlich der Geschichte "des eigenen Landes". Es geht den HerausgeberInnen um die Frage, wie der Geschichtsunterricht "dazu beitragen kann, Geschichte im Allgemeinen und des eigenen Landes im Besonderen kritisch zu vermitteln." (9) Sie ersetzen dabei bewusst den politischen Begriff "Nationalgeschichte" durch die Benennung Geschichte des "eigenen Landes", um "den historischen Bezug zu einem Gebiet, das von der Vormoderne über die Heranbildung des Nationalstaates bis zur Gegenwart" reicht, zu ermöglichen. (17) Dieses Vorgehen erinnert an die von Michel Pauly geprägte "metanationale" Herangehensweise, mit der Pauly 2011 die Geschichte des heutigen Luxemburger Staates in den geographischen Raum der Großregion einordnete. (Pauly, 2011) [1] Trotz des Bezugs auf einen geographischen anstelle eines politischen Rahmens, mit dem Fink, Furrer und Gautschi die national-identitäre "Containerfalle" (17) vermeiden wollen, bleibt der Titel allerdings problematisch. Durch den Gebrauch des Possessivpronomens "one's", das durch das "own" noch verstärkt wird, bekommt die kollektivschaffende Perspektive auf das Thema implizit mehr Gewicht, auch wenn die HerausgeberInnen das kollektive "wir" in der Einleitung als "mentales Konstrukt" darstellen. (17) Ihre Entscheidung erklärt sich teilweise durch ihre schweizerische Optik. Nadine Fink, Markus Furrer und Peter Gautschi lehren an Hochschulen in Lausanne und Genf. Die Studie, die dem Buch zugrunde liegt, wurde mit der Unterstützung des Schweizerischen Staatssekretariats für Bildung und Forschung realisiert. In der Einleitung heißt es explizit, der Schweiz sei abgesprochen worden ein "klassischer Nationalstaat zu sein, da das Land sowohl sprachlich wie konfessionell und kulturell äusserst heterogen [sei] und politische vormoderne Strukturen aus zusammengefügten kantonalen Kleingesellschaften weiter[trage]". (17) Dem Buch merkt auch sonst seine helvetische Herkunft an. Sechs der fünfzehn Fallbeispiele beschäftigen sich mit der Situation der deutsch- und der französischsprachigen Schweiz, was insbesondere bei den Aufsätzen von Markus Furrer und Lyonel Kaufmann "'Mittendrin' oder 'aussen vor'" (124-151) und von Nadine Fink und Peter Gautschi "Spécificités des leçons d'histoire de son propre pays" (152-169) zu einigen inhaltlichen Wiederholungen führt. Für den Umstand, dass, die italienisch- und die romanischsprachigen Kantone keine Erwähnung finden, bleiben die HerausgeberInnen eine Erklärung schuldig.
Wie künstlich die angestrebte Distanzierung von der politischen Staatsgeschichte bleibt, zeigt sich an der Tatsache, dass sich nicht alle AutorInnen des Sammelbandes an die Vorgaben der HerausgeberInnen halten. Der von Akiko Utsunmya und Nobuyuki Harada unterzeichnete Aufsatz stellt zwar im Titel die Frage "Wie wird die Geschichte des eigenen Landes in japanischen Schulen vermittelt?", doch im dritten Abschnitt kündigen die Autoren an, der Frage nachgehen zu wollen, wie "nationale Identität im Geschichtsunterricht und in den Bildungsmedien vermittelt wird". (233)
Eine hervorzuhebende Leistung des Buches ist es, dass es sich sowohl mit der Untersuchung von Lehrmitteln und ihren Inhalten als auch mit dem Gestaltungsspielraum der Unterrichtenden befasst. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Finalität des Geschichtsunterrichts in den von ihnen untersuchten Gebieten gerichtet. Ob es sich um ein postkoloniales Land wie Kamerun, einen mehrsprachigen Staat wie Belgien oder ein Einwanderungsland mit einer dominierenden kanadisch-französischen Bevölkerung wie die kanadische Provinz Quebec handelt: Die Befähigung zum kritischen Denken gehört überall zu den Kompetenzzielen der Geschichtskurse. Es fällt auf, dass die durch die staatlichen Rahmenrichtlinien vorgegebenen Inhalte das Narrativ der dominierenden Gesellschaft eines bestimmten geographischen Raumes widerspiegeln und eine assimilatorische Wirkung zeigen sollen. Zu welchen Herausforderungen dies führen kann, wenn die Gesellschaft "des eigenen Landes" konfessionell heterogen ist, zeigt der historische Aufsatz von Helene Mühlenstein "'So lebt der Verfasser entschieden auf katholischem Standpunkte'. Konfessionalismus in Deutschschweizer Schulgeschichtsbüchern, 1870-1970" (106-123), der vor den bereits erwähnten Ereignissen in Frankreich eine aktuelle Dimension bekommt.
Die Texte, die sich mit dem performativen Aspekt des Unterrichts befassen, unterstreichen, dass es von den Lehrpersonen abhängt, ob sie trotz Unterrichtsmaterials, das den "roman national" in den Vordergrund stellt, mit ihren SchülerInnen auf die Vielschichtigkeit von Identitäten eingehen. An Geschichtsunterrichtsbeispielen aus Staaten, die aus Ex-Jugoslawien entstanden sind, zeigen die Aufsätze von Ljiljana Milincovic "Geschichtsunterricht in Serbien" (309-323) und Ivan Maros "Geschichtsvermittlung in Bosnien und Herzegowina" (324-335), was der Geschichtsunterricht gegen die Dämonisierung der anderen und die bedingungslose positive Konnotation der eigenen Gemeinschaft zu unternehmen imstande ist und woran er scheitern kann.
Die detaillierte Einführung der HerausgeberInnen, die gleichzeitig eine Synthese der Aufsätze liefert, liegt in den Sprachen Deutsch, Französisch und Englisch vor. Alle anderen Aufsätze des Buches sind entweder auf Deutsch oder auf Französisch oder auf Englisch verfasst. Diese Tatsache stellt gleichzeitig eine Stärke und eine Schwäche des Sammelbandes dar. Stärke, weil keine argumentativen Nuancen durch die Übersetzung verloren gehen. Und dies ist bei einem so heiklen identitären Thema wichtig. Schwäche, weil die LeserInnen der drei Sprachen mächtig sein müssen, um die Querverbindungen zwischen den Fallstudien herstellen zu können. Sehr positiv zu bewerten ist auch die Tatsache, dass die HerausgeberInnen nicht nur auf die universitäre Forschungsresultate zurückgegriffen haben, sondern auch Lehrkräfte zu Wort kommen lassen und damit die Frage nach dem Stellenwert des Geschichtsunterrichts an der Schule empirisch verankern.
Die HerausgeberInnen haben ihren einleitenden Text mit dem Untertitel "Eine besondere Herausforderung für Wissenschaft und Praxis" versehen. Der global und komparativ angelegte Aufsatzband liefert eine solide Bestandsaufnahme der komplexen Frage, wie die Geschichte des eigenen Landes an Schulen vermittelt wird.
Anmerkung:
[1] Michel Pauly: Geschichte Luxemburgs, München: C.H. Beck 2011.
Marie-Paule Jungblut