Peter Landau: Juristen jüdischer Herkunft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Mit einem Nachwort von Michael Stolleis, München: C.H.Beck 2020, 110 S., ISBN 978-3-406-76183-6, EUR 22,00
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Wenn ein Buch, 27 Jahre nach der Erstveröffentlichung in einem Sammelband [1], rezensiert wird, bedarf es der Rechtfertigung. Der 1993 beteiligte Mitherausgeber beklagt in seinem aktuellen Nachwort, dass Landaus gewichtiger Beitrag seinerzeit kaum rezipiert wurde. Der Neudruck erfolgt unverändert, sodass die Verweisungen auf zahlreiche Beiträge des Sammelbandes nachvollzogen werden können. Der Hauptteil gliedert sich in einen familiengeschichtlichen Einstieg, die Berufe der juristischen Praxis und schwerpunktmäßig die wissenschaftlichen Disziplinen.
Als zeitlichen Rahmen setzt Peter Landau das Gesetz des Norddeutschen Bundes zur staatsbürgerlichen Gleichstellung der Glaubensjuden vom 3. Juli 1869, das unverändert im Deutschen Reich von 1871 galt, und das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933, das den Juden die rechtliche Gleichstellung entzog.
Landau gibt Hinweise auf zeitgenössische, auch heute noch nützliche Literatur. Als größte Leistung zur deutschen Rechtsgeschichte nennt er das im europäischen Rahmen einzigartige Monumentalwerk "Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft" mit Ernst Landsbergs Bänden über den Zeitraum 1700-1880. Landsberg wurde in Zürich als erster Glaubensjude 1904 zum Rektor einer Universität im deutschen Kulturraum gewählt, gefolgt von Heinrich Rosin, einem der Väter des modernen Sozialrechts, im badischen Freiburg.
Während nach dem Emanzipationsgesetz Ernennungen jüdischer Richter erfolgten, herausragend die des Heidelberger Handelsrechtlers Levin Goldschmidt an das Bundesoberhandelsgericht des Norddeutschen Bundes in Leipzig 1870, blieb vielen jüdischen Richtern aufgrund eines in Teilen der Gesellschaft wirksamen antijüdischen Ressentiments die weitere Beförderung versagt. Juristen jüdischer Herkunft hatten es leichter, wie im Fall des ersten Präsidenten des neu errichteten Reichsgerichts, Eduard von Simson. Erst die Weimarer Republik steigerte den Anteil jüdischer Richter in höheren Positionen.
Als liberale Rechtspolitiker leisteten jüdische Juristen Grundlegendes für die Vereinheitlichung der deutschen Rechtssysteme im Kaiserreich, vor allem der nationalliberale Rechtsanwalt Eduard Lasker, mit dessen und Johannes Miquels Novelle die Gesetzgebungskompetenz des Reiches sich 1873 auf das gesamte Zivilrecht erstreckte, Voraussetzung für die Erarbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Unbestritten orientierten sich die Juden überwiegend zu den liberalen Parteien. Landau nennt für die jüdische Abstinenz von den Konservativen das antisemitische Tivoli-Programm der Deutschkonservativen von 1892, übersieht aber einen den Freikonservativen nahestehenden Rothschild im Preußischen Herrenhaus. Für die Weimarer Republik geht Landau auf die jüdischen und jüdischstämmigen Minister und Staatssekretäre ein, wobei er nicht etwa den Urheber der Weimarer Reichsverfassung Hugo Preuß [2], sondern den wenig beachteten langjährigen Justiz-Staatssekretär Curt Joel, unter Brüning zuletzt Reichsjustizminister, zum politisch einflussreichsten Juristen jüdischer Herkunft der Republik erklärt. Eine Ausnahmerolle in der konservativ dominierten Justiz spielte der Herausgeber der Zeitschrift des peripheren Republikanischen Richterbundes, "Die Justiz", Wilhelm Kroner, der mit einer scharfen Urteilsschelte auf das skandalöse Marburger Urteil gegen Reichspräsident Ebert reagierte.
Die fachliche Bedeutung der Juristen erkennt Landau unter anderem in der Gründung von Instituten, wissenschaftlichen Zeitschriften sowie als Herausgeber und Verfasser grundlegender Schriften, beispielsweise durch den international renommierten Professor Ernst Rabel, der 1926 das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, das zweitälteste der heutigen juristischen Max-Planck-Institute, gründete, 1927 die inzwischen nach ihm benannte "Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht". [3]
Viele jüdische Anwälte engagierten sich als Herausgeber und Redakteure juristischer Zeitschriften, wie der Juristischen Wochenschrift seit 1872. Die Deutsche Juristen-Zeitung erschien seit 1896 im jüdischen Verlag Otto Liebmann, der die großen akademischen Kommentare um für die Praxis geeignetere Kurzkommentare ergänzte. Landau würdigt nachdrücklich die Leistung Liebmanns als wesentlich für den Verlag C.H. Beck, der dessen Verlag Ende 1933 übernahm. [4] Liebmanns bedeutendster Kurzkommentar war derjenige zum BGB, verfasst von zwei jüdischen Juristen und einem dritten, abgelöst 1939 durch den "Palandt", der seinen Vorläufer immer noch ignoriert. Bis heute erscheint der Großkommentar zum BGB von Julius Staudinger, an dessen neun Auflagen vor 1933 vorwiegend Anwälte jüdischer Herkunft gearbeitet hatten.
Die Disziplinen der Rechtswissenschaft spezialisierten sich im Berichtszeitraum weitgehend. Hier seien nur wenige schlagende Beispiele aus zwei Disziplinen angeführt. Landau weist nach, wie jüdische Autoren führend die Etablierung des Handelsrechts und des Zivilprozessrechts als zivilrechtliche Spezialgebiete betrieben. Levin Goldschmidt, 1875 auf den ersten Speziallehrstuhl in Berlin berufen, war schon am Handelsgesetzbuch des Deutschen Bundes von 1861 beteiligt. Den maßgeblichen Großkommentar zum Handelsgesetzbuch von 1861 mit 11 Auflagen in 30 Jahren verfasste der Berliner Anwalt Hermann Makower. Zu dem neuen, den Bestimmungen des BGB angepassten Handelsgesetzbuch schuf der Berliner Anwalt Hermann Staub den maßgeblichen Kommentar mit 14 Auflagen bis 1933 und Folgeauflagen bis heute. Im Zivilprozessrecht führte der Jurist jüdischer Herkunft Friedrich Stein, Professor in Halle und Leipzig, Gaupps Kommentar zur Zivilprozessordnung ab der 4. Auflage 1901 fort und entwickelte ihn zum Großkommentar. Neuauflagen erscheinen bis heute als Stein/Jonas.
Ein Gerechtigkeitsdenken aus jüdischen Quellen ist laut Landau bei den untersuchten Juristen nicht nachweisbar. Die gerade von Juden gepflegte, nach 1945 zurückgewonnene offene Weltbürgerlichkeit sollte auch in der Gegenwart bewahrt werden.
Erstaunlich und auch heute noch nützlich ist die Breite der dargelegten Fachkenntnisse über die zahlreichen Spezialdisziplinen hinweg. Zu bedauern ist die nicht immer trennungsscharfe Differenzierung zwischen Glaubensjuden und Konvertiten jüdischer Herkunft, etwa im Fall des Konvertiten Rabel. Indem Landau Juden, Konvertiten und arithmetische "Mischlinge" gleichermaßen behandelt, orientiert er sich am Verfolgungsschema des Unrechtsregimes, nivelliert aber ihre unterschiedliche Wahrnehmung und Verfolgung. Auf einen Nachtrag wesentlicher Forschungsliteratur aus fast drei Jahrzehnten wurde verzichtet. Man vermisst eine Untergliederung des Inhaltsverzeichnisses und, angesichts von hunderten Namensnennungen, ein Register.
Anmerkungen:
[1] Harald Franzki / Helmut Heinrichs / Klaus Schmalz / Michael Stolleis (Hgg.): Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993, 133-213.
[2] Dian Schefeld: Ein jüdischer Gründungsvater der deutschen Demokratie. Hugo Preuß, Essen 2018.
[3] Rolf-Ulrich Kunze: Ernst Rabel und das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Göttingen 2004.
[4] Uwe Wesel / Hans Dieter Beck: 250 Jahre rechtswissenschaftlicher Verlag C.H. Beck 1763-2013, München 2013, 115-137.
Horst Sassin