Markus Friedrich / Monika E. Müller (Hgg.): Zacharias Konrad von Uffenbach. Büchersammler und Polyhistor in der Gelehrtenkultur um 1700 (= Wissenskulturen und ihre Praktiken / Cultures and Practices of Knowledge in History; Bd. 4), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2021, VIII + 430 S., 14 Abb., 3 Tbl., ISBN 978-3-11-060531-0, EUR 89,95
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Markus Friedrich: Die Geburt des Archivs. Eine Wissensgeschichte, München: Oldenbourg 2013
Mit dem Erscheinen der vierbändigen Bibliotheca Uffenbachiana universalis zwischen 1729 und 1731 legte Zacharias Konrad von Uffenbach (1683-1734) sein Lebenswerk in komprimierter und systematisierter Gestalt vor, um sich gleichzeitig davon zu verabschieden. Der nur wenige Jahre später aus dem Leben scheidende Büchersammler wollte mit den gedruckten Auktionskatalogen die Veräußerung eines Großteils seines Privatbestandes vorantreiben, der mit etwa 40.000 Einheiten - darunter mehrere tausend Handschriften - als einer der damals umfassendsten im deutschsprachigen Raum galt. Nur bedingt erfüllten sich Uffenbachs Intentionen, die Kollektionen möglichst umgehend und ungeteilt abzugeben. Eine beträchtliche Anzahl der heute erhaltenen Bände lagert in der Staats- und Universitätsbibliothek in Hamburg. Der hier anzuzeigende Sammelband ist das verschriftlichte Ergebnis der dort 2018 abgehaltenen Tagung, mit der sich die Teilnehmenden gezielt dem Vermächtnis der Uffenbachiana annäherten.
Dabei nimmt die Zusammenstellung weniger die biografische Betrachtungsebene in den Blickpunkt als vielmehr diejenigen Handlungsfelder, die Einfluss nehmende Wirkungskräfte auf die frühneuzeitliche Gelehrtenkultur entfalteten. Selbstredend sind also die "medialen, pragmatischen und materiellen Bedingungen der Text- und Wissensproduktion" (63) von primärem Interesse. Im Gegensatz zur klassischen Geschichtsschreibung ist bei dieser strukturorientierten Herangehensweise der Protagonist als textschaffender Akteur nur von sekundärer Bedeutung. Uffenbach, der selbst als Autor kaum in Erscheinung trat, verkörpert indes die vormoderne Praxis des Sammelns, auf deren Basis das menschliche Wissen eine fundamentale Neuordnung und Horizonterweiterung erfuhr. [1]
Bereits früh bildete die Kumulation von Schriften eine elementare Triebfeder seines Handelns, daneben erwarb Uffenbach zeitweise auch Münzbestände und Antiquitäten. Ausgedehnte Reisen, zahlreiche Briefwechsel sowie der Aufbau und die Pflege eines Netzwerkes von Kontaktpersonen und Mittelsmännern für Kauf- und Tauschgeschäfte erwiesen sich dafür als hilfreich und notwendig zugleich. Die nahezu unerschöpfliche Tätigkeit als Büchersammler ging im Gleichschritt mit der Anlegung einer eigenen Bibliothek, die über ein rein habituell bedingtes Repräsentationsobjekt hinausgehend zweckdienliche Funktionen erfüllen sollte. Denn im Unterschied zu vielen damaligen Fürsten-, Kirchen-, oder auch Ratsbibliotheken stellte Uffenbach seine Kollektionen als "öffentliche Privatbibliothek" (207) gezielt fachinteressierten (gelehrten) Personen praktisch zur Verfügung.
Die 14 thematischen Beiträge des Tagungsbandes extrahieren vorrangig einzelne inhaltliche Facetten. Deren Anordnung folgt der Leitlinie, sukzessive den "Sammler", die "Sammlung" und das "Sammeln" in den Vordergrund der Betrachtung zu rücken. Diese drei Aspekte sind als zentrale Gravitationspunkte der Darstellung gedacht, um die historischen, philosophischen sowie wissens- und kulturgeschichtlichen Kontexte des europäischen Gelehrtendaseins um 1700 greifbar zu machen.
Nach einer einführenden Verortung der Person in seine damaligen Wirkungskreise und der darin angewandten kommunikativen Praktiken (Helmut Zedelmaier) nehmen die folgenden Beiträge (Julia A. Schmidt-Funke, Frank Fürbeth) Uffenbachs Heimatort - die Reichs- und Messestadt Frankfurt am Main - unter dem Gesichtspunkt bibliophiler patrizischer Sammlertätigkeiten näher in den Blick. Die Beschaffenheit und Organisation damaliger Bibliotheken behandelt der Beitrag von Axel E. Walter im Hinblick auf Uffenbachs kritische Verarbeitung derselben in seinen Reisenotizen. Die Ausführungen von Heike Düselder zum Aufenthalt des Gelehrten in Lüneburg im Jahr 1710 und seiner Bestandsaufnahme der dortigen Buchsammlungen und Kuriositätenkabinette knüpfen direkt daran an. Gemäß der Konzeption des Bandes stehen zweitens Uffenbachs eigene Kollektionen im Fokus, etwa am Beispiel von ihm erworbener griechischer Manuskripte (Friederike Berger) und weiterer Handschriften, die ebenso in den Besitz der heutigen Universitätsbibliothek Leipzig gelangten (Katrin Sturm). Inwiefern der Sammler bei seiner Vorliebe für seltene und ausgewählte Exemplare sich der Macht der Bilder nicht entziehen konnte, akzentuiert der Beitrag von Monika E. Müller über die zum Inventar der Uffenbachiana gehörenden illuminierten und dekorierten Handschriften. Markus Friedrich folgt hingegen der Spur der von Johann Heinrich Ott (1617-1682) verfassten Exzerpte zum Wirken der Täufer in Zürich, indem er deren Besitzwechsel minutiös rekonstruiert und dabei den Aspekt der Nutzbarmachung dieser Exemplare für die Geschichtsschreibung hervorhebt. Der dritte und abschließende Schwerpunkt widmet sich Fragestellungen, deren Beantwortung dazu beiträgt, die mannigfaltigen Handlungszusammenhänge des Sammelns als gelehrte Praxis im frühen 18. Jahrhundert auszuleuchten: Zu welchen Personenkreisen pflegte Uffenbach brieflichen Kontakt (Ines Peper, Jacob Schilling)? Nach welcher Maßgabe klassifizierte er den eigenen, zum Verkauf freigegebenen Schriftfundus (Marcus Stiebing)? Welche Erwerbskanäle boten sich ihm sowohl für die Vergrößerung als auch für die anvisierte Veräußerung seines Privatbestandes (Mona Garloff)? Und wie positionierte sich Uffenbach gegenüber der voranschreitenden Methode, naturkundliche (hier speziell: anatomische) Kabinette zum Zwecke des Erkenntnisgewinns anzulegen respektive auszustellen (Sebastian Pranghofer)?
Exponiert war Uffenbachs Stellung in der Gelehrtenwelt um 1700, wenn man die aufgezeigten Rollen als Büchersammler, Korrespondent, Bibliothekar und Polyhistor zusammenaddiert. Daran gemessen ist die Aufmerksamkeit seitens der historischen Forschung bisher unterrepräsentiert. Der Tagungsband wirkt dem entgegen, indem die einzelnen - durchweg gut lesbaren, materialreichen und kritisch reflektierenden - Beiträge Lücken schließen und komplexe Beziehungsgefüge veranschaulichen. Die umfangreichen Register (Personen, Orte, Handschriften) am Ende reflektieren die breite inhaltliche Streuung des Werkes. Der an mehreren Stellen exemplarische Charakter einzelner Aufsätze ist zweifelsohne der Herausforderung geschuldet, die der unermessliche Schriftbestand, den Uffenbach zeitlebens besessen und produziert hatte, an die Historikerzunft zur Aufarbeitung stellt. Unweigerlich in den Hintergrund lässt diese Zusammenstellung diverse Abschnitte aus seinem Lebenslauf treten: Die Tätigkeiten an der Spitze des Frankfurter Stadtregiments werden zum Beispiel nur marginal behandelt, was bemerkenswert ist, denn die "Veräußerung eines Teils seiner Bibliothek war die Konsequenz [davon] und hatte gleichermaßen deren Spezialisierung zur Folge" (294).
Realiter bildete der Übergang vom universalen Anspruch zur inhaltlichen Verengung eine zentrale Leitfolie der Wissensordnung des 18. Jahrhunderts. Uffenbach personifizierte diesen Prozess und dem vorliegenden Band gelingt es, das ihm inhärente Spannungsverhältnis offenzulegen. In der Summe wird der Anspruch, sein Auftreten und seine Praktiken in einen breiteren Kontext einzuordnen, in beeindruckender Manier erfüllt.
Anmerkung:
[1] Anke te Heesen / Emma C. Spary (Hgg.): Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung, Göttingen 2001.
Marc Banditt