Rezension über:

Dorothea Wendebourg / Euan Cameron / Martin Ohst (Hgg.): Sister Reformations III - Schwesterreformationen III. From Reformation Movements to Reformation Churches in the Holy Roman Empire and on the British Isles - Von der reformatorischen Bewegung zur Kirche im Heiligen Römischen Reich und auf den britischen Inseln, Tübingen: Mohr Siebeck 2019, XXII + 630 S., ISBN 978-3-16-158933-1, EUR 184,00
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Rezension von:
Benedikt Brunner
Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Christian Volkmar Witt
Empfohlene Zitierweise:
Benedikt Brunner: Rezension von: Dorothea Wendebourg / Euan Cameron / Martin Ohst (Hgg.): Sister Reformations III - Schwesterreformationen III. From Reformation Movements to Reformation Churches in the Holy Roman Empire and on the British Isles - Von der reformatorischen Bewegung zur Kirche im Heiligen Römischen Reich und auf den britischen Inseln, Tübingen: Mohr Siebeck 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 6 [15.06.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/06/35197.html


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Dorothea Wendebourg / Euan Cameron / Martin Ohst (Hgg.): Sister Reformations III - Schwesterreformationen III

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Der dritte Band über die Schwesterreformationen auf dem Kontinent und den britischen Inseln zeigt neuerlich, wie fruchtbar diese vergleichende Perspektive sein kann. Er dokumentiert Beiträge von der dritten deutsch-englischen Tagung, die im April 2018 an der Humboldt-Universität in Berlin stattfand. Entsprechend des Programms dieser Tagung versammelt der Band 18 Beiträge zu vier übergeordneten Themen. Im Zentrum des Bandes steht die Frage nach den Wegen und Formen der Institutionalisierung der reformatorischen Impulse. Obschon einige Beiträge thematisch auch in einen der vorherigen Bände gepasst hätten, etwa jener zu Ehe, Familie und Haus oder auch Dorothea Wendebourgs Beitrag zum Gottesdienst. Diese Schnittmengen verdeutlichen aber den engen Konnex zwischen den einzelnen Schwerpunktsetzungen der drei Bände, die damit - so viel sei bereits vorweggenommen - eine eindrucksvolle Gesamtschau der Schwesterreformationen bieten.

Im ersten Abschnitt "Von der kritischen Gruppe zur evangelischen Kirche im Heiligen Römischen Reich, in England und in Schottland. Ein Überblick" geht es darum, wie die reformatorischen Impulse historisch wirksam werden konnten und zu welchen Institutionalisierungsprozessen es in diesem Zusammenhang kam. Der Cranmer-Experte Ashley Null identifiziert in der affektiven Frömmigkeit des spätmittelalterlichen Englands einen zentralen Schlüssel für den Erfolg der vom Kontinent übersetzenden theologischen Einflüsse. Die Humanisten der Tudorzeit fanden in Martin Luther einen engen Verbündeten ihrer eigenen theologischen Anliegen. Unter Edwards VI. offener Kirchenpolitik und Cranmers theologischen Netzwerken fand die lutherische Soteriologie auch Eingang in offizielle kirchliche Formulare. Erst die mehr reformatorisch geprägte Kirchenpolitik unter Elizabeth I drängte diesen Einfluss weitgehend zurück. Noch weiter zu überprüfen wäre Hulls Behauptung, dass die lutherisch geprägte Theologie Cranmers in der englischen Privatfrömmigkeit die gesamte Frühe Neuzeit über erhalten blieb. John McCallums Beitrag gibt einen Überblick über die in der deutschen Forschungslandschaft nur selten zur Kenntnis genommene schottische Reformation. Beginnend in den Jahren 1559-60 erfolgte diese auf nationaler Ebene verhältnismäßig spät, dafür aber mit dramatischer Wirkmächtigkeit. Die Fokussierung auf diese Jahre versucht McCallum in zweierlei Hinsicht zu hinterfragen. Zum einen gelte es, die schon früh eingedrungenen reformatorischen Einflüsse in Schottland und die sie tragenden Gruppen stärker zu berücksichtigen, zum anderen macht der Autor zurecht darauf aufmerksam, dass die größte Herausforderung in den Folgejahren darin bestand, kirchliche Institutionen in einem Land zu entwickeln, dass zuvor nur wenig protestantischen Aktionismus erlabt hatte. Für das Heilige Römische Reich haben die Herausgeber keinen Beiträger gewinnen können. Dorothea Wendebourg, Andreas Stegmann und Martin Ohst fangen dies aber durch eine sehr anregende und spannende Thesenreihe auf. Mit diesen Thesen versuchen sie "herauszustellen, wie der von Wittenberg ausgehende reformatorische Impuls in Umformungen des kirchlichen Lebens auf allen Ebenen wirksam wurde, dabei aber selbst zugleich Klärungen und Modifikationen erfuhr, die sich in einer Pluralität verschiedener evangelischer Kirchen niederschlugen" (V). Neben den inhaltlichen Anregungen zeigt die Thesenreihe aber auch, dass die Frage, welche Transformations- und Institutionalisierungsprozesse bei der Entstehung evangelischer Kirchen im Reich Hand in Hand gingen, noch keinesfalls abschließend beantwortet ist.

Der zweite Abschnitt nimmt die "Faktoren des Kirchwerdens" in den Blick. Neben Konrad Kleks instruktivem Beitrag über das Singen ist hier besonders Albrecht Beutels Aufsatz über die Predigt hervorzuheben. Er vergleicht zunächst die in beiden Räumen entwickelte Theologie der Predigt, die die exklusive heilsvermittelnde Funktion der gottesdienstlichen Verkündigung unterstrich. In einem zweiten Schritt diskutiert Beutel die Bedeutung der volkssprachlichen Bibelübersetzung und akzentuiert die Problematik, dass durch diese "eine Konkurrenz aufgebrochen [war] zwischen dem für die Predigt reklamierten Anspruch auf exklusive Heilsmittlerschaft und der für die Bibel postulierten suffizienten Authentizität des Wortes Gottes" (61). In einem dritten Schritt schließlich geht Beutel ausführlich der Frage nach der Praxis der Predigt nach, sein Vergleich englischer und deutscher Beispiele verdeutlicht eindrucksvoll die Bedeutung dieses Aspekts, dem noch genauer auf den Grund zu gehen wäre. Thomas Kaufmanns Kapitel weist auf den interessanten Sachverhalt hin, dass die Motivation englischer Glaubensexulanten im Reich eher dahingehend festzustellen sei, Kontakt zu den Buchproduzenten denn zu den etablierten Reformatoren zu suchen. Sein Beitrag zeigt, wie wichtig diese buchhistorische Perspektive ist, um die spezifischen Motivlagen offenzulegen, die die literarisch-publizistischen Interaktionen prägten. Wolf-Friedrich Schäufele und Susan Karant-Nunn beschäftigen sich in ihren Beiträgen mit je eigenem Zugriff mit dem Themenkomplex Ehe und Familie. Schäufele betont die, in unterschiedlicher zeitlicher Folge, Entsakramentalisierung der Ehe, die mit einer Aufwertung des Ehestandes und des an ihn gestellten ethischen Anforderungsprofils einherging. Karant-Nunn wählt für ihren Beitrag einen geschlechtergeschichtlichen Zugriff und fragt nach den Ansichten über die Natur der Frau und ihre gesellschaftliche Stellung. Dabei macht sie die Beobachtung, dass englische Autoren sehr viel stärker vermeintliche sexuelle Fehltritte von Frauen kritisierten und im Vergleich zu Luther auch Sexualität deutlich negativer bewerteten. Amy Nelson Burnett und Andreas Stegmann werfen in ihren Beiträgen vergleichende Perspektiven auf das Gemeindeleben. Burnett konzentriert sich dabei auf die Gemeinden und das religiöse Leben der Laien, während Stegmann die Entwicklung des neuen Pfarrertyps im Zuge der Reformation rekonstruiert.

Der dritte Abschnitt legt den Fokus auf "Alte und neue Traditionen" und fragt nach den Veränderungen, die im Zuge der reformatorischen Bewegungen ihrerseits wieder institutionalisiert worden sind. Dorothea Wendebourg widmet sich in ihrem Beitrag dem Gottesdienst. Während es im Reich Übergangsphasen gegeben habe, die man durchaus als experimentell bezeichnen könne, seien liturgische Fragen in England zentral gesteuert worden. Dies habe zu sehr geringen Möglichkeiten der Abweichung geführt. Einen weiteren interessanten Vergleich unternimmt Andrew Spicer mit seinem Beitrag über die Bedeutung liturgischer Räume in der deutschen und schottischen Reformation. Luther auf der einen Seite habe die Ausstattung von Kirchen als adiaphoron betrachtet, also als Frage, die für das Heil nicht entscheidend sei, und folglich keine weitgehenden Vorschriften in dieser Sache gemacht. In Schottland auf der anderen Seite drängten John Knox und andere sehr viel stärker darauf, den Gottesdienstraum möglichst von allen Erinnerungsstücken an die Messe zu reinigen. Spannend ist Spicers Beobachtung, dass die Gestaltung des liturgischen Raums in einem engen Zusammenhang mit der Bedeutung und vor allem der Frequenz des Abendmahls stand. Alexandra Walsham untersucht in ihrem Beitrag die Auswirkungen der Institutionalisierung der reformatorischen Bewegungen auf die materielle Kultur und geht damit einem Thema nach, dass gegenwärtig sehr intensiv diskutiert wird. Sie konzentriert sich dabei auf Objekte aus dem häuslichen Kontext, die anti-katholische Vorurteile förderten. Dazu gehörten beispielsweise ein aus dem Rheinland nach England importierter Bellarmin Krug und antipäpstliche Kartenspiele, mit denen Walsham das Vorurteil vom durch und durch asketischen englischen Protestantismus der späteren Tudorzeit widerlegen möchte. Neben einem Beitrag Geoffrey Dipples über die Erfahrungswelten der "radikalen Geister" ist nicht zuletzt auf Christopher Voigt-Goys Aufsatz über die Rechtsentwicklung im Zuge der Reformation zu verweisen. Im Speziellen fragt er nach dem Umgang der Wittenberger und englischen Reformation mit dem Rechtsinstitut des Kirchenguts.

Der vierte und letzte Abschnitt des Bandes zum Themenbereich "Das Bild der Reformation von sich selbst" ist - wie die anderen Abschnitte auch - mit hochkarätigen Autoren besetzt. Euan Cameron referiert über die Entwicklung in Wittenberg und der Schweiz, Kristen Post Walton über die in Schottland und Martin Ohst über die englische Reformation. Es wäre wünschenswert gewesen, im vierten Abschnitt einen Beitrag zu finden, der stärker die vergleichenden Perspektive auf die Selbstbilder eingenommen hätte. Aufs Ganze gesehen gibt es aber wenig Anlass für Kritik. Die Qualität der Beiträge ist durchweg sehr hoch und sie zeigen die Herausforderungen, aber auch das große Erkenntnispotenzial vergleichender (kirchen)historischer Arbeit. Wie auch in den bisherigen Bänden üblich, finden sich englischsprachige Übersetzungen der deutschen Beiträge, was hoffentlich in Zukunft die wechselseitige Sichtbarkeit der jeweiligen Forschungstradition weiter erhöhen wird. Dem Wunsch der Herausgeber, dass der Band "zu weiteren Arbeiten" (XII) anregen möchte, kann der Rezensent nur beipflichten.

Benedikt Brunner