Philipp Zitzlsperger: Das Design-Dilemma zwischen Kunst und Problemlösung, Ostfildern: Hatje Cantz 2021, 432 S., 40 Fotografien, ISBN 978-3-7757-4863-6, EUR 28,00
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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
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Design ist seit langem zur Kunst auf Abstand gegangen, um bei sich anzukommen. Per 'Design thinking' immunisiert, sucht es sein Heil zusehends im 'Solutionismus', als dem Ideal unentwegter, leider meist nur technologischer Problemlösung. Philipp Zitzlsperger erkennt darin den Fluchtpunkt einer über Jahrhunderte hinweg kultivierten "Design-Kunst-Dichotomie": Als da wäre eine "vermeintlich freie, kritische und unangepasste Kunst" (13), der man Autonomie, Deutungsoffenheit und Widerständigkeit (15f.) bescheinigt; und ein Design, dem das Dienende oder Heteronome, das Eindeutige, das Technikaffine, das Angepasste übrigblieb. Wenn sich nun Verächter wie Freunde des Designs kaum über solche Bestimmungen, sondern bloß über deren Bewertung uneins sind, so ist hier wohl in Vergessenheit geraten, was in punkto Design als eine "Konkurrenzgeschichte der Ideen" (16) ans Licht zu holen wäre.
Eröffnet wird sie von Zitzlsperger mit der Demontage eines verbreiteten (der Verdrängung designhistorischer Forschung an Hochschulen dienlichen) Klischees, nämlich der industriellen Fertigung als dem vermeintlichen Ursprung von Design. Tatsächlich muss dieser Ursprung in einer älteren Kunst gesucht werden, die das Angewandte mit umfasste. Und folglich gilt es dann Ursachen zu sondieren für das Auseinanderdriften von Kunst und Design in einer Art Problemgeschichte.
Einen ihrer Aspekte sieht der Autor in einer Verdrängung des Tastens durch das Sehen, deutlich bereits bei Herder, besiegelt bei Schiller und Goethe. Dass der Aufstieg des Visuellen das Design ins Hintertreffen gebracht habe, ist insofern nachvollziehbar, als die mit dem Sehen einhergehende Distanzierung eher Bildern als gestalteten Dingen zupass kam. Doch gibt es auch blickerpichtes Design. Und noch der Vorwurf, es bewähre sich lieber in schöner Ansicht als in echter Handhabbarkeit, impliziert ja, dass es sich mit dem Primat des Sehens einzurichten wusste.
Es folgt eine Rekapitulation der langen Geschichte der Kunstautonomie. Sie ergibt, dass vormodern zwar die Bedeutung des Handwerks zurückgedrängt worden war, jedoch nicht im Sinne eines rein selbstzweckhaften Kunstschaffens, vielmehr einer "Freiheit der Wahl der Mittel, um zweckhaft sein zu können" (71). Dementsprechend dürfe, wie Zitzlsperger in Berufung auf Gernot Böhme und Anette Geiger sagt, auch Kants 'interesseloses Wohlgefallen' nicht als "weltabgewandte Selbstzweckhaftigkeit" (72) missverstanden werden. In der Tat hatte Kant mehr aus der Sphäre von Tapeten, Tulpenbeeten oder 'Damenputz' im Sinne, als denen lieb ist, die ihn seit jeher als Grenzwächter zwischen Kunst und Design schätzen. Wenn Schönheit bei Kant allerdings "Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes" ist, "sofern sie, ohne Vorstellung eines Zwecks, an ihm wahrgenommen wird" (KdU. §17), so ist damit Erzeugnissen, die in buchstäblichem Gebrauche (also per Funktion, wie man später sagen wird) sich bewähren müssen, wohl doch nicht beizukommen - weshalb wir Kant gerne als verkanntem Anwalt Angewandter Kunst, doch zögerlicher nur des modernen Designs folgen.
Was sodann der Reputation des Designs respektive seiner Vorformen zugesetzt hatte, war die Bedeutung von Mimesis in Kunsttheorien des 17. und 18. Jahrhunderts. Als jedoch um 1900 die Abstraktion zum Ideal aufstieg, führte dies bestenfalls zu Lippenbekenntnissen einer Gleichrangigkeit des Designs. Denn nun waren es dessen Zweckbindungen, die etwa ein Adolf Loos monierte. Die Bemühungen wiederum aufseiten des (frühen) Designs selbst - der Londoner School of Design unter dem Direktorat eines Henry Cole, der Arts-and-Crafts-Bewegung oder auch Gottfried Sempers 'materialistischer' versus Alois Riegls 'idealistischer' Sichtweisen - konnten die Divergenzen zur Kunst nicht wettmachen. Nämliches galt für die Integrationsversuche via Gesamtkunstwerk mit ihrer Ausstrahlung noch auf Architektur- und Gebrauchskunst-Utopien des frühen 20. Jahrhunderts bis ins folgende Bauhaus. Spätestens nach 1945, von der kybernetisch inspirierten Problemlösungseuphorie der HfG Ulm bis in jüngste Vereindeutigungsbestrebungen sogenannter Produktsemantik, zeigte sich dann, wie das Design jene (freilich auch ihm unabschüttelbare) Ambiguität zu vermeiden suchte, die ja längst Leitbild des Kunstverständnisses geworden war.
Die Entkoppelung von der Kunst weist Zitzlsperger auch anhand des Disegno nach, dessen Entwurfsbedeutung heute schwindet. Statt der 'denkenden Hand' vertraut das Design lieber der "Zielgruppenanalyse" oder "Denkblockadenvermeidung" (137). Über die damit eingeschlagene Wegrichtung konnten weder die zwischenzeitlich postmoderne Engführung von Design und Kunst (etwa auf der Documenta 8, 1987) noch auch Versuche einer systematischen Wiederannäherung (beispielsweise über das Tertium einer Institutionskritik) hinwegtäuschen. Und den Nimbus des Künstlerischen sucht das Design, wo überhaupt, eher nur als Treiber von Wertschöpfung.
Zitzlsperger legt dann dar, dass auch jenes Design, das es ernst meinte mit der Industrie und - etwa im 'Typenstreit' um 1914 - auf die normierende Kraft eines Entwurfes (statt dessen Anpassung an die industrielle Norm) setzte, sowohl der Industrie als auch den Verfechtern einer gegen alle Vereinheitlichung stehenden Individualität zu weit ging. Gleichviel schritt Normierung voran; sie drang auch ins Bauen ein und schließlich in die digitalen Entwurfsprogramme, von wo aus sie auf das Resultat zurückwirkt (200f.). Auf die seit der Moderne von links wie rechts nie verstummende Kritik am Standardisierten, am Maschinellen hat das Design indessen weiterhin mit einem Unikats- und Authentizitätsdiskurs reagiert - übrigens durchaus anachronistisch, insofern die (früh von Horkheimer/Adorno, dann von Barthes bemerkte) Fetischisierbarkeit des Massenprodukts schon längst Sache der Pop Art geworden war.
Zuletzt untersucht Zitzlsperger den Einfluss des amerikanischen Pragmatismus auf das moderne Design. Die antimetaphysische Lösungsorientiertheit, das "Neudenken" (301) wie auch die pragmatistische Umkehrung - derzufolge weniger aus dem Wissen ein Handeln, sondern aus diesem jenes folgt - hatten Einfluss auf die Designausbildung. In Harvard oder an der Chicagoer School of Design, wohin auch Bauhäusler emigrierten, hatten solche Weichenstellungen allerdings auch für die schrittweise Zurückdrängung künstlerischer Anteile gesorgt - mit dem weltanschaulich entsprechend imprägnierten Tomás Maldonado dann ja auch in Ulm. Schuld daran, so Zitzlsperger, trug aber nicht der Pragmatismus, sondern seine Trivialisierung in Designpragmatik.
Auf 430 ziemlich dicht bedruckten, durchwegs verständlich und geistreich geschriebenen, von Design und Kunst etlicher Jahrhunderte maßvoll durchbilderten Seiten, arrondiert um bald tausend (nicht nur Nachweise liefernden!) Fußnoten, holt Philipp Zitzlsperger nach, was sowohl die geschichtsvergessenen, sogenannten Designwissenschaften in gehetzter Flankierung des Betriebs, wie auch Feuilletonisten, so sie gelegentlich connoisseurhaft dem Design sich widmen, bräuchten: eine Ästhetik des Designs, die ihren Namen verdient, die deshalb auch eine Vor- und Problemgeschichte des Denkens von Design einschließt. Und wenn die einfältige, der Mythe eines selbsterklärenden und problemlösungsfixierten Designs folgende, Devise lautet: "Don't make me think! " (341), so erhält sie in Philipp Zitzlspergers gewaltiger Untersuchung ihr Antidot: "Make me think! "
Christian Janecke