Matteo Burioni / Martin Hirsch (Hgg.): Die silberne Stadt. Rom im Spiegel seiner Medaillen, München: Hirmer 2021, 464 S., ISBN 978-3-7774-3253-3, EUR 59,00
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Matteo Burioni / Johannes Grave / Andreas Beyer (Hgg.): Das Auge der Architektur. Zur Frage der Bildlichkeit in der Baukunst, München: Wilhelm Fink 2011
Matteo Burioni: Die Renaissance der Architekten. Profession und Souveränität des Baukünstlers in Giorgio Vasaris Viten, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2008
Matteo Burioni (Hg.): Weltgeschichten der Architektur. Ursprünge, Narrative, Bilder 1700-2016, Passau: Dietmar Klinger Verlag 2016
Der prachtvolle Bildband liefert die wissenschaftliche Aufarbeitung zu einer 2019/20 präsentierten Ausstellung der Staatlichen Münzsammlung München, die über einen bedeutenden, auf herzoglich-bayrischen Besitz zurückgehenden Bestand an Papstmedaillen der Renaissance und des Barock verfügt. Dass im Titel etwas überraschend nicht von der "Aurea Roma" die Rede ist, ist der Tatsache geschuldet, dass die Münchner Medaillen vor allem aus Silber bestehen. Auf den wissenschaftlichen Ertrag wirkt sich dies nicht aus, im Gegenteil: Unter Einbeziehung der überreichen, vor allem numismatischen und kunstgeschichtlichen Literatur zum Thema gibt der Band einen profunden Überblick über den derzeitigen Forschungsstand zu den päpstlichen Architekturmedaillen, beginnend mit Papst Paul II. (1464-1471), der das Sujet begründet hat, und mit Alexander VII. (1655-1667) endend, unter dem diese Kunstform auf ein "Höchstmaß" (32) gesteigert wurde. Die Zäsur mag vielleicht etwas willkürlich erscheinen. Quasi als Fortführung und Ergänzung präsentiert die Staatliche Münzsammlung daher momentan eine Ausstellung zu den Alexander nachfolgenden Päpsten, die die weitere Entwicklung der römischen Architekturmedaille bis zu Clemens XIII. (1758-1769) verfolgt. Dass es neben diesen beiden auch noch eine dritte, 2020/21 unter dem Titel "Glänzende Propaganda" präsentierte Ausstellung des Münchener Kabinetts gab, die anhand von 50 Medaillen wichtige kirchengeschichtliche Ereignisse von Martin V. (1417-1431) bis zu Papst Franziskus illustrierte und damit eine klassische "Histoire metallique" bot, sei nur nebenbei bemerkt.
Der vorliegende Band, dessen Katalogteil sechs um das Thema kreisende Essays von Martin Hirsch, Matteo Burioni, Giancarlo Alteri, Ulrich Pfisterer, Claudia Steinhardt-Hirsch und Matthias Barth vorgeschaltet sind, zeigt eindrücklich, wie sich die ursprünglich an der Roma antica orientierte Bildersprache der Medailleure verselbständigte und zu eigenen Ausdrucksformen fand, durch die die Medaille dann seit Ende des 16. Jahrhunderts zum Medium des Romlobs wurde. In seinem einleitenden Essay "Kalküle der Bildpolitik. Papsttum und Medaille" zeichnet Martin Hirsch diese Entwicklung nach und unterscheidet dabei vier Phasen: Nach zögerlichen Anfängen in den 50 Jahren von Paul II. bis Julius II. (1503-1513), in denen als Motiv die Erneuerung des Petersdoms vorherrschte und die Verbreitung der Medaille sich noch auf den "privaten" Bereich beschränkte, sowie einer Phase der Stagnation nach dem Sacco di Roma machte sich Ende des 16. Jahrhunderts eine Neuausrichtung der Medaillenkunst bemerkbar: Die nun auf eine breitere Öffentlichkeit zielenden Medaillen zeugten jetzt im Zeichen von katholischer Reform und Gegenreformation mit der vermehrten Darstellung der römischen Pilgerkirchen von der Sorge des Papstes um den alten christlichen Kult. Gleichzeitig demonstrierten die Päpste mit der Wiedergabe von Brückenbauten und Brunnen auf Medaillen ihre Sorge um das Wohl der Bürger und betonten damit ihre Rolle als Stadtherren von Rom. Bezeichnenderweise wurden seit den 1560er Jahren vom stadtrömischen Adel keine Medaillen mit der Darstellung von Familienpalästen mehr in Auftrag gegeben. Die letzte Phase sieht Hirsch von der Tendenz gekennzeichnet, dass der Glanz der Bauten die christliche Botschaft in den Hintergrund zu drängen begann. Unter anderem lässt sich dies daran ablesen, dass Bauten nicht mehr isoliert wiedergegeben wurden, sondern als Ensemble bzw. Teil von Plätzen, die erstmals auch von Menschen belebt werden. Ein hervorragendes Beispiel ist die Medaille Gioacchino Francesco Travanis aus dem Jahr 1662, mit der er die Piazza del Popolo genial in Szene gesetzt hat (und deren Bild auch die Titelseite des Buches ziert).
Der eigentliche Katalogteil ist jedoch nicht nach diesen vier Phasen unterteilt, sondern erschließt das Thema in acht Sektionen, die von kurzen Einführungen eingeleitet werden. Dabei gelingt Hubertus Günther das Kunststück, für die erste Sektion "Der Glanz der Stadt" auf wenigen Seiten eine dichte, architektur- und kulturgeschichtliche Skizze zu liefern, wie die Päpste in Auseinandersetzung mit der antiken Vergangenheit Rom erneuerten und glanzvoll veränderten. In zwei weiteren Sektionen werden zum einen die einzelnen Medailleure, deren Münzmeisteramt nicht selten in der Familie weitervererbt wurde, zum anderen nicht-päpstliche Auftraggeber der Medaillen vorgestellt, zu denen Kardinäle sowie singulär im Fall einer Medaille in Erinnerung an die Pest 1659 auch Senat und Volk von Rom gehörten (Kat. Nr. 30, 156-158). Ein eigenes Kapitel widmet sich der - die Stadtherrschaft des Papstes symbolisierenden - Darstellung von Mauern, Brücken und Brunnen auf Medaillen. Im zentralen Teil wird dann unter der Überschrift "Die Stadt als Raum der Erinnerung" die Medaille als "Botin der päpstlichen Herrschaft" (33) vorgestellt: Die einzelnen Bauprojekte, an erster Stelle St. Peter, das als Motiv die gesamten 200 Jahre der Medaillenproduktion durchzieht und unter Alexander VII. allein sechs Exemplare auf die Kolonnaden Berninis hervorgebracht hat, dienten als Ausweis eines erfolgreichen Papsttums. Alle Objektbeschreibungen des Katalogs, die durch ihre Fülle an Informationen und Erkenntnissen bestechen und für die insgesamt 34 Autorinnen und Autoren verantwortlich zeichnen, bieten wirkliche Interpretationen der Stücke, d.h. sie dienen hier nicht nur, wie sonst häufig in numismatischen Publikationen, als illustratives Beiwerk für Geschichten über Personen oder Ereignisse.
Der Band beschäftigt sich jedoch nicht allein mit den Medaillen als "Seismografen der päpstlichen Baupolitik", wie Martin Hirsch formuliert hat (20), sondern auch als Objekten des Sammelns und als Quellen der Historiografie. Gerade hier trägt der Band dazu bei, bislang eher vernachlässigte Gebiete der Forschung zu erhellen. Wie sich ein neuer Kreis von Papstmedaillenbesitzern im 18. Jahrhundert konstituierte, machen Matthias Barth und Martin Hirsch anhand der Auswertung von Auktionskatalogen des 18. Jahrhunderts in ihrem Essay "Das zweite Leben der päpstlichen Medaillen und Münzen auf dem Markt der Auktionen" deutlich. Doch noch vor den "Connaisseurs" hatten die Medaillen das Interesse der Gelehrten geweckt. In der Sektion "Medaillen auf Papier" wird daher auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Medaillen Ende des 17. Jahrhunderts thematisiert, an deren Beginn das Werk von Claude du Molinet ("Historia summorum pontificum a Martino V. ad Innocentium XI. per eorum numismata") aus dem Jahre 1679 steht.
Nur weniges gibt es zu bemängeln: Nicht bei allen Objekten ist der engere Zusammenhang zum eigentlichen Thema zu erkennen, wie etwa bei den ebenfalls aufgenommenen päpstlichen Medaillen auf Bauten außerhalb Roms (darunter auch Bologna und Ferrara). Auch die abschließende Sektion "Rom, seine Ruinen und Europa", die die Architekturmedaillen anderer europäischer Herrscher ins Visier nimmt, vermag nicht vollends zu überzeugen, da sich die Entwicklung weitgehend unabhängig von römischen Vorbildern vollzog, zumindest im Band kein entsprechendes Beispiel aufgeführt ist. Auch Redundanzen sind festzustellen. Das von Ulrich Pfisterer in seinem Essay behandelte "Heilige Jahr als numismatisches Ereignis im 16. und 17. Jahrhundert" wird auch im Essay "Kommunikation und Propaganda auf den Medaillen der Päpste" von Giancarlo Alteri gestreift, der den Blick sogar bis auf das 20. Jahrhundert ausweitet. Doch das schmälert in keiner Weise den großen Gewinn, den der Band nicht nur für die numismatische Forschung, sondern darüber hinaus auch für die Kulturgeschichte darstellt. Eigens erwähnt sei noch die ästhetische Gestaltung des Buches, das auf moderne Fotos der in den Medaillen verewigten Bauten komplett verzichtet, die (hervorragend reproduzierten) Medaillen stattdessen mit zeitgenössischen Stichen, Drucken und Karten in Beziehung setzt und damit das Rom der Renaissance und des Barock zumindest beim Rezensenten auf ganz besondere Weise imaginiert hat.
Wolfgang Dobras