Stéphane Benoist / Alban Gautier / Christine Hoët-van Cauwenberghe et al. (eds.): Mémoires de Trajan, mémoires d'Hadrien (= Histoire et civilisations), Villeneuve d'Ascq: Presses Universitaires du Septentrion 2020, 528 S., 109 s/w-Abb., ISBN 978-2-7574-3024-8, EUR 34,00
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Der vorliegende Sammelband verdankt sich drei Umständen: dem 1900. Jahrestag des Todes des römischen Kaisers Trajan und der Thronbesteigung seines Nachfolgers Hadrian 117 n. Chr., einer engagierten Forschergruppe an der Universität Lille, die sich der "Mémoire et Histoire" widmet, und dem genius loci der Villa in Saint-Jans-Cappel, wo die mit ihrem 1951 veröffentlichten Roman "Mémoires d'Hadrien" weltberühmt gewordene Schriftstellerin Marguerite Yourcenar einen Teil ihrer Kindheit verbracht hat. Die Villa bot den Rahmen für einen Sitzungstag des im September 2017 durchgeführten Kolloquiums.
Ein besonderer Reiz, sich mit den beiden Herrschern zu beschäftigen, liegt in den gegensätzlichen Herrschaftsmaximen, die sie verkörperten: Trajan der Militär und Eroberer, Hadrian der friedliebende, gebildete Griechenfreund und viel reisende Organisator, dem Yourcenar ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Aus diesem Grunde existiert, wie die Herausgeber richtig betonen, eine umfangreiche Forschungsliteratur von der Biographie bis zu Detailstudien, und die sich öffnende Nische liegt denn auch weniger im Bereich von Fragen, die direkt auf die beiden Kaiser Bezug nehmen, als vielmehr darin, die zahlreichen Facetten ihres Nachlebens bis in die Gegenwart hinein aufzufächern.
Die insgesamt 25 Beiträge lassen sich in vier Kategorien teilen. Zunächst geht es um Einzelfragen, die die Regierungszeit der beiden Kaiser betreffen, beginnend mit der Regierungsübernahme Hadrians, in deren Darstellung N. Lapini zahlreiche Narrative des Regierungswechsels von Augustus auf Tiberius angewendet findet. So richtig diese Beobachtungen sind, so berechtigen sie allerdings nicht dazu, die Stellung Hadrians zu Lebzeiten Trajans mit derjenigen des Tiberius unter Augustus gleichzusetzen. War Tiberius von Augustus für alle sichtbar mit Ehrungen, Amtsgewalten und Militärkommandos besonders hervorgehoben worden, so finden wir nichts dergleichen im Falle Hadrians zu Lebzeiten seines Vorgängers Trajan. Dieser Umstand löste dann nach Trajans Tod die tödlich endenden Konflikte mit Senatoren weit höheren Ranges, als ihn Hadrian eingenommen hatte, aus. Auch A. Galimberti und M. Rizzi (s.u.) argumentieren im gleichen Sinne und verweisen (213) auf ein zweites Konsulat Hadrians im Jahre 114 und eine Ernennung zum Caesar - beides entspricht nicht den Tatsachen. C. Ansel datiert ein Fries auf dem Beneventer Trajansbogen, das Trajan stehend vor der knieenden Personifikation der bezwungenen Mesopotamia darstellt, erst in hadrianische Zeit, weshalb es auch den Gestus kaiserlicher Milde wiedergibt. F. Lecocq unterzieht eine Goldprägung Hadrians aus dem ersten Jahr seiner Regierung mit dem mythischen Phoenix einer eingehenden Interpretation (leider fehlt eine Abbildung der Münze). C. Batsch analysiert den Talmud und die darin sowohl Trajan als auch Hadrian zugeschriebene Judenfeindschaft. Zum Teil erst in jüngster Zeit entdeckte Zeugnisse von Hadrians Bautätigkeit in Rom (auditoria neben dem Trajansforum) präsentiert M. Villetard.
Eine zweite Kategorie von Beiträgen widmet sich der programmatischen und ideologischen Vorbildfunktion Trajans und Hadrians in den folgenden Jahrhunderten: für Konstantin d. Gr. (C. Blonce), Gallienus (J.-M. Doyen); Hadrians Rezeption als "Reisekaiser" in der spätantik-byzantinischen Literatur untersucht S. Destephen. M. Kantirea entdeckt in der Epiklese Trajans als Zeus Philios (Kaisertempel in Pergamon) und in der Gründung des Panhellenions durch Hadrian ein Zeichen der Toleranz gegenüber namentlich monotheistischen Religionen, indem der Kaiser selbst sich als zentrale Gottheit eines alle Religionen umfassenden Pantheons präsentiert; sie erkennt darin die Wurzeln einer politischen Philosophie, mit der die christlichen Kaiser seit Konstantin ihre Herrschaft legitimierten. Kein unmittelbar zeitgenössisches, sondern im Nachhinein bis ins Romanhafte bearbeitetes Bild spiegeln die Akten der in Alexandria verhandelten Prozesse wieder (Acta Alexandrinorum), aus denen L. Capponi exemplarisch das schwierige Verhältnis zwischen Kaiser und griechischer Stadtobrigkeit herausarbeitet und dabei einzelne Vorgänge chronologisch präzisieren kann. A. Galimberti und M. Rizzi messen den Trajan und Hadrian gewidmeten Passagen in der Chronographie des Johannes Malalas mehr Glaubwürdigkeit zu, als es die Forschung gemeinhin tut, E. Wolff gibt einen Überblick über die durchweg positive Darstellung Trajans in der spätantiken Literatur, auf die nur der Christenverfolger ein wenig Schatten wirft.
Einen dritten thematischen Block, der die mittelalterliche Rezeption umfasst, kann man mit einer Studie (P. Maymó i Capdevila - J.A. Jiménez Sánchez) zur Trajanslegende des 7.Jh.s beginnen lassen, nach der Papst Gregor durch inständiges Bitten die Erlösung des heidnischen Kaisers bei Christus erreichte. Den Hintergrund bildet die von Cassius Dio auf Hadrian bezogene Episode, nach der der Kaiser auf einer Reise das Anliegen einer flehentlich bittenden Frau am Wegesrand erhört. Die Legende fand im Mittelalter weite Verbreitung und übte eine Vorbildfunktion für Herrscher und Papsttum aus, wie A. Descorps-Declère weiter ausführt. Das gleiche Thema behandelt A. Gautier aus dem Blickwinkel frühmittelalterlicher, von den britischen Inseln stammender Autoren (vor allem Beda), bei denen Trajan eher negativ als Christenverfolger, Hadrian positiv als humaner Kulturbringer figuriert, wobei seltsamerweise eine Großtat des Letzteren, der Bau des Hadrianswalles, in Vergessenheit geraten ist und Septimius Severus zugeschrieben wurde. Trajan und Hadrian als historische Figuren wurden im Mittelalter ferner transportiert über die Legende des Hlg. Eustachius, ein ehemaliger General Trajans, der sich zum Christentum bekehrte, daraufhin gesellschaftlich geächtet und schließlich von Hadrian hingerichtet wurde (F. Laurent); entsprechend ungünstig präsentiert sich Hadrians Herrscherbild, während umgekehrt Trajan, der Eustachius schließlich rehabilitiert, den mildtätigen Kaiser verkörpert. Zwei bedeutende, mit den Namen der Kaiser verknüpfte Bauwerke, die Trajanssäule und das Pantheon, beschreibt M. Galinier in ihrer Wirkung auf die Kunst- und Architekturtheorien des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit.
Der vorgenannte Artikel und der folgende von E. Marcq über die Darstellungen der Kaiser in der Malerei des 15.-17. Jh. schlagen die Brücke zur letzten Themenkategorie, der Rezeption in der Neuzeit und Gegenwart. Von wissenschaftsgeschichtlichem Wert ist die Abhandlung von C. Landrea über das Verhältnis der beiden Kaiser zur Senatsaristokratie, wie es in der französischen Forschung reflektiert wird. Selbst bei Opernliebhabern dürfte es kaum bekannt sein, dass Hadrian auch in Ballett und Oper seit dem 17. Jh. eine Hauptfigur abgibt, deren bekannteste im Libretto "Adriano in Siria" von 1732 verarbeitet wurde, welches verschiedene Komponisten zu Vertonungen inspirierte (R. Poignault). Für Kenner von M. Yourcenars "Mémoires d'Hadrien" dürfte der Beitrag von A. Terneuil lesenswert sein, der Yourcenars Arbeitsweise und Inspirationen zu ihrem Roman durch antike Quellen, Architektur und Portraits des Kaisers erhellt. Schließlich erfährt der Leser in dem Beitrag von O. Devillers mit Erstaunen, dass Hadrian auch Hauptfigur in einem japanischen Comic (Manga) "Thermae Romae" geworden ist, entstanden zwischen 2008 und 2013: Ein römischer Architekt, Zeitgenosse Hadrians, besucht die Thermenanlagen Roms und wird dabei im Traum in ein japanisches Bad des 21. Jh.s versetzt. Die sich darum rankende Geschichte des Mannes wurde 2012/14 sogar verfilmt. Einen nicht weniger überraschenden Einblick in die Breite von Rezeption bietet der Beitrag von C. Hugot über die typographische Modellfunktion der Buchstabenformen der auf der Basis der Trajanssäule angebrachten Inschrift. Die Majuskeln dienten als Vorbild eines Schriftfonts, und er Autor unterstreicht die ungebrochene Attraktivität "klassischer" antiker Buchstabenformen für heutige Graphiker und Architekten. Ein Resümee von S. Benoist beschließt diesen bunten Strauß von Themen.
Der Wert dieses Sammelbandes liegt eindeutig in den für den Altertumswissenschaftler nicht so geläufigen Themenbereichen der mittelalterlichen und neuzeitlichen Rezeptionsgeschichte der beiden römischen Kaiser, dahinter stehen die der eigentlichen Regierungszeit der Kaiser gewidmeten Beiträge etwas zurück. Insgesamt kann der Band exemplarisch die über die Jahrhunderte bis in die Gegenwart andauernde Faszination antiker Herrscherpersönlichkeiten illustrieren.
Helmut Halfmann