Achim Aurnhammer / Johann Anselm Steiger (Hgg.): Christus als Held und seine heroische Nachfolge. Zur 'imitatio Christi' in der Frühen Neuzeit (= Frühe Neuzeit. Edition Niemeyer; Bd. 235), Berlin: De Gruyter 2020, 620 S., 92 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-068330-1, EUR 129,95
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Der vorzustellende Sammelband fasst die Beiträge eines Kongresses zusammen, der als Kooperationsprojekt zwischen dem Freiburger Sonderforschungsbereich 948 "Helden - Heroisierungen - Heroismus" einerseits und dem Hamburger Graduiertenkolleg 2008 "Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit" im Sommersemester 2019 stattfand.
Die Herausgeber des Bandes konstatieren in ihrer Einleitung (1-18) zurecht, dass die Thematik der heroischen "Imitatio Christi" im Laufe der Frühen Neuzeit in der Forschung zur Kirchen- und Theologiegeschichte bislang kaum thematisiert wurde. Dies ist in der Tat ein erstaunlicher Befund, da einem in Literatur, Kunst und Musik der Frühen Neuzeit "auf Schritt und Tritt" (1) Helden und heroische Inszenierungen begegnen, die mit den Schlagworten wie "Christus triumphator", "Ecclesia triumphans" oder "Miles christianus" beschrieben werden können. Die Herausgeber erkennen darin nicht zu Unrecht die Auswirkungen einer "ideologischen Überstrapazierung der Heldenrhetorik" (6, auch 192f.) sowie von "unappetitlichen" Heroisierungs- und Arisierungsversuchen Jesu (7) während des Nationalsozialismus. Die NS-kritischen Theologen hätten "die Heldennarrative ihrer Gegenseite überlassen, ohne die reichlich vorhandenen Traditionsbestände und ihre Kritikpotenziale zu nutzen oder gar auszuschöpfen" (192). Die vollständige Diskreditierung der Heldenthematik in der Zeit des Nationalsozialismus habe nach dem Zweiten Weltkrieg theologischerseits dazu geführt, dass man diese mied "und dabei zugleich einer ideologiekritischen Aufarbeitung aus dem Weg ging, was bis heute nachwirkt" (9).
Damit ist der Anspruch der Herausgeber an den Band formuliert. Um diesem gerecht zu werden wurde ein interdisziplinärer Zugang (an dem Band arbeiteten "Theologen, Historiker, Bildwissenschaftler, Musikwissenschaftler und Philologen" [9] mit) und damit folgerichtig ein intermedialer Zugriff gewählt. Eine solche "Weitwinkeleinstellung" ist bei diesem Thema unbedingt erforderlich, um die ganze Bandbreite von Heroisierungsformen über die gesamte Frühe Neuzeit hinweg zu analysieren. Allein durch sie wird es möglich, dieses Thema zu fassen und dem Rezipienten des Bandes den Blick auf ein phantastisches Kaleidoskop an Heroisierungsstrategien zu eröffnen.
Um angesichts der sich damit ergebenden Vielfalt von Zugängen die Orientierung zu erleichtern, wurde eine übergreifende Heuristik verwendet, die sieben verschiedene Zugriffsoptionen enthält: 1. Heroisierungen durch sprachliche Apposition, 2. Typologie zum Alten Testament (bellizistische Aufladung), 3. Pagan-christliche Synkrisie, 4. Poetische-heroische Ergänzung des Bibeltexts, 5. Rückwirkende Heroisierung als Herrscher-Präfigurat, 6. Rationalisierung des Mirakulösen, 7. Mediale Eigenlogik (vgl. dazu 10-17).
Zusätzlich dazu "liegt dem Band eine diskursiv- wie medienspezifische Gliederung in drei Teile zugrunde, die ihrerseits chronologisch strukturiert sind" (17). Im ersten Teil stehen die Paradigmen heroischer Christologie in historischen, theologischen und wissensgeschichtlichen Diskursen im Zentrum. Der zweite Teil befasst sich mit den Heroisierungen Christi und seiner Nachfolge in der Dichtung. Schließlich wird im dritten Teil die geistliche Heroik in bildender Kunst und Musik behandelt.
In den 22 Beiträgen, die dieser Band in sich vereint, wird die paradoxe Vorstellung von einer inneren Verwobenheit des triumphierenden und leidendenden Christus (Christus triumphans, Christus patiens) deutlich. Dies spiegelt das christologische Dogma, das Jesus seit dem Konzil von Chalcedon als wahren Gott und wahren Mensch zugleich definiert. Beide Imaginationen, des triumphierenden wie des leidenden Christus, dienten in der Frühen Neuzeit gleichermaßen als Begründung eines Heroismus. Der über Sünde, Tod, Teufel und Hölle triumphierende Auferstandene als Sinnbild des Helden ist eindeutig. Christus überschritt in, mit und durch die Auferstehung Grenzen, die nach menschlichem Ermessen nicht überschreitbar sind. Damit wurde Christus zum ultimativen Helden.
Die Beiträge beleuchten aus unterschiedlichen Perspektiven den leidenden, schwachen Christus. Gott wurde Mensch. Er entäußerte sich seiner Macht und nahm die Gestalt eines ohnmächtigen Menschen an. Allein dieser Akt wurde als ein unvorstellbarer, transgressiver Akt gedeutet; der Tod am Kreuz erfuhr eine solche Interpretation dann allzumal. Denn damit wurde Christus zum Vorbild im Leiden erklärt. Das Leiden, das stoische Ertragen von jeglichen Unbilden in der Auseinandersetzung des Menschen mit dem Satan, den Anfechtungen der Welt und des eigenen Fleisches erfuhren auf diese Weise eine heroisierende Begründung und Beglaubigung.
Auf diese Weise wurde eine Neudefinition von Heldentum vorgenommen. Bildern, Epen etc. von waffenstarrenden, potenten Helden der Antike usw. wurde Christus gegenübergestellt. Das Heldentum Christi wurde so keineswegs in der Aktivität, nicht in machtvollen Demonstrationen eigener Stärke, sondern in dem passiven Erdulden des Todes am Kreuz erkannt. Heroische Nachfolge bedeutet daher nicht zwangsläufig im Sinne des Gotteskriegers einen Kampf mit irdischen Waffen zu führen. Das propagierte Ideal fordert vielmehr, Leiden zu ertragen, "das eigene Kreuz auf sich zu nehmen", den Versuchungen des Satans und der Welt mit geistlichen Waffen zu begegnen, entsprechend des sechsten Kapitels des paulinischen Epheserbriefes.
Vor diesem Hintergrund bieten die unterschiedlichen Beiträge zur heroischen Nachfolge Christi in diesem Band stets einen Anknüpfungspunkt zu einem weiteren Themenkomplex, der bislang in der Forschungsliteratur zur Frühen Neuzeit ebenfalls deutlich unterrepräsentiert ist: der Vorstellung vom Miles Christianus.
Dem Wunsch der Herausgeber, dass der Band das Forschungsinteresse an dem Phänomen der christlichen Heroik verstärken möge (18), kann man sich nach einer überaus lehrreichen und lohnenswerten Lektüre der Beiträge nur anschließen.
Jan Martin Lies