Rezension über:

Shannan Clark: The Making of the American Creative Class. New York's Culture Workers and Twentieth-Century Consumer Capitalism, Oxford: Oxford University Press 2021, XV + 583 S., ISBN 978-0-19-973162-6, GBP 26,99
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Rezension von:
Benjamin Möckel
Universität zu Köln
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Benjamin Möckel: Rezension von: Shannan Clark: The Making of the American Creative Class. New York's Culture Workers and Twentieth-Century Consumer Capitalism, Oxford: Oxford University Press 2021, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 11 [15.11.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/11/35519.html


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Shannan Clark: The Making of the American Creative Class

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Mit dem Titel seines Buches tritt Shannan Clark in große Fußstapfen. So wie E.P. Thompson in den frühen 1960er Jahren die Entstehung der englischen Arbeiterklasse im Kontext der Industrialisierung nachgezeichnet hat, spricht Clark von der "Creative Class" als neuer Schicht eines sich im 20. Jahrhundert entfaltenden "consumer capitalism". Das Buch bietet damit zugleich Anknüpfungspunkte an aktuelle Zeitdiagnosen und soziologische Theorien: So hat z.B. Andreas Reckwitz in den vergangenen Jahren in mehreren Büchern die Entstehung einer "neuen" Mittelklasse postuliert, deren Angehörige als "konsumtorische Kreativsubjekte" zum wichtigsten Träger einer neuen postfordistischen Subjektkultur geworden seien [1]. Richard Florida, von dem Clark den Begriff "Creative Class" übernimmt, hat einen ähnlichen Wandel konstatiert [2].

Clark verortet seine Arbeit in zwei historischen Entwicklungen, die seiner Meinung nach das 20. Jahrhundert geprägt haben: den Aufstieg der modernen Massenkonsumgesellschaft, in der zahlreiche neue Jobs im Bereich von Werbung, Marketing und Design entstanden, sowie hiermit eng verbunden die Genese einer "new middle class", die nicht mehr selbstständige Kreative ausmachten, sondern fest angestellte white collar workers. Clark untersucht die Entstehung dieser neuen Angestelltenkultur am Beispiel New Yorks, womit das Buch indirekt auch zu einer Stadtgeschichte wird, in der Aufstieg und späterer Bedeutungsverlust New Yorks als Medienmetropole der USA dargestellt werden.

Clark betrachtet vor allem drei neue Arbeitsfelder: die rasch expandierende Werbebranche, die hiermit eng verbundenen Massenmedien sowie die entstehenden Branchen des industriellen Designs. Im Zentrum stehen drei Themenfelder: erstens die Arbeitskämpfe und die hiermit verbundenen Versuche, die Gruppe der Cultural Workers gewerkschaftlich zu organisieren; zweitens Strategien, die neuen konsumgesellschaftlichen und massenmedialen Formen für sozialpolitische und kapitalismuskritische Projekte zu nutzen, sowie drittens die Herausbildung einer neuen Sozialformation in den jeweiligen Arbeitsfeldern und die Bestrebungen, eine kreative Autonomie innerhalb der Strukturen der kapitalistischen Produktion zu erhalten.

Das Buch ist chronologisch strukturiert und behandelt vor allem den Zeitraum zwischen den 1930er und den 1970er Jahren. Nach einem ersten Kapitel, das die Vorgeschichte der Entstehung der Kreativbranchen seit dem späten 19. Jahrhundert nachzeichnet, setzt der Hauptteil des Buches zu einem Zeitpunkt ein, als dieses System zum ersten Mal in eine Krise geriet: Mit der Weltwirtschaftskrise fuhren zahlreiche Unternehmen ihre Werbebudgets zurück, wodurch Zeitungsverlage große Teile ihrer Belegschaft entlassen mussten und sich die Löhne und Arbeitsbedingungen für die verbliebenen Angestellten massiv verschlechterten. Hieraus entstanden die Initiativen des white collar unionism der 1930er Jahre, die im Zentrum des zweiten Kapitels stehen. Die gewerkschaftliche Organisation der Cultural Workers stand dabei einerseits im Kontext des allgemeinen Aufschwungs des Gewerkschaftswesens in der Zeit des New Deal, war aber zugleich mit spezifischen Problemen und einem Reflexionsprozess darüber verbunden, welcher sozialen Klasse man sich als Cultural Worker zugehörig fühlen sollte - einer bürgerlichen Schicht, dem Proletariat oder einer ganz eigenen sozialen Klasse. Während radikale Kräfte eine gemeinsame Front von white und blue collar workers postulierten, sahen andere in der gewerkschaftlichen Organisierung die Gefahr einer Proletarisierung der eigenen sozialen Gruppe.

Die beiden folgenden Kapitel nehmen exemplarisch zwei Bereiche in den Blick, in denen Cultural Workers in ihren eigenen Arbeitsfeldern eine kritische Position gegenüber dem kapitalistischen Konsumsystem einnahmen - im ersten Fall in Bezug auf die Konsumentenbewegungen, die vor allem über die Gründung der Consumers Union an Bedeutung gewann; im zweiten Fall in Bezug auf das industrielle Design, das Clark vor allem am Beispiel des Design Laboratory untersucht, das eine Verbindung von moderner Produktgestaltung und progressiver Politik anstrebte.

Die folgenden Kapitel führen zu den Fragen der gewerkschaftlichen Organisierung zurück und folgen der Frage nach den Auswirkungen, die steigender Wohlstand, ökonomische Erholung und eine expandierende Konsumgesellschaft auf die in der Zeit der Wirtschaftskrise entstandenen gewerkschaftlichen Verbindungen hatten. Kapitel 5 analysiert zunächst die Hochphase der Gewerkschaftsbewegung während des Zweiten Weltkriegs und der ersten Nachkriegsjahre, während Kapitel 6 deren langsame Erosion nachzeichnet: Der Antikommunismus der Nachkriegszeit gab den Arbeitgebern die Chance, die gewerkschaftlichen Bewegungen als kommunistisch zu diskreditieren und ihren Einfluss erheblich zurückzudrängen. Die Umbrüche der späten 1950er und 1960er Jahren verstärkten diesen Prozess: Clark zeichnet die Widersprüche der "affluent society" (John Kenneth Galbraith) der Nachkriegszeit nach, die einerseits von dem Versprechen einer neuen Autonomie der kreativen und selbstbestimmten Arbeit geprägt war, in der Realität der Arbeitsbeziehungen aber oft mit einem Abbau früherer Arbeitnehmerrechte und dem Verlust bestimmter Formen sozialpolitischen Engagements einhergingen. Das letzte Kapitel beschreibt schließlich die beginnende Abwanderung der Kreativindustrien aus New York an die Westküste und die Folgen, die dies für die Arbeitsbedingungen hatte.

Das Buch ist vieles: eine Labour History und Gewerkschaftsgeschichte, eine Geschichte sozialer Bewegungen, eine Konsumgeschichte der Hochphase des Fordismus, eine Ideen- und Intellektuellengeschichte linken Denkens in den USA, sowie - auch wenn dieser Aspekt an einigen Stellen etwas zu kurz kommt - eine Geschichte New Yorks in der Hochphase als Kultur- und Medienhauptstadt der USA. Worüber das Buch relativ wenig aussagt, sind die konkreten Arbeits- und Alltagserfahrungen der Angestellten, die Herausbildung eines neuen Habitus und spezifischer Lebensstile, die die Creative Class als Sozialformation prägten - also letztlich das, was E.P. Thompson ins Zentrum seiner Analyse gestellt hatte und was von Autoren wie Andreas Reckwitz als zentrales Phänomen einer neuen Mittelschicht mit einem spezifischen kulturellen Kapitel interpretiert worden ist.

Solche Anknüpfungspunkte an die Gegenwart bleiben in dem Buch marginal: Die Frage beispielsweise, wie sich Clarks Erkenntnisse mit den neueren Entwicklungen im Feld der Digitalkonzerne und der hiermit eng verflochtenen Gig Economy verbinden, müssen sich Leserinnen und Leser selbst beantworten. Shannan Clarks äußerst quellengesättigtes und klar argumentiertes Buch liefert aber eine äußerst instruktive Erzählung, die den Aufstieg der Massenkonsumgesellschaft mit den Traditionen eines sozialpolitisch orientierten Gewerkschaftswesens in den USA der Mitte des 20. Jahrhunderts verbindet.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Andreas Reckwitz: Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne, Weilerswist 2006.

[2] Richard Florida: The Rise of the Creative Class. And How It's Transforming Work, Leisure, Community and Everyday Life, New York 2002.

Benjamin Möckel