Ines Weßels: Zum Bischof werden im Mittelalter. Eine praxistheoretische Analyse vormoderner Selbstbildung (= Praktiken der Subjektivierung; Bd. 16), Bielefeld: transcript 2020, 291 S., ISBN 978-3-8376-5037-2, EUR 60,00
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Sarah Foot: Aethelstan. The First King of England, New Haven / London: Yale University Press 2011
N. P. Brooks / S. E. Kelly (eds.): Charters of Christ Church Canterbury. Part 1, Oxford: Oxford University Press 2013
Das Amtsverständnis mittelalterlicher Bischöfe und die Aushandlung von episkopalen Idealen gehören zu den zentralen Gegenständen auch der jüngeren europäischen Bischofsforschung. Da diese Themen meist in Fallstudien zu einzelnen Diözesen oder gar zu einzelnen Bischöfen behandelt wurden, ist die bistumsübergreifende Studie von Ines Weßels zu spätmittelalterlichen Bischöfen im Heiligen Römischen Reich besonders zu begrüßen. Die Verfasserin orientiert sich am theoretischen Gerüst des Oldenburger DFG-Graduiertenkollegs 1608/2 'Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung in historischer und interdisziplinärer Perspektive' (2010-2019) und fragt nach der "eigenmächtigen Ausformung des Bischofsamtes" (14) durch die Amtsträger selbst. Die sozialen Praktiken der Selbstwerdung bzw. Selbstformung erarbeitet Weßels vor allem aus Bischofschroniken des 13. bis 16. Jahrhunderts. Als Fallbeispiele dienen Trierer und Magdeburger Erzbischöfe des 14. und 15. Jahrhunderts sowie Bremer Erzbischöfe des 14. Jahrhunderts, außerdem Merseburger Bischöfe des 14. und 15. Jahrhunderts sowie Augsburger und Verdener Bischöfe des 15. Jahrhunderts.
In der Einleitung werden der theoretische Ansatz umfassend erläutert und die Quellengrundlage vorgestellt, ohne dass allerdings offengelegt wird, warum die Auswahl auf gerade diese Fallbeispiele und auf gerade diese Chroniken fiel. Im zweiten Kapitel stellt Weßels Grundlagenwissen zum Amt des Bischofs im Mittelalter zusammen. Die Analyse der Fallbeispiele hat ihren Platz in den drei Hauptkapiteln, deren für die Fragestellung aussagekräftigen Themen klug gewählt sind: Zuerst werden die Formierung und Einübung des bischöflichen Selbstverständnisses beim Amtsantritt und im 'bischöflichen Alltag' untersucht. Anschließend wird die Aushandlung episkopaler Rollenmodelle mit weiteren Akteuren in den Blick genommen, zunächst im Rahmen der bischöflichen Landesherrschaft, dann vor allem im Konflikt mit Geistlichen wie dem Domkapitel und den Klöstern in der Diözese, abschließend mit Herrschaftsträgern in der Bischofsstadt. Das dritte Hauptkapitel widmet sich besonderen Herausforderungen wie Beeinträchtigungen durch Alter und Krankheit sowie mangelnder Akzeptanz des Bischofs in seinem Umfeld bis hin zum gänzlichen Scheitern eines Amtsträgers. Im knapp fünf Seiten umfassenden Fazit werden die zentralen Ergebnisse zusammengefasst und offene Forschungsfragen benannt. Bedauerlicherweise fehlt ein Register.
Die Monographie basiert auf einer eingehenden Interpretation der zentralen Passagen in den Bischofschroniken, auf einer breiten Kenntnis der deutschsprachigen Forschungsliteratur sowohl zur spätmittelalterlichen Bistumsgeschichte als auch zu Normen und Werten im Mittelalter sowie auf einer differenzierten Darstellung praxeologischer Theorieangebote. Fremdsprachige Studien zur mittelalterlichen Bischofsgeschichte werden hingegen kaum wahrgenommen, dies gilt insbesondere für die breite angelsächsische Forschung zum episkopalen Amtsverständnis und zu Bischofsidealen im Mittelalter. Auch wäre es wünschenswert gewesen, wenn die eigenen Interpretationsergebnisse vor dem Stand der mediävistischen Forschung profiliert worden wären, vielmehr ist der Fokus von Weßels darauf gerichtet, die Anwendung von Subjektivierungs-Theorien auch für die Geschichte der Vormoderne zu legitimieren.
Zu überdenken wäre, ob die Auswahl der Fallbeispiele es erlaubt, Rückschlüsse auf die Subjekt-Werdung des spätmittelalterlichen Bischofs im Allgemeinen ziehen zu können, zumal die zentrale, zugegebenermaßen zugespitzte Fragestellung der Arbeit lautet: "Was macht einen Bischof (aus)?" (21). So muss fraglich bleiben, ob so unterschiedliche Amtsträger wie die mächtigen und reichsweit agierenden Trierer Erzbischöfe, die von den sächsischen Herzögen abhängigen und verarmten Merseburger Bischöfe oder die unter habsburgischer und wittelsbachischer Kontrolle stehenden Augsburger Bischöfe einen vergleichbaren Typus verkörpern. Zudem hätte man von einer geschichtswissenschaftlichen Arbeit zumindest Hinweise auf den historischen Wandel des Bischofsbilds und damit auf die Selbstbildung der Amtsträger vom 13. Jahrhundert zu reformorientierten und humanistisch geprägten Vorstellungen des 15. Jahrhunderts erwartet.
In der Einleitung werden die Vielfalt an Verfassern spätmittelalterlicher Bischofschroniken und die Breite von Funktionen dieser Texte reflektiert. Auch innerhalb der Quelleninterpretationen hat Weßels die Sichtweisen und Intentionen der Chronisten oftmals im Blick und spricht beispielsweise von "literarischen Entwürfen" (90), "Erzählentwürfen" (125) oder "Bischofsbildern" (110) in den Chroniken, ja warnt vor der "Gefahr der Fiktionalität" (241) und artikuliert schon in der Einleitung ihr Unbehagen: "Prinzipiell bergen die Texte die Gefahr, als Abbild der Wirklichkeit ungeeignet zu sein." (25) Gleichwohl werden in den Analysekapiteln die Entwürfe der Historiographen vielfach als Abbild der Handlungen, Absichten und Gefühle der Bischöfe gedeutet, selbst bei offensichtlich überformten Anekdoten, topischen Rollenmodellen oder Passagen, die Jahrzehnte später geschrieben wurden. Somit ist es das Verdienst der Monographie, Erwartungen an Bischöfe und zeitgenössische Anforderungen an das Bischofsamt aus der Sicht von spätmittelalterlichen Chronisten herausgearbeitet zu haben. Ob diese Texte - und auch das einzige 'Selbstzeugnis', die Briefe des Augsburger Bischofs Friedrich von Zollern (1486-1505) - tatsächlich die "eigenmächtige Ausformung des Bischofsamts" (14) durch die Amtsträger selbst, also ihren "Eigenanteil dieser [...] Ausformung" (19), oder doch nicht vielmehr die Vorstellungen der Chronisten und des Umfelds der Bischöfe widerspiegeln, muss fraglich bleiben.
Andreas Bihrer