Amir Dziri / Angelica Hilsebein / Mouhanad Khorchide u.a. (Hgg.): Der Sultan und der Heilige. Islamisch-Christliche Perspektiven auf die Begegnung des hl. Franziskus mit Sultan al-Kamil (1219-2019), Münster: Aschendorff 2021, X + 736 S., 24 Farbabb., ISBN 978-3-402-24644-3, EUR 82,00
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Gert Melville / Leonie Silberer / Bernd Schmies (Hgg.): Die Klöster der Franziskaner im Mittelalter. Räume, Nutzungen, Symbolik, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2015
Gaia Sofia Saiani (a cura di): La Passio XII fratrum qui e Syria venerunt. Edizione critica e introduzione, Spoleto: Fondazione Centro Italiano di Studi sull'alto Medioevo 2019
«Vera amicitia praecipuum munus». Contributi di cultura medievale e umanistica per Enrico Menestò, Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2018
Mouhanad Khorchide: Scharia - der missverstandene Gott. Der Weg zu einer modernen islamischen Ethik, Freiburg: Herder 2013
Heinz-Dieter Heimann / Angelica Hilsebein / Bernd Schmies u.a. (Hgg.): Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter bis in die Gegenwart, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2012
Dieses Buch wurde geplant im Blick auf das 800. Jahr der Wiederkehr der Begegnung des heiligen Franziskus von Assisi (1182-1226) mit dem Sultan al-Malik al-Kamil in Damiette. Dass diese friedliche Begegnung im Nildelta während des 5. Kreuzzuges im Spätsommer 1219 stattgefunden hat, ist von vielen christlichen, vor allem franziskanischen Chroniken der Zeit bezeugt, aber kaum von muslimischen. Alles, was an Bildern, Fantasien, Motiven und Konsequenzen an diese historische, heute oft als prophetische bezeichnete Begegnung gebunden wurde und wird, entspringt zum großen Teil menschlicher Vorstellungskraft.
Symptomatisch hierfür sind Titel und Titelbild, die ein kleiner deutscher Verlag im Jahr 2001 für das ins Deutsche übersetzte und sehr verbreitete Buch des niederländischen Theologen und Missionars Jan Hoeberichts (1929-2014) gewählt hat: Unter dem Titel "Feuerwandler. Franziskus und der Islam" sieht man den Poverello in loderndem Feuer stehen, auf das der Sultan von seinem Thron aus schaut. Als ob Franziskus zum Beweis, dass seine Religion die wahre sei, die Feuerprobe vorgeschlagen und bestanden hätte! Dagegen weist der belesene Autor in dem Buch nach, dass erst der gelehrte Franziskanertheologe Bonaventura († 1274), der Anfang Februar 1257 in Rom zum Generalminister gewählt wurde und als solcher zur Vereinheitlichung des Ordens 1262/63 eine neue große und eine kleine Lebensbeschreibung des Heiligen verfasste (die Legenda maior und die Legenda minor), die beide auf dem Generalkapitel zu Paris 1266 als einzige offizielle Darstellungen deklariert und andere Gründerlegenden zu lesen verboten wurden. Von der Standard-Biografie Bonaventuras her wird es verständlich, dass die in Kapitel IX,7-8 der Legenda maior geschilderte Feuerprobe vor dem Sultan auch in den Freskenzyklus Giottos in der Oberkirche von San Francesco in Assisi einging (im Buch Abb. 3). Von dort zeugte sie sich weiter in der Ikonografie und Literatur bis ins 20. Jahrhundert.
Von diesem Irrweg der Erhöhung des historischen Franziskus zum Helden, der durchs Feuer geht, ist in diesem umfangreichen Band nur noch ablehnend die Rede. Vielleicht ist das Pendel aber doch zu weit auf die andere Seite ausgeschlagen, wenn der einleitende Beitrag von Michael Borgolte Über Begegnungen von Christen, Muslimen und Juden im Mittelalter (7-38) mit der Feststellung endet, dass die Friedensmission Franz von Assisi erst nachträglich zugeschrieben wurde und mit dem modernen Anliegen eines allgemeinen Religionsfriedens nicht zu verwechseln sei; "der Überlieferung nach ging es dem charismatischen Asketen nur um den Schutz der christlichen Kreuzritter" (38). Wenn dem so wäre, dann wären die seit 1986 stattfindenden Friedensgebete von Assisi an den Haaren herbeigezogen und der christlich-islamische Dialog, der von Roger Bacon († 1292) und Raimundus Lullus († 1316) bis zu heutigen Franziskanern besonders gepflegt wird, ohne Bezug zum Treffen der beiden Protagonisten in Damiette, dem Heiligen und dem Sultan.
Die Botschaft vom Frieden durchzieht aber viele Schriften von Franziskus, er beginnt jede Predigt und schließt jeden Brief mit dem Friedenswunsch. Er versöhnte Städte. So ist es folgerichtig, dass er die Mühe der Reise zum Nil auf sich genommen hat, um das hohe Gut der Versöhnung zwischen Christen und Muslimen zu erreichen. Seine Friedensmission resultiert auch aus dem einzigartigen Kapitel 16 der Nicht-bullierten Regel, das nichts anderes ist als die Anwendung der Bergpredigt (Mt 5) und der Sendungsrede Jesu (Mt 10) auf solche, die "unter (und nicht gegen) die Sarazenen gehen wollen" (NbR 16,1). Franziskus' eigene Gefolgschaft hat dieses Missionskonzept bald vergessen und verdrängt. Seine Originalität wurde im 20. Jahrhundert wiederentdeckt. Im 21. ist es so aktuell wie im 13., falls endlich aus der "Geschichte eines Missverständnisses", wie Franco Cardini sein Buch Europa und der Islam (München 2000) überschrieben hat, eine Geschichte des Verständnisses und der Begegnung zwischen Christen und Muslimen werden soll. Dass dies gelingen kann, dazu bietet das hier angezeigte Buch gute Voraussetzungen.
Wurde bisher die Begegnung des Heiligen mit dem Sultan nur aus christlicher oder franziskanischer Sicht untersucht, so besteht nun die größte Neuigkeit darin, dass das Buch von zwei christlichen und zwei muslimischen Fachleuten herausgegeben wird, hinter denen "die Fachstelle Franziskanische Forschung (FFF)" und das "Referat Christen und Muslime im Bistum Münster" stehen. Entsprechend interreligiös ist auch die Autorschaft der 26 Beiträge, die hier nicht einzeln vorgestellt werden können. Insgesamt bekunden sie eindrucksvoll, dass epochenübergreifend und interdisziplinär gearbeitet wurde. Herausgeberin und Herausgeber erklären im "Vorwort" (IX-X), dass die Initiatoren des Projekts das Ziel verfolgten, die Begegnung vor 800 Jahren "als historisches Ereignis und in ihrer heutigen Bedeutung als «geteilte» Geschichte darzustellen. Der Begriff steht für eine grenzüberschreitende Geschichte, die gleichberechtigt sowohl die eigene als auch die Perspektive des anderen einnimmt" (X). Entsprechend häufig wechseln Schauplatz und Zeit. Daher ist es angebracht, einen Überblick über die Themenbereiche des Buches zu geben.
Nach dem erwähnten grundsätzlichen und einleitenden Artikel über das Verhältnis von Christen, Muslimen und Juden im Mittelalter (7-38) geht es sehr lange um die "Historische Perspektive" (39-333). Sie gelangt angesichts der unterschiedlichen christlich-westlichen Deutungen wie der im arabischen und allgemein im orientalischen Raum sogar ganz fehlenden geschichtlichen Quellen zu keiner einheitlichen Sicht auf das damalige Geschehen um den unter Söldnern und Muslimen unbekannten Franz von Assisi und den bekannteren Sultan Al-Kamil. Der Themenbereich "Rezeption" (335-450) zeigt darüber hinaus an, dass die friedliche Begegnung von 1219 keineswegs die Beziehungen von Muslimen und Christen im Mittelalter verbessert hat, dass jedoch moderne filmische Darstellungen des Geschehens diese Problematik oft überspielen.
Um die Aufarbeitung "Theologischer Kontexte" (451-532) von damals wie später bemüht man sich christlich wie islamisch mehr oder weniger erfolgreich. Programmatisch wird das Thema "Interreligiöser Dialog heute" (533-613) nicht nur aus jeweils entschieden christlicher wie muslimischer Überzeugung dargestellt, sondern auch "aus der Perspektive der franziskanischen Ordensfamilie" (555-586). Kritischer erscheint dagegen der Themen-Bereich "Interreligiöser Dialog aus der Perspektive nichtfranziskanischer Akteure" (615-715), wobei es einmal um "den christlich-islamischen Dialog in der deutschen Zivilgesellschaft" von 1950 bis heute geht (617-646), dann um eine katholisch-theologische (647-659) und eine evangelisch-theologische (661-673) Grundlegung bis hin zu einer eher politischen Sicht (675-715).
Wohl des schon großen Umfangs wegen fehlt ein Literaturverzeichnis. Das "Personenregister" (721-736) kann es kaum ersetzen, zumal es sich auf die im Text (außer den Fußnoten) genannten Personen beschränkt und unvollständig ist.
Leonhard Lehmann