Wilhelm von Ockham: De iuribus Romani imperii. Das Recht von Kaiser und Reich, III.2 Dialogus, Band I. Lateinisch - Deutsch. Übersetzt und eingeleitet von Jürgen Miethke (= Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters; Bd. 49), Freiburg: Herder 2020, 411 S., ISBN 978-3-451-38529-2, EUR 54,00
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Wilhelm von Ockham: De iuribus Romani imperii. Das Recht von Kaiser und Reich, III.2 Dialogus, Band II. Lateinisch - Deutsch. Übersetzt und eingeleitet von Jürgen Miethke (= Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters; Bd. 49), Freiburg: Herder 2020, 448 S., ISBN 978-3-451-38729-6, EUR 58,00
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Enrico Faini / Pierluigi Terenzi / Andrea Zorzi (a cura di): Reti italiche. Spazi e relazioni politiche da Roma alle Alpi nei tempi di Dante (1260-1330), Roma: Viella 2023
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Das Groß- wie Langzeitprojekt, den unvollendet gebliebenen Dialogus des Franziskaners Wilhelm von Ockham zu edieren, ist beinahe abgeschlossen. Mittlerweile sind vier der auf fünf Bände angelegten Edition erschienen. [1] Mit Jürgen Miethke hat einer der besten Kenner des englischen Minderbruders die Übersetzung des dritten und somit letzten Teils dieses gelehrten Werks besorgt.
Miethke befasst sich seit seiner Dissertation mit Ockham. [2] Zudem hat er schon in den 1990ern Auswahlübersetzungen des Dialogus vorgelegt, die allerdings noch auf dem Druck von Jean Trechsel (Lyon 1494) und dessen Wiederabdruck durch Melchior Goldast (Frankfurt 1614) beruhten. [3] 2015 hat Miethke, basierend auf der kritischen Edition, III.1 Dialogus, also die erste Abhandlung des dritten Teils, vollständig ins Deutsche übertragen. [4] Der hier zu besprechende Doppelband bietet eine - das sei vorweggenommen: hervorragende - Übersetzung des zweiten erhaltenen Traktats des dritten Teils (III.2 Dialogus) von Ockhams umfassendem politiktheoretischen Werk. Diese fußt auf der Edition von Semih Heinen und Karl Ubl [5], die Miethke eine Vorabfassung zur Verfügung gestellt haben.
Nach einem kurzen Vorwort (9-15), in dem die Druck- und Editionsgeschichte rekapituliert wird, widmet sich die informative Einleitung (15-89) der Entstehung und Abfassung des Werks, den Inhalten und der Handschriftenüberlieferung von III.2 Dialogus sowie der "dialogischen Methode" ihres Verfassers. Fokussiert werden die Jahre am Münchner Hof Ludwigs IV., bei dem Ockham und andere Franziskanerdissidenten ab 1330 Zuflucht fanden, nachdem sie während der Auseinandersetzungen mit Johannes XXII. aus Avignon geflohen waren. In Bayern entfaltete Ockham eine rege publizistische Tätigkeit, verfasste im zeitgenössischen Meinungsstreit zahlreiche Streit- und Flug- sowie seine politischen Schriften, darunter den Dialogus.
Ockham habe den ersten seiner auf drei Teile ausgelegten Summe in den Jahren 1332-1335 verfasst, das Projekt anschließend - womöglich auf kaiserliche Anordnung - unterbrochen, ehe er es zwischen 1337-1342 wiederaufgenommen und bis zu seinem Tod die beiden Traktate des dritten Teils abgefasst habe. Aufgrund der veränderten Zeitumstände und eventuell auch wegen "der Entwicklung seiner eigenen Reflexionen" (31) nahm er im Vergleich zum ursprünglichen Vorhaben begriffliche wie konzeptuelle Änderungen vor. Der dritte Teil sollte nunmehr aus neun Abhandlungen bestehen: In zwei einführenden Traktaten sollte der Rechtsrahmen erörtert, im Anschluss die am Meinungskampf Beteiligten und ihre Positionen beleuchtet werden. Umgesetzt wurden indes nur die beiden einleitenden Abhandlungen des dritten Teils: III.1 (De potestate papae et cleri) und III.2 (De iuribus Romani imperii).
III.2 Dialogus ist ein nach den scholastischen Quaestionen strukturierter "Lehrdialog" (36) zwischen einem Schüler und einem Lehrer. In invertierten Rollen übernimmt jedoch der discipulus die Gesprächsführung und stellt dem magister die Fragen, der jedoch seine eigene Ansicht bewusst nicht kundtut, sondern die gegenteiligen Meinungen zum jeweiligen Gegenstand in umfassenden Argumentationsreihen referiert. Jeder sollte sich selbst eine Meinung bilden, was letztlich ein wesentlicher Grund für die weite Verbreitung der heute noch in 18 Handschriften erhaltenen zweiten Abhandlung des dritten Teils des Ockhamschen Opus magnum gewesen sein dürfte.
III.2 Dialogus ist in drei Bücher unterteilt, die sich wiederum in mehrere Kapitel auffächern, und behandelt die Rechte und Kompetenzen des Kaisers. In Buch 1 von III.2 Dialogus wird zunächst danach gefragt, ob man einem einzigen Kaiser untergeben sein soll (Kap. 1-13); in der Diskussion des Für und Wider schält sich eine wohl auch von Ockham vertretene via media heraus, nach der je nach Zeitumständen verschiedene Verfassungs- und Herrschaftsordnungen vorteilhaft sind. Die Kap. 14-17 halten einen Kaiserspiegel bereit, in dem Tugenden und Fähigkeiten des imperator erörtert werden. Im Anschluss wird diskutiert, von wem das imperium stamme (Kap. 18-28) und ob es abgeschafft, geteilt oder übertragen werden könne (Kap. 29-31).
Buch 2 handelt von den weltlichen Kompetenzen des Kaisers. Einleitend wird der Unterschied zwischen der kaiserlichen und der päpstlichen potestas in weltlichen Angelegenheiten geklärt (Kap. 1-4). Danach werden die Amtskompetenz des Kaisers im Verhältnis zu denen anderer Herrscher (Kap. 5-9) und über das Eigentum seiner Untertanen (Kap. 20-25), das Verhältnis kaiserlicher und geistlicher Gerichte (Kap. 10-19), die plenitudo potestatis des Kaisers (Kap. 26-28) und dessen Herrschaftsbeginn (Kap. 29) besprochen.
Das dritte Buch fragt nach den kaiserlichen Kompetenzen in geistlichen Angelegenheiten. Diese spiritualia werden zuerst definiert (Kap. 1), ehe sich die Ausführungen auf die Papstwahl, und zwar auf die kaiserlichen Einflussrechte und die Eignung der Papstwähler (Kap. 2-15), sowie die Frage, ob der Kaiser eine Oberhoheit über den Papst habe (Kap. 16-23), konzentrieren.
Die gut lesbare Übersetzung ist seitenparallel zum lateinischen Text (92-709) gedruckt, sodass die "komplexen lateinischen Satzkaskaden" (83) mit der nicht selten in mehrere Sätze zerlegten deutschen Übertragung abgeglichen werden können. Beigegeben ist ein wertvoller Sachkommentar, in dem etwa Begriffe und Konzepte erläutert werden. Die Appendizes halten die Übersetzung eines Textausschnitts zu Urteilskraft und Gedächtnis aus dem Elementarium logicae, das Miethke Ockham zuschreibt (711-715), sowie des Abschnitts zu III.2 Dialogus aus Pierre d'Aillys Abbreviatio Dialogy Okam, eines vor 1378 verfassten Findmittels (717-769), bereit. Eine Bibliographie (775-798), eine Zeittafel (799-804), ein nützliches Glossar der wichtigsten Termini von abrogare bis uti lege (805-815), ein Personen- und Ortsregister (817-820) sowie ein Index der Zitate (821-829) runden den Band ab.
Miethke macht mit dieser eindrucksvollen doppelsprachigen Ausgabe einen sprachlich anspruchsvollen Text zu einer komplexen Materie zugänglich, weshalb ihr viele Leser und ein ausgiebiger Einsatz in der universitären Lehre gewünscht seien.
Anmerkungen:
[1] Auch online verfügbar: http://publications.thebritishacademy.ac.uk/pubs/dialogus/ockdial.html (15. November 2021).
[2] Jürgen Miethke: Ockhams Weg zur Sozialphilosophie, Berlin 1969.
[3] Wilhelm von Ockham: Dialogus. Auszüge zur politischen Theorie (= Bibliothek klassischer Texte), übers. v. Jürgen Miethke, Darmstadt 1992, ebd. 21994; Wilhelm von Ockham: Texte zur politischen Theorie. Exzerpte aus dem Dialogus (= Reclams Universalbibliothek; 19088), übers. v. Jürgen Miethke, Stuttgart 1995, ebd. 22013.
[4] William of Ockham: Opera Politica 8. Dialogus: Part 2; Part 3, Tract 1 (= Auctores Britannici Medii Aevi; 20), hg. v. John Kilcullen u. a., Oxford 2011; Wilhelm von Ockham: De potestate papae et cleri / Die Amtsvollmacht von Papst und Klerus, III.1 Dialogus, 2 Bde. (= Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters; 36/I-II), übers. v. Jürgen Miethke, Freiburg i. Br. 2015.
[5] William of Ockham: Opera Politica 9. Dialogus: Part 3, Tract 2 (= Auctores Britannici Medii Aevi; 33), hg. v. Semih Heinen / Karl Ubl, Oxford 2019.
Giuseppe Cusa