Alessandro Silvestri: L'amministrazione del regno di Sicilia. Cancelleria, apparati finanziari e strumenti di governo nel tardo medioevo (= I libri di Viella; 282), Roma: Viella 2018, 496 S., ISBN 978-88-6728-689-8, EUR 43,00
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Wenn es um die Verwaltung im mittelalterlichen Sizilien geht, steht in der deutschen Forschung meist Friedrich II. im Mittelpunkt. Die Verwaltungsreformen des Staufers im frühen 13. Jahrhundert systematisierten und zentralisierten die Prozesse, sie gelten geradezu als Paradebeispiel für Verwaltungsmodernisierung avant la lettre. Silvestri stellt in seinem Buch die sizilianische Verwaltung einer anderen Zeit vor, nämlich des 15. Jahrhunderts, als Sizilien zur Krone Aragon gehörte. In dieser Epoche gestaltete sich die Verwaltung wesentlich komplizierter als unter Friedrich II., aber während Friedrichs Reformen nach seinem Tod schnell erloschen, konnte sich das komplexere spätmittelalterliche System länger halten, ja sogar zum Vorbild für andere Teilherrschaften der aragonischen Krone werden.
Silvestri beschreibt damit den interessanten Fall eines Herrschaftsgebiets, in dem Zentralisierungsbemühungen einerseits und Autonomiebestrebungen andererseits in beständigen Aushandlungsprozessen standen. Deshalb erscheinen sie weniger als dichotome Pole unterschiedlicher Politikziele als vielmehr als sich gegenseitig austarierende Gewichte, die es erlaubten, einen gemeinsamen Weg zu finden, der iberische und sizilianische Interessen zusammenbrachte. Wie Silvestri betont, wird in der Forschung häufig zu wenig beachtet, dass Sizilien im 15. Jahrhundert zur Krone Aragon gehörte, indem die Kontinuität der sizilianischen Verwaltungsstrukturen herausgestrichen wird. Gerade die Einbettung in die Herrschaft der Trastámara macht die Geschichte der Verwaltung aber interessant, denn in der Regierungszeit von Ferdinand I. d'Antequera (1412-1416) und Alfons V. (dem Großmütigen) (1416-1458) wurden die sizilianischen Strukturen in einem komplexen Prozess ins Reich der Krone Aragon integriert.
Auf diese Zeit legt Silvestri denn auch den Fokus seiner Analysen. Damit kann er eine systematische Lücke in der Forschung füllen, wie er in der Einleitung herausarbeitet: Bisher stand die mittelalterliche Verwaltungsgeschichte meist im Schatten der Frage, wann der moderne Staat entstand. Als solche Staaten wurden dabei hauptsächlich die späteren Nationalstaaten betrachtet, die über eine ähnliche Kultur und Sprache verbunden waren. Verwaltungsgeschichte wurde deshalb oft zur Geschichte der Zentralisierung und Vereinheitlichung. Erst für die Frühe Neuzeit wird auch die Funktionsweise komplexerer Verwaltungssysteme untersucht, etwa für das spanische oder britische Empire. Silvestris Analysen zeigen beispielhaft, dass auch im Mittelalter solche vielschichtigen Herrschaftsgebilde entstanden, die hauptsächlich über ständige Verhandlungen zwischen verschiedenen Ebenen und Instanzen organisiert wurden. Er weist darauf hin, dass die Krone Aragon dabei keinesfalls einen Sonderfall darstellte - man denke etwa an die Kalmarer Union oder das Herrschaftsgebiet der Plantagenet. Silvestris Studie eröffnet damit die Möglichkeit, Verwaltungs- und Herrschaftsgeschichte weiter aus ihrem nationalen (immer potenziell anachronistischen) Fokus zu lösen: Verwaltungsgeschichte wird hier nicht als Geschichte der Durchsetzung zentraler Herrschaft erzählt, sondern als Verhandlungsprozess, der lokale Autonomie erhielt, die ein vielfältiges Reich (gerade in finanzieller Hinsicht) stabilisierte.
Dazu analysiert Silvestri in drei großen Kapiteln die verschiedenen Kanzlei-Instanzen, die Finanzverwaltung und die dokumentarischen Praktiken der sizilianischen Verwaltung. Die Geschichte der Kanzlei-Einrichtungen wird schon seit ihren Anfängen im 12. Jahrhundert erzählt, der Fokus liegt allerdings auf den Neuerungen, die Ferdinand I. und Alfons V. einführten. Der Kanzler verlor an Bedeutung, wohingegen dem Protonotar (iberisch) und den Sekretären (sizilianisch) mehr Einfluss zuwuchs. Zwar wurde versucht, die Aufgabengebiete der unterschiedlichen Stellen klar voneinander abzugrenzen, in der Praxis lief die Kommunikation aber meistens über verschiedene Kanäle.
Teil II analysiert mit der Finanzverwaltung den Bereich der Administration, in den die aragonische Krone am stärksten eingriff. Ein neuer "conservatore del real patrimonio" sollte insbesondere sicherstellen, dass der König seine Kriegszüge auf dem italienischen Festland finanzieren konnte. Da die lokalen Eliten in den Prozess der Einnahme und Verteilung der Gelder einbezogen wurden, konnte Sizilien zum wichtigsten Finanzier der Kriege von Alfons V. werden, wie Silvestris quantitative Auswertungen eindrücklich zeigen. Damit sieht er den Beleg erbracht, wie erfolgreich die neuen Herrscher aus Aragon die sizilianischen Institutionen reformiert hatten.
Im dritten Teil wendet sich Silvestri den Praktiken des Schreibens, Registrierens und Aufbewahrens zu. Der Umgang mit den Dokumenten zeigt, wie die Autorität des Vizekönigs gestärkt wurde, aber auch lokale Instanzen ihre Autonomie zu bewahren wussten. Im Schreiben manifestierte sich der Herrschaftsanspruch des Vizekönigs, denn nur wenn königliche Anordnungen und Privilegien in vizekönigliche Dokumente transformiert worden waren, erlangten sie Gültigkeit. Die Registrierung und Aufbewahrung der Schriftstücke versuchten die Krone zu zentralisieren, mit mäßigem Erfolg. Die sizilianischen Sekretäre bewahrten ihr Recht, auch selbst bestimmte Dokumente auszustellen, und legten gegen die Anordnung des Königs auch eigene Registraturen und Archive an. Auf der Ebene der Praktiken zeigt sich besonders deutlich, dass königlich-aragonische und lokal-sizilianische Interessen nicht übereinstimmen mussten, sie aber in einem ständigen Verhandlungsprozess ausgeglichen wurden, weshalb Konflikte nicht eskalierten.
Silvestris Studie bietet damit einen Einblick in die komplexe Verwaltung eines teil-autonomen Herrschaftsgebildes, der minutiös aus den Quellen gearbeitet ist und Verwaltungsstrukturen deshalb bis auf die Ebene konkreter Praktiken und Personen nachvollziehen kann. Die Rezensentin hätte sich allerdings noch gewünscht, dass der Autor nach den Analysen noch einmal auf die abstraktere Ebene gegangen wäre, die er in der Einleitung skizziert: Hier führt er an, ein Modell entwerfen zu wollen für Herrschaftsgebiete, die zwar einen gewissen Grad an Autonomie besitzen, aber einer größeren politischen Union angehören. Dieses Modell hätte er nicht nur am Fall Sizilien beschreiben, sondern zum Schluss noch einmal abstrakt konzipieren können, damit seine Ergebnisse auch von weiteren Forschungen genutzt werden können, die sich mit solchen komplexen Gebilden beschäftigen. Eine solche explizite Modellbildung hätte weiterführende Fragen eröffnet, beispielsweise danach, wie sich lokale Autonomie und königliche Zentralisierungsbemühungen genau zueinander verhielten, in welchen Bereichen etwa der König lokale Entscheidungsgewalt problemlos zuließ, wo sie erstritten werden musste, wo sie nicht gewährt wurde.
Insgesamt zeigt die Studie von Silvestri aber, was eine neue Verwaltungsgeschichte zu leisten vermag, die die politische Geschichte mit Ansätzen aus der Kultur- und Wirtschaftsgeschichte verbindet und die den konkreten Praktiken des Umgangs mit Dokumenten einen wichtigen Stellenwert zumisst: So entsteht ein facettenreiches Bild einer komplexen Verwaltung, die einfache Zentralisierungs- und Rationalisierungsnarrative konterkarieren kann.
Ulla Kypta