Johannes Mötsch (Bearb.): Das Benediktinerinnenkloster Rohr. Regesten zur Klostergeschichte (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Große Reihe; Bd. 22), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2020, 310 S., ISBN 978-3-412-51731-1, EUR 55,00
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Nahe der gleichnamigen Gemeinde Rohr im heute thüringischen Landkreises Schmalkalden-Meiningen bestand ein 824 erstmals belegtes Nebenkloster der Abtei Fulda, dessen zwischen 815 und 824/25 dem heiligen Michael geweihte Klosterkirche von Fulda errichtet worden war. Das Mönchshaus wurde gegen 840 vom Reich übernommen und hörte zu Beginn des 10. Jahrhunderts auf zu existieren. Für die Zeit zwischen 824 und 870 liegen vier Urkunden als Existenzbeleg vor. Anlässlich der sechs König- und Kaiseraufenthalte (Heinrich I., Otto I., Heinrich II.) im 10. Jahrhundert, beginnend 926, endend 1003, wurde anstelle des Klosters von einem Königshof berichtet.
Im Kloster Fulda dachte man um 1150/60 an die Errichtung einer Propstei in Rohr, gegründet wurde ein Benediktinerinnenkloster um die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert. Wie Fulda zum Eigentum an dem Land, auf dem das neue Ordenshaus St. Johannis entstand, kam, lässt sich nicht ermitteln, wahrscheinlich handelt es sich um Fuldaer Altbesitz. Die für 1154 erhaltene Urkunde, als Gründungsbeweis für Rohr herangezogen, stellt sich ebenso als Fälschung heraus wie die Abschrift der Urkunde des Jahres 1015 in der Fuldaer Sammlung des Codex Eberhardi, gesammelt zwischen 1150 und 1160, wonach Kaiser Heinrich II. und Fulda den Grundstückstausch für die Errichtung der Propstei Rohr vereinbart hätten. Wie Mötsch erläutert, waren derartige Fälschungen im Regelfall nicht mit der Schädigung Dritter verbunden, vielmehr entstanden sie, um Rechtsgeschäfte in einer Zeit, wo die Schriftform noch nicht zwingend war, nachträglich mit der Ausfertigung von Urkunden abzusichern.
Vom Vereinssekretär des Hennebergischen altertumsforschenden Verein zu Meiningen, Hermann Pusch (1865-1936), wurde zum 100-jährigen Vereinsjubiläum 1932 ein Band zum Kloster Rohr vorgelegt, der bis heute als maßgebliche Veröffentlichung zur Klostergeschichte gilt. Grundlage der Darstellung bildet das aus dem 18. Jahrhundert stammende "Copialbuch des Klosters Rohr im Gemeinschaftlichen Hennebergischen Archiv zu Meiningen".
Da sich in den letzten Jahren herausstellte, dass das Rohrer Klosterarchiv weitgehend erhalten geblieben ist - der Großteil des Bestandes wurde in Wernigerode wiederentdeckt -, erschien es Johannes Mötsch, dem Bearbeiter der hier zu besprechenden Veröffentlichung, sinnvoll, die Quellen zur Geschichte des Benediktinerinnenklosters Rohr auf überprüfter und ergänzter Quellenlage in Form von Regesten neu vorzustellen. Zwischenzeitlich steht ein Teil des Bestandes im Internet zur Benutzung bereit (arcinsys Hessen; Reformationsportal Mitteldeutschland). Da Pusch 1932 auch auf das im 9. Jahrhundert kurzzeitig existierende Mönchskloster eingegangen war, nahm auch Mötsch diesen Aspekt auf, gleiches gilt für die sechs Nachweise kaiserlicher und königlicher Aufenthalte in Rohr, zu denen Pusch lediglich eine Urkunde (Jahr 926) beitrug.
Das in der Diözese Würzburg gelegene Benediktinerinnenkloster unterstand unmittelbar dem Abt von Fulda und seinem Stift. Deshalb wurden Rohrer Pröpste durch Fuldaer Äbte ernannt. Äbtissinnen, ebenso die Nonnen, entstammten zumeist dem Adel. Einschlägige Urkunden des Propsteiwesens liegen erst seit Ende des 15. Jahrhunderts vor. Die Mehrzahl der Pröpste entstammte dem Fuldaer Stiftskapitel und war ebenfalls adeliger Herkunft. Ihnen oblagen die geistliche Leitung und die wirtschaftliche Verwaltung des Klosters. Häufige Abwesenheiten der Pröpste führten zur Vernachlässigung von Verwaltungsaufgaben und Klagen von Äbtissin und Konvent, schließlich zu Eingriffen des Landesherrn und zur Einsetzung von Propstverwesern und Pröpsten bürgerlicher Herkunft. Der Überblick über klösterliches Grundeigentum und anderer Rechte, damit auch über Einkünfte, wurde den Pröpsten durch die Anlegung von Propsteiregistern, die für die Jahre 1460, 1527 und 1537 erhalten sind, gewährt. Zusätzlich bestanden in geringem Umfang Sondervermögen von Äbtissinnen und Schwestern, obwohl das der Ordensregel widersprach. Im Register von 1527 findet sich der Hinweis auf die beim Propst liegende niedere Gerichtsbarkeit über die Untertanen.
Zur Unterstützung seiner seelsorgerischen Funktion stellte man dem Propst Vikare oder Kapläne zur Seite. Für die Mithilfe bei der Besitzverwaltung kamen Kämmerer und Kellner zum Einsatz. Innerhalb des Konvents gab es die Ämter der Küsterin, Kepplerin und Sangmeisterin. Außerdem lebten innerhalb der Klostermauern Laien, die in den Quellen als Konversen oder Pfründtner bezeichnet sind.
Ausführlich ging Pusch auf den Gottesdienst und das Leben der Nonnen ein, deren Tagesablauf durch die sieben kanonischen Gebetszeiten geregelt war, und die durch Psalmen und geistliche Dichtungen wesentlich gebildet wurden. Mit dem Benediktinerkloster auf dem Petersberg zu Erfurt war Rohr durch eine Gebetsbruderschaft ebenso verbunden wie mit dem steiermärkischen Admont, das über Boten umfangreiche Informationen verstorbener Konventsangehöriger sammelte und in Roteln erfasste.
Die Vogtei lag in den Händen der Herren von Hildenburg, die bei der Klostergründung eine bedeutende Rolle spielten, später bei Otto von Kühndorf. 1228 wurde sie durch den Fuldaer Abt dem Kloster Rohr übertragen. Schirmvogte und Schutzherren waren die Grafen von Henneberg-Römhild, mit denen 1499 über den schlechten Zustand des Klosters Streit entstand. Geistliche und wirtschaftliche Reformanstrengungen am Vorabend der Reformation unternahm der Fuldaer Klostervorsteher Johann, der im Oktober 1499 die Rohrer Propstei mit dem bürgerlichen Benediktinermönch Johann Löher, der bereits Erfahrungen in anderen Frauenklöstern erworben hatte, besetzte. Die Erneuerung im Sinne der Bursfelder Reformbewegung gelang Löher in Rohr allerdings nicht.
1545 wurde auf dem Territorium der Grafen von Henneberg-Römhild die Reformation eingeführt. Der damit absehbaren Klosteraufhebung versuchte der Fuldaer Abt, allerdings vergeblich, mit einem Mandat am Reichskammergericht zu begegnen. Albrecht von Henneberg-Römhild hob das Kloster 1545 auf und stellte das Klosterarchiv sicher. Die gewaltsame Inbesitznahme durch eine andere Linie der Henneberger Grafen 1562 betraf ein zu dieser Zeit bereits menschenleeres, nur noch formal bestehendes Ordenshaus.
Die Regesten (23-152) auf Grundlage der Originalurkunden, insbesondere aus Wernigerode und Fulda, geben Auskunft und Hinweise für die Zeit zwischen 1206 und 1599. Die "Dokumente" (153-228) enthalten Register, Reichungen an die Nonnen, Klagen über Pröpste, Rechtsstreitigkeiten zwischen Rohr und den Grafen von Henneberg und vor dem Reichskammergericht sowie Amtsbeschreibungen. Personallisten mit Pröpsten, Äbtissinnen und Nonnen folgen (229-240). Sehr gut dargestellt sind die Klosterbesitzungen und Abgaben aus 98 Orten (240-250) sowie Siegelinschriften (251-254). Es schließt sich das Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein ausführliches Orts- und Personenregister an. Vergeblich sucht man eine zeichnerische Darstellung der beschriebenen Klosterherrschaft.
Die mit Unterstützung der Thüringischen Staatskanzlei, der Sparkassen Kulturstiftung Hessen-Thüringen und des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsverein e.V. gedruckte Darstellung des Benediktinerinnenklosters Rohr stellt den aktuellen Forschungsstand zuverlässig recherchiert und sorgfältig erarbeitet sehr gelungen vor. Das Buch ist ohne Zweifel eine Bereicherung für die Territorial-, Ordens- und Klostergeschichte des fränkisch-thüringischen Raums.
Klaus Wollenberg