Antonella Ghignoli / Sebastian Roebert / Cornelia Neustadt et. al. (Hgg.): Von der Ostsee zum Mittelmeer. Forschungen zur Mittelalterlichen Geschichte für Wolfgang Huschner. Dal Mar Baltico al Mediterraneo. Ricerche di storia medievale per Wolfgang Huschner (= Italia Regia. Fonti e ricerche per la storia medievale; 4), Leipzig: Eudora-Verlag 2019, 544 S., 74 s/w-Abb., 6 Tbl., 2 Kt., ISBN 978-3-938533-61-1, EUR 99,00
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Brett Edward Whalen: The Two Powers. The Papacy, the Empire, and the Struggle for Sovereignty in the Thirteenth Century, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2019
Kirsi Salonen / Sari Katajala-Peltomaa (eds.): Church and Belief in the Middle Ages. Popes, Saints, and Crusaders, Amsterdam: Amsterdam University Press 2016
Mathias Kluge (Hg.): Handschriften des Mittelalters. Grundwissen Kodikologie und Paläographie, Ostfildern: Thorbecke 2014
Die vorliegende Festschrift zum 65. Geburtstag von Wolfgang Huschner versammelt 37 Beiträge, welche die Herausgeber in fünf Sektionen zu Diplomatik, Herrschaftssymbolik und -präsenz, Fernbeziehungen und Kommunikation, Kloster- und Ordensgeschichte sowie zur Landesgeschichte Mecklenburgs gegliedert haben. Da eine auch nur kurze Erwähnung aller Aufsätze den Rahmen einer Rezension sprengen würde, soll im Folgenden auf ausgewählte Beiträge aus allen Sektionen des Bandes eingegangen werden, vor allem aber auf diejenigen, die neue Befunde oder Deutungen liefern.
Der Beitrag von Antonella Ghignoli (37-54) fragt nach den Gründen für das Vorhandensein dreier Versionen der constitutio, durch welche der Prior Rudolf und die Mönche von Camaldoli im August 1086 die Einrichtung eines Frauenklosters in Luco di Mugello in schriftlicher Form regelten. Durch eine solide und detaillierte Analyse der beiden angeblichen Originale sowie einer späteren, nur durch die Annales Camaldulenses überlieferten Kopie kommt Ghignoli zu dem Schluss, dass das Exemplar, das heute im Bestand Luco di Mugello des Staatsarchivs zu Florenz aufbewahrt wird, eine vom gleichen Schreiber angefertigte inhaltliche Verbesserung des ursprünglichen Originals darstelle. Dieses erste Stück sei infolge der neuen Anfertigung überarbeitet und im Archiv des Mutterklosters Camaldoli als copia imitativa verblieben. Die durch die Annalen von Camaldoli überlieferte Kopie sei erst im späten 12. Jahrhundert auf der Grundlage des Exemplars von Luco und unter Heranziehung zeitgenössischer Notarsurkunden sowie einer Schutzurkunde Graf Widos vom Juli 1086 entstanden. Aus einem einfachen monastischen scriptum wurde auf diese Weise ein notarielles Instrument, das den juristischen Anforderungen des späten 12. Jahrhunderts besser entsprach.
Sebastian Roebert (55-76) geht auf eine Besonderheit der Diplome des ostfränkischen und italienischen Königs Karlmann ein, die seine Urkunden von denjenigen aller anderen karolingischen Herrscher unterscheidet: das in Form eines kapitalen M gestaltete Monogramm. Obwohl von einer gesicherten Bedeutung nicht ausgegangen werden kann, macht Roebert plausibel, dass die Auswahl des Buchstabens "m" aufgrund seiner etablierten Deutung als Mitte (medium bei Hrabanus Marurus) des Alphabets und Symbol für Christus, Vermittler zwischen dem Alten und dem Neuen Testament, erfolgte. Der Aufsatz endet mit einem Plädoyer dafür, die Möglichkeit einer Interpretation der Diplome als symbolträchtige "Plakate des Mittelalters" in Betracht zu ziehen.
Marie Ulrike Jaros (107-122) nimmt die frühe urkundliche Überlieferung des abruzzesischen Klosters S. Spirito a Majella in den Blick, der ersten Niederlassung der von Petrus von Morrone gegründeten Kongregation der Morroneser/Cölestiner. Unter den frühen Urkundenfälschungen dieser Gemeinschaft ragt eine Schenkung des Grafen von Manoppello, Gualtiero von Pagliara, besonders heraus (1252). Laut Jaros' Rekonstruktion wurde die Fälschung, deren rechtlicher Wert demjenigen einer Gründungsurkunde nahekam, zwischen 1275 und 1294 unter Heranziehung einer echten Urkunde des Neffen Gualtieros verfasst, sodann im Oktober 1294 in einer echten Bestätigungsurkunde Karls II. von Anjou inseriert. Die Bedeutung des Grafen Gualtiero für die Morroneser Mönche komme auch darin zum Ausdruck, dass noch im späten 15. oder frühen 16. Jahrhundert in dessen Namen Fälschungen hergestellt worden seien. Die im Beitrag behandelte Fälschungsaktion sei zudem nicht als Sonderfall zu betrachten, denn bekanntlich waren die Cölestiner, vor allem die Häuser in den Abruzzen, auf diesem Gebiet außerordentlich aktiv.
Michel Margue (123-138) plädiert in seinem Beitrag für eine kritische Infragestellung der etablierten Forschungsmeinung, der zufolge im 13. und 14. Jahrhundert die Zunahme der Schriftlichkeit mit dem Ausbau der Territorial- und Landesherrschaft einherging. Am Beispiel der Grafen von Luxemburg regt Margue an, Entwicklungen, ja auch angebliche "Fortschritte" im Bereich fürstlicher Schriftlichkeit und Herrschaftspraxis, nicht aus einer inneren Logik heraus, sondern als Reaktionen auf konkrete politische und soziokulturelle Veränderungen auf regionaler und überregionaler Ebene zu interpretieren.
Theo Kölzer (173-195) befasst sich mit einem bislang vernachlässigten Detail der salischen Herrschersiegel, nämlich mit einem Adlerszepter, das 1029 zum ersten Mal belegt ist und auch von den Nachfolgern Konrads II. in ihrer jeweiligen Königszeit verwendet wurde (letzter Beleg: 1081). Eine Vorbildfunktion dürfte dabei die Augustus-Kamee auf dem um 1000 entstandenen Lotharkreuz erfüllt haben, das wohl anlässlich der Aachener Königskrönung Heinrichs III. (Oster 1028) zum Einsatz gekommen war.
Auf die Beziehungen Ludwigs II. zu Byzanz geht Sebastian Kolditz (289-310) ein und stellt dabei ernüchtert fest, dass sowohl die byzantinischen als auch die lateinischen Quellen aufgrund ihres unvollkommenen und widersprüchlichen Charakters nur mit großer Vorsicht als Grundlage für eine Rekonstruktion der Kontakte des Karolingers zum Patriarchen Photios sowie des großen Feldzugs gegen das Emirat Bari herangezogen werden können. Das berühmte Schreiben Ludwigs II. an Basileios I. wird einerseits mit dem Bestreben in Zusammenhang gebracht, die byzantinische Infragestellung der westlichen Kaiserwürde theoretisch abzuwehren, andererseits mit dem Bemühen um die Verwirklichung einer militärischen Kooperation, nachdem eine solche 869 nicht mehr zustande gekommen war.
Während normative Texte oft das Bild einer aus voneinander getrennten Ständen bestehenden Gesellschaft vermitteln, suggerieren andere Quellengattungen, dass die Grenzen in der historischen Wirklichkeit vielleicht doch durchlässiger als gedacht waren. Ein interessantes Beispiel hierfür sind die im Archiv der Apostolischen Pönitentiarie verwahrten, von Arnold Esch untersuchten Suppliken von flüchtigen Kloster- und Ordensangehörigen, die nach einigen Jahren ins Kloster zurückkehren wollten (397-403). Auf der Grundlage weitgehend ungedruckter Materialen aus dem Zeitraum 1440-1500 gibt Esch zahlreiche Einblicke in eine Praxis, die nicht allzu ungewöhnlich gewesen sein dürfte.
Anregende alltagsgeschichtliche Erkenntnisse liefert auch der Beitrag von Cornelia Neustadt (404-418), die eine Reisekostenabrechnung aus dem Jahr 1493 präsentiert und zugleich deren Edition vorlegt. Bei diesem Dokument handelt es sich um ein kleines Heft, in dem Sigfrid Usiner, Weltgeistlicher und Prokurator einiger deutscher Häuser des Antoniterordens, die Stationen seiner Reise von Grüneberg in Hessen zur Abtei Saint-Antoine und zurück auflistete. Anlass der Reise war der Besuch des Generalkapitels des Ordens durch den genannten Prokurator zum Zweck einer wichtigen Geldübergabe im Auftrag der Präzeptorei in Tempzin.
Das Potenzial von Inschriften als Zeugnisse von Sprachwandel und Sprachwechsel im Mittelhochdeutschen erhellt der Beitrag von Hans Ulrich Schmidt (430-439), der das in den drei "mecklenburgischen" DI-Bänden 55 (Rügen), 77 (Greifswald) und 102 (Stralsund) zugängliche Material sprachhistorisch auswertet und dabei einen besonderen Fokus auf Grabinschriften und Epitaphen legt. Die untersuchten epigraphischen Texte zeigen einen vergleichsweise späten Übergang vom Latein zum Niederdeutschen und eine frühe Ablösung des Niederdeutschen durch das Hochdeutsche, was mit der zelebrierenden Funktion der fraglichen Inschriften im Zusammenhang stehen könnte. In anderen weniger feierlichen Inschriften lassen sich niederdeutsche Spuren hingegen bis ins frühe 18. Jahrhundert verfolgen.
Die vorgestellten Beiträge sollten den Wert einer Festschrift deutlich gemacht haben, bei der nicht nur die inhaltliche Fülle, sondern auch die saubere redaktionelle Arbeit, das schöne Folioformat und die Ausstattung mit vielen Karten, Abbildungen, Tabellen und Diagrammen bestechen. Der Band veranschaulicht zudem in prägnanter Art und Weise die Vielfalt der Ansätze sowie die Wirkung der Lehr- und Forschungstätigkeit des Jubilars.
Étienne Doublier