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Karl-Konrad Tschäpe: Verstrickte Bilder. Deutsche und sowjetische Propagandabilder als Komplizen von Krieg und Gewalt, Berlin: Metropol 2020, 544 S., ISBN 978-3-86331-481-1, EUR 29,00
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Rezension von:
Guenter Agde
Berlin
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Guenter Agde: Rezension von: Karl-Konrad Tschäpe: Verstrickte Bilder. Deutsche und sowjetische Propagandabilder als Komplizen von Krieg und Gewalt, Berlin: Metropol 2020, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 3 [15.03.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/03/35224.html


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Karl-Konrad Tschäpe: Verstrickte Bilder

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Die beiden Vokabeln "verstrickt" und "Komplizen" im Titel des Buches potenzieren Anliegen und Aussage der Untersuchungen Tschäpes: Plakate als integrale, mobile, ja aktive Bestandteile von Propaganda und damit als spezielles Mittel der Politik im medialen Gewande. Er analysiert Plakate des NS-Regimes und sowjetische Plakate aus dem Krieg zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion 1941 bis 1945. Und er kann schlüssig nachweisen, dass und wie sie als "Komplizen" des Krieges fungierten. Alle Plakate beider Seiten wirkten in öffentlichen Räumen und dienten der Propaganda: Sie sollten helfen, den Feind zu besiegen. Insofern waren sie verstrickt. Die Plakate hantierten mit figürlichen Darstellungen. Sie wurden oft mehrfarbig gedruckt und waren mit Losungen und Parolen beschriftet. Sie fungierten durchweg als - auch pathetische - Appelle an die heimische Bevölkerung.

Tschäpe analysiert zahlreiche Plakate und Plakatmotive beider Seiten und enthüllt deren propagandistisches Potenzial. Seine Beweisführung gelingt auch deshalb so eindringlich und überzeugend, weil er sie opulent bebildert. Er bietet nicht nur die Abbildungen der Plakate, sondern zitiert auch daraus, zeichnet Motiv- und Blickachsen ein und montiert eigene Collagen. Das ist sehr plausibel und von faszinierender Logik, auch mal verblüffend, wenn er etwa Bild-Plakat-Analogien zu Renaissancegemälden mit religiösen Motiven darstellt. Er beschreibt auch die Allegorisierung von Bildmotiven, etwa bei Frauen-/Mütterfiguren zum traditionell russischen Motiv von "Mütterchen Russland" oder bei NS-Plakaten zum Motiv "Der ewige Jude", das auch in der Werbung für den gleichnamigen NS-Film (1940, Regie: Fritz Hippler) verwendet und zum Bild des Untermenschen schlechthin stilisiert wurde.

An zwei besonders eindrucksvollen, seinerzeit weitverbreiteten Plakaten, quasi Prototypen für seine Beweisführung, präzisiert er sehr detailliert seine Analysen und betreibt eine Art Bild- und Motiv-Genealogie. Das Plakat "SIEG oder BOLSCHEWISMUS" (1943, Versalien so im Original) von Hans Herbert Schweitzer, der unter dem Pseudonym Mjölnir zu den bekanntesten und meistbeschäftigten Plakatgestaltern des NS-Regimes zählte und der zahlreiche antisemitische Stereotypen gestaltete (wie etwa die Plakate zu dem NS-Film "Der ewige Jude"). Mjölnir teilte die Fläche in zwei rechteckige Hochformate: links eine lachende blonde Frau mit jubelndem (ebenfalls blondem) Kleinkind auf dem Arm, rechts ein Rotarmist mit verzerrtem Gesicht in abgerissener Kleidung, ihm zu Füßen eine Gruppe verzweifelter, jammernder Zivilisten, die Vokabeln "Sieg" und "Bolschewismus" jeweils zugeordnet. Die Figuren und Schriften fügen sich zu einem Appell. Und Viktor Koreckijs "Krieger der Roten Armee - RETTE !" (1942, Versalien so im Original): Eine Mutter mit Kopftuch und in einfacher Kleidung hält ein Kind im Arm, das sich an die junge Frau anschmiegt. Von links unten nach rechts oben werden sie von einem blutigen Bajonett mit Hakenkreuz bedroht. Auch hier der Appell an den Betrachter. (Tschäpe fand noch die Pointe, dass Koreckijs Plakat später in einem anderen Plakat wiederverwendet wurde, als Bild im Bild, als Zitat quasi, und verweist damit auf die Multiplikation des "Rette"-Plakats - "Schlag sie tot" von Nikolaj Zukov.)

Beweiskräftig kontextualisiert er seine beiden Paradebeispiele, indem er ausgiebig und akribisch andere Plakate anderer Gestalter darstellt und weitere Formen von Propaganda, bis hin zu Postkarten, Zeitungskarikaturen, Flugblättern etc., einbezieht und analysiert, kurzum: alle Formen seinerzeitiger Propaganda (die natürlich von den diversen Werbestrategien der Vorkriegszeit beeinflusst waren). Überzeugend demonstriert er, wie die Propaganda in beiden Ländern das Zusammenspiel von Bildern und Bildmotiven mit Bildern und Texten an anderen Orten orchestrierte. Die Strategien der beiden Kriegsgegner ähnelten sich. Wenn er freilich seine Bild-Motiv-Darstellungen zu Bildern aus Filmen hinleitet und damit seine Analysen verlängern will, gerät seine Beschreibung unscharf und grenzt an Spekulationen. Er stellt einen optischen Zusammenhang etwa zwischen Bildern aus dem deutschen Stummfilm "Nosferatu" (1922, Regie: Friedrich Wilhelm Murnau) und dem dort etablierten Stereotyp des Vampirs und dem NS-Stereotyp des "Untermenschen" ("Der ewige Jude") her, ohne freilich filmische Spezifika hinlänglich zu berücksichtigen. Beim Motiv der gefesselten, geschundenen Russin, für das exemplarisch das Fotodokument der Partisanin Soja Kosmodemjanskaja steht, übersieht er den sowjetischen Spielfilm "Soja" (1943, Regie: Lew Arnschtam), der mit ähnlichen Bildern hantiert. Auch die sowjetischen Kriegs-Film-Magazine ("bojewyje kinosborniki", 1941-1945) bieten eine Fülle von Motiv-Adaptionen, die Tschäpes Beweisführung hätten in das seinerzeit mobilste und massenwirksamste Medium verlängern und die Überzeugungskraft seiner Argumentation stärken können. [1] Die Kinozuschauer waren auch die Adressaten der Plakate.

Mit Genauigkeit noch in Details beschreibt er auch Entstehungshintergründe und produktionstechnische Zusammenhänge (Drucktechniken, Auflagen, Formate, Personalia etc.), sodass ein wirklich umfassendes Bild entsteht, in dem er die jeweiligen Propagandaapparate auch als technologische Mechanismen (mit industriellen Komponenten) definieren kann. Tschäpe nutzt souverän Sekundärliteratur und entwickelt die Methodik der Bildanalyse, wie sie Gerhard Paul vorgeschlagen hat, für die Plakatkunst des Krieges weiter. [2] Er bezieht sich auch auf Klaus Waschiks Arbeiten und die schon länger zurückliegenden Publikationen von Ortwin Buchbender und von Erika Wolf. [3] Im Schlusskapitel zieht Tschäpe ikonographische Analogien zum Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow. Dieser ideelle Brückenschlag liest sich, was viele Bildmotive angeht, plausibel, aber Tschäpe geht dem medial bedeutsamen Wechsel von der Zweidimensionalität des Plakats in die Dreidimensionalität der Plastik und die Platzierung des Denkmals als Inszenierung in einem öffentlichen Raum nicht hinreichend nach.

Das sehr lesenswerte Buch kann als Nachschlagewerk fungieren, lädt durch seine zahlreichen Bilder auch zum Blättern ein und kann selbst Nichtfachleuten von Nutzen sein.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Evgenij Margolit: The Experiment of the Fighting Film-Collections (1941-1945) in: Studies in Russian and Soviet Cinema 10 (2016), 80-101.

[2] Vgl. Gerhard Paul: Bilder des Krieges - Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn 2004.

[3] Vor allem auf: Klaus Waschik / Nina Baburina (Hgg.): Werben für die Utopie. Russische Plakatkunst des 20. Jahrhunderts, Bietigheim-Bissingen 2003 (Rezension: http://www.sehepunkte.de/2004/07/6445.html); Ortwin Buchbender: Das tönende Erz. Deutsche Propaganda gegen die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg, Stuttgart 1978, und Erika Wolf: Aleksandr Zhitomirsky. Photomontage as a Weapon of World War II and the Cold War, Chicago 2016.

Guenter Agde