Joseph Canning: Conciliarism, Humanism and Law. Justifications of Authority and Power, c. 1400-c. 1520, Cambridge: Cambridge University Press 2021, XI + 203 S., ISBN 978-1-108-83179-6, EUR 75,00
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Thomas E. Morrissey: Conciliarism and Church Law in the Fifteenth Century. Studies on Franciscus Zabarella and the Council of Constance, Aldershot: Ashgate 2014
Georg Strack / Julia Knödler (Hgg.): Rhetorik in Mittelalter und Renaissance. Konzepte - Praxis - Diversität, München: Utz Verlag 2011
Iohannis Alphonsi de Segovia: Liber de substancia ecclesie. Cura et studio Jose Luis Narvaja SJ prolegomenis instructis Santiago Madrigal Terrazas SJ, Münster: Aschendorff 2012
Politische Macht braucht intellektuelle Rechtfertigung. Unter den Bedingungen des 15. Jahrhunderts führte diese Grundüberzeugung politischer Akteure zu einer neuen Diversität und besonderen Kreativität der politischen Sprachen. Das besondere Verdienst der vorliegenden Studie besteht darin, drei prägende Ausformungen der spätmittelalterlichen politischen Kultur gleichrangig nebeneinander zu stellen und ihre Wesenszüge und Entwicklungstendenzen zu verfolgen. Konkret sind dies: a) die ekklesiologischen Debatten um die Autorität von Papst und Generalkonzil in der Kirchenverfassung, b) die humanistische Vision eines prinzipiell bürgerlichen, aber auch seigneurial einsetzbaren Tugendrepublikanismus und c) die juristischen, insbesondere legistischen Konstruktionen von Souveränität und Staatlichkeit. Spätmittelalterliche Autoritätsdiskurse wurden durchaus häufig durch die Linsen von Konziliarismus, Humanismus und Recht betrachtet; diese wurden jedoch selten als gleichrangige Aspekte der politischen Kultur wahrgenommen.
Die ersten beiden Kapitel zu Konziliarismus und Papalismus (8-60, 61-91) sind eng verzahnt. In ihnen werden die ekklesiologischen Positionen aus der Zeit der Reformkonzilien von Konstanz (1414-1418) und insbesondere von Basel (1431-1449) als fundamental klerikale und damit stets konservative Denkformen präsentiert. Die päpstliche Monarchie sei im Grundsatz nicht bestritten und die Sphäre der weltlichen Politik weitgehend ausgeklammert worden. Korporations- und Repräsentationstheorien, die Frage nach der Unfehlbarkeit und der Umgang mit dem Notstandsargument zur Bewahrung der Kirche werden anhand einzelner Autoren sequentiell geprüft. Als Zeugen dienen nacheinander: Jean Gerson, Niccolò Tudeschi, Nikolaus von Kues, Johannes von Segovia für die konziliaristische Seite und dann Juan de Torquemada und Antonio Roselli als eher papsttreue Vertreter. Die Auswahl folgt dem Höhenkamm der gut erforschten Autoren und stellt eine gute Mischung aus Juristen und Theologen dar. Bemerkenswert ist auch der Fokus auf Autoren der Basler Zeit, der den Ergebnissen der jüngeren Forschung Rechnung trägt. Die Studie wird hier jedoch dem eigenen Anspruch einer "wide range of authors" (1) nur sehr eingeschränkt gerecht, denn selbst einige der prominentesten Autoren fehlen: ein Francesco Zabarella wird nicht einmal erwähnt, ebenso wenig Johannes von Ragusa, Lodovico Pontano und andere. Zur Analyse der Argumente, die die Zeitgenossen überzeugend fanden ("that people at the time found convincing", 1), käme es zudem auch auf Texte an, die in ihrer Zeit sehr weite Verbreitung fanden, auch wenn sie heute weitgehend vergessen sind, wie etwa der oft kopierte Konzilstraktat des Jean Mauroux.
Die eingeschränkte Quellenauswahl geht einher mit einer eher dünnen Literaturgrundlage, unter der die Konziliarismus-Kapitel sichtbar leiden. Ein Beispiel: Die Positionen der Autoren werden exemplarisch anhand einzelner Spezialargumente dargestellt, darunter die oft diskutierte Restlehre, also die Vorstellung, dass der christliche Glauben und damit die Kirche notfalls in einer einzigen Person erhalten bleiben kann. Ausgerechnet bei Johannes von Segovia, den Canning als besonders signifikativ für die politischen Diskurse des 15. Jahrhunderts betrachtet (181f.), fehlt die Diskussion des Restarguments. Die Kenntnis der hier einschlägigen Studie von Johannes Helmrath, dessen Arbeiten insgesamt ignoriert werden, hätte die Lücke leicht füllen können. [1] Schmerzlich ist auch die Unkenntnis der wichtigen Arbeiten von Hermann Josef Sieben, Jürgen Miethke, Giuseppe Alberigo, Thomas Prügl und anderen. Zu wenig beachtet wird auch die Auseinandersetzung mit den Hussiten, die die hier diskutierten Konzilstheoretiker in einen ekklesiologischen Zweifrontenkrieg zwang und für viele konziliare Positionen prägend wirkte.
Die sich anschließenden Kapitel zum Humanismus (92-143) und zur Rechtswissenschaft (144-178) scheinen fundierter recherchiert und führen jeweils eine große Zahl von Autoren an. Zudem verlässt die Studie nun die Methode einer kommentierten Zitatencollage. Humanistische Diskurse werden als fundamentale Abkehr von den theologischen und juristischen Traktaten, Quaestiones und Kommentaren interpretiert. Nicht mehr Überzeugung von einer autoritativen Lehrmeinung, sondern ein forschender Austausch unter Gleichen ("an exploration among equals", 94) nach ciceronianischem bzw. sokratischem Dialogmodell sei Gegenstand der humanistischen Methode gewesen. Ob dies den Kern politischer Oratorik nach humanistischem Design trifft, ist zweifelhaft. Besonders die in der vorliegenden Studie komplett ausgesparten humanistischen Türkenreden und Türkenbullen enthielten durchaus deliberativ angelegte Überwältigungsrhetorik, die weder Widerspruch noch offenen Dialog vorsah. Das Humanismus-Kapitel schreitet insgesamt in chronologischer Sequenz den Florentiner "Bürgerhumanismus", venezianische Mischverfassungslehre und Mailänder Seigneurialhumanismus ab und mündet in eine ausführliche Auseinandersetzung mit Machiavelli.
Das abschließende Kapitel zur juristischen Staatslehre spannt wiederum einen breiten Bogen von den großen Legisten des 14. Jahrhunderts Bartolus und Baldus über die Anfänge der humanistischen Jurisprudenz bis zu den französischen Monarchomachen und der englischen Common Law-Tradition. Gerade diese Perspektive auf die politische Theorie der Vormoderne wachzurufen ist ein wichtiges Verdienst dieser Arbeit, zumal die historische Forschung zum römischen Recht im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit weitgehend brach liegt.
Ein integriertes Personen-, Orts- und Sachregister erschließt den Band.
Anmerkungen:
[1] Johannes Helmrath: "Ecclesia enim parva esse potest, nulla esse non potest". Die sogenannte Restlehre zwischen Mariologie und konziliarer Theorie, insbesondere bei Johann von Segovia, in: Kirchenbild und Spiritualität: dominikanische Beiträge zur Ekklesiologie und zum kirchlichen Leben im Mittelalter. Festschrift für Ulrich Horst OP zum 75. Geburtstag, hg. von Thomas Prügl / Marianne Schlosser, Paderborn 2007, 291-317.
[2] Besonders hilfreich für die Studie wäre gewesen: Hermann Josef Sieben: Traktate und Theorien zum Konzil. Vom Beginn des Großen Schismas bis zum Vorabend der Reformation (1378-1521), Frankfurt am Main 1983. Von Thomas Prügl wird nur ein Aufsatz zitiert.
Thomas Woelki