Rezension über:

Mark Edele: Stalinism at War. The Soviet Union in World War II, London: Bloomsbury 2021, XII + 257 S., ISBN 978-1-350-15351-6, GBP 25,00
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Rezension von:
Irina Rebrova
Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität, Berlin
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Irina Rebrova: Rezension von: Mark Edele: Stalinism at War. The Soviet Union in World War II, London: Bloomsbury 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 7/8 [15.07.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/07/36376.html


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Mark Edele: Stalinism at War

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Der Zweite Weltkrieg ist für die Geschichte und die Politik des 20. Jahrhunderts von zentraler Bedeutung. Besonders für die Geschichte der UdSSR und des heutigen Russlands spielt die Erinnerung an den Krieg eine wichtige Rolle, da der Sieg über den Nationalsozialismus nicht nur die Grundlage für die patriotische Erziehung neuer Generationen bildet, sondern auch den Kern der Staatsideologie und der politischen Propaganda im heutigen Russland darstellt. Das Buch des australischen Historikers Mark Edele Stalinism at War: The Soviet Union in World War II ist daher nicht nur eine historische Studie, sondern gewinnt auch vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine an Gewicht. Seine Überblicksdarstellung rückt nicht nur die UdSSR als Siegerland im Zweiten Weltkrieg, sondern auch als vollwertigen Akteur in der Weltpolitik der 1930er und 1940er Jahre in den Fokus. Zentral sind folgende zwei Aspekte: Erstens zeigt Edele Josef Stalins ideologisches Selbstverständnis als "Sammler der ehemaligen Romanow-Länder" innerhalb der UdSSR während des Zweiten Weltkriegs (66). Es ist kein Zufall, dass der Autor Begriffe wie "Stalinism at war" oder "Soviet's Second World War" in seinem Werk verwendet. Zweitens engt Edele die Grenzen des Zweiten Weltkriegs bewusst nicht auf die Jahre 1939-1945 ein, die bis vor kurzem noch unumstritten waren. Anhand der aktiven Rolle der UdSSR in der Außenpolitik zeigt er, dass "Stalins Zweiter Weltkrieg" auf dem östlichen Kriegsgebiet bereits 1937 begann und erst 1949 mit der Rückkehr zum zivilen Leben in der UdSSR endete. Denn für die sowjetische Bevölkerung spielte sich der Krieg nicht nur an der militärischen, sondern auch an der Heimatfront (Wirtschaftskrise, Hungersnot Mitte der 1940er Jahre, nationale und antisowjetische Bewegungen) ab.

Das Buch besteht aus neun Kapiteln, die chronologisch geordnet sind. Das erste Kapitel befasst sich mit den Weltkriegsvorbereitungen der UdSSR, die in den 1920er Jahren begannen. In den nächsten beiden Kapiteln wird die Beteiligung der UdSSR am Zweifrontenkrieg in den Jahren 1937-1939 dargestellt. Es geht, wie der Autor zu Recht betont, um den vergessenen sowjetischen Feldzug im Osten, die sowjetische Unterstützung Chinas im Krieg gegen Japan sowie um Stalins Besetzung der westlichen Gebiete Europas gemäß dem Zusatzprotokoll des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts. Hier zeigt Edele sehr deutlich das Ausmaß der Beteiligung der UdSSR an der geopolitischen Neuordnung der Welt durch den gezielten Anschluss der Gebiete, die früher zum Russischen Reich gehörten (Baltikum, teilweise Polen, Bessarabien, Finnland), auf. Moskau bezeichnete die bewaffneten Konflikte an den Grenzen der UdSSR Ende der 1930er Jahre offiziell nicht als Kriege, was Parallelen zur heutigen russischen Aggression gegenüber Ukraine aufweist. Die Kapitel vier bis sieben sind dem Deutsch-sowjetischen Krieg in dem Zeitraum von Juni 1941 (Ausbruch des Krieges innerhalb der Grenzen der UdSSR) bis 1945 (Kapitulation des Deutsches Reich und Japans) gewidmet. Die Analyse der militärischen Fehlkalkulationen und Erfolge Stalins an der Ost- und Westfront, die Probleme der inländischen Evakuierung und Militarisierung der sowjetischen Wirtschaft sowie die ideologische Propaganda in der UdSSR sind die Hauptthemen. Der Autor thematisiert zudem die sowjetische Nationalitätenpolitik sowohl innerhalb der "alten" sowjetischen als auch in den neu annektierten westlichen Gebieten, wo Bürgerkrieg und nationale Bewegungen dem sowjetischen Expansionsstreben entgegenwirkten. Die letzten beiden Kapitel befassen sich mit der Entwicklung der sowjetischen Nachkriegsgesellschaft und dem hohen Preis, den die UdSSR in diesem Krieg bezahlte. Nach Ansicht des Autors bedeutete das Jahr 1949 das Ende der gewaltsam ausgetragenen außenpolitischen Konflikte, der sowjetischen Expansion und der Vertreibung und den Beginn einer gewissen Stabilität im Sowjetstaat.

Das Buch stellt eine wichtige Studie dar, die für ein allgemeines Publikum geschrieben ist. Edele zeigt die Rolle der UdSSR im Zweiten Weltkrieg und verfasst die Geschichte der Kriegsjahre anhand politischer, wirtschaftlicher und sozialer Prozesse innerhalb der Sowjetunion. Seine Thesen illustriert er mit mehreren weitgehend bekannten Fotos, Übersichtskarten, Diagrammen und Tabellen. Der Autor hat bewusst die Verweise auf die wissenschaftliche Literatur reduziert und Fachbegriffe vereinfacht. Am Ende erhält die Leserschaft eine populärwissenschaftliche, überblicksartige Geschichtsdarstellung, ergänzt mit Daten, Zahlen und Fakten.

Bücher, die sich an ein breites Publikum wenden, weisen oft Schwachstellen auf. Mark Edele liefert in jedem Kapitel Statistiken, etwa von den Verlusten von Soldaten an der Front, von der Ausrüstung oder den Deportationen. Zugleich beginnen die meisten Kapitel mit einer Nacherzählung oder einem Zitat aus Ego-Dokumenten, wodurch die statistische und zusammenfassende Kriegsgeschichte mit lebendigen Szenen und persönlichen Eindrücken verlebendigt wird. Dabei bleibt jedoch unklar, wie allgemeingültig oder umgekehrt einzigartig die zitierten persönlichen Erzählungen gewesen sein mögen und wie sie mit der quantitativen Dynamik der Kriegsfolgen zusammenhängen oder diese widerspiegeln. Außerdem hätten Kurzbiografien dieser Akteure mehr Aufschluss über die Gründe für die Auswahl der Geschichten dieser Personen im Kontext der globalen Kriegsgeschichtsschreibung geben können. Eine weitere Schwäche Buches ist die Vernachlässigung einzelner Themen und das Fehlen detailreicher Analysen. So geht Edele beispielsweise auf das Leben der sowjetischen Bürger in den besetzten Gebieten oder an der sowjetischen Heimatfront nicht ein. Die Deportationen einzelner Völker, die Funktionsweise des Gulag-Systems, der interne Antisemitismus und der Widerstand gegen die Sowjetisierung in den westlichen Regionen werden hingegen anhand von Einzelschicksalen thematisiert. Einerseits ist es nachvollziehbar, dass Edele sich auf die Rolle der UdSSR im Zweiten Weltkrieg konzentriert. Anderseits sind die Besatzungspolitik sowie die Heimatfront oder militärische Operationen aus der Geschichte dieses Krieges nicht wegzudenken.

Diese Studie ist ein weiterer Beitrag zum Verständnis der Politik und des Machtstrebens der UdSSR im Zweiten Weltkrieg, deren Sieg mit großen Verlusten erkauft worden war. Sie thematisiert Stalins imperialistische Vision und nicht zuletzt deren problematisches Erbe, mit dem das heutige Russland neue bewaffnete Konflikte entfesselt. In diesem Sinne gibt das Buch von Mark Edele nicht nur Einblicke in die Geschichte des "Sowjetischen Zweiten Weltkriegs", sondern lädt zum Nachdenken über die Bedeutung der Staatsideologie in der heutigen russischen Außenpolitik ein.

Irina Rebrova