Josef Löffler (Hg.): Instruktionen und Ordnungen der Stiftsherrschaft Klosterneuburg. Quellen zur Verwaltung sowie zur Land- und Forstwirtschaft einer geistlichen Grundherrschaft in der Frühen Neuzeit (= Fontes rerum Austriacarum. III. Fontes Iuris; Bd. 27), Wien: Böhlau 2021, 873 S., ISBN 978-3-205-21303-1, EUR 120,00
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Die im "langen" 19. Jahrhundert entstandene forschungsstrategische konfessionelle Schieflage ist für die Beurteilung der voluminösen und akribisch aufbereiteten Edition zu den zentralen frühneuzeitlichen Ordnungsquellen aus Klosterneuburg weiterhin von Interesse. Es war insbesondere die von einer borussisch-nationalstaatlich orientierten Geschichtsschreibung gesteuerte, von der Zuarbeit protestantisch strukturierter Landesuniversitäten (Berlin, Göttingen, Marburg, Heidelberg usw.) gestützte Grundlagenforschung, die die reiche Überlieferung süddeutscher und österreichischer Klöster und Stifte lange Zeit außer Acht ließ. Das traf auch für das nordwestlich von Wien liegende niederösterreichische Augustiner-Chorherren-Stift Klosterneuburg zu, dessen Ursprünge auf die Stiftung des Markgrafen Leopold (des Heiligen) und seiner Frau Agnes von Waiblingen im frühen 12. Jahrhundert zurückgehen. Die leider ohne faksimilierte Quellenabbildungen gebliebene Edition des Böhlau Verlags, der seit Januar 2017 zur Vandenhoeck & Ruprecht Verlagsgruppe mit Sitz in Göttingen zählt, profitierte zunächst von den Reformimpulsen des Ordens in der Aufklärungszeit. Mitte des 18. Jahrhunderts war man in Klosterneuburg zu der Erkenntnis gekommen, dass sich im Stiftsarchiv "vill briefschafften befinden, die entweder nicht woll leßlich oder sonsten also beschaffen, das selbige entweder gar hart zu lessen oder man sich derhalben ganz nichts würdt bedienen khönen." Als Konsequenz entstanden ausführliche Repertorien, ohne die die jetzige Edition der 180 Normtexte - sie reichen von einem Memorial des Jahres 1559 (Nr. 1) bis zum Inventar der Stiftskanzlei 1787/99 (Nr. 180) - nicht vorstellbar gewesen wäre. Wie hieß es so treffend: Es sei geboten, "alle und jede der gleichen vorhandenen importirliche alte übel geschribne brieff, sachen und notturfften noch und noch ab[zu]schreiben und neben des alten auf[zu]beholten, damit alles in guetten stand erholten werde" (23).
Die vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) geförderte Edition umfasst, laut "Produktbeschreibung", Instruktionen, Ordnungen und andere schriftliche Regelungen aus der Verwaltung der Grundherrschaft des niederösterreichischen Augustiner-Chorherrenstiftes Klosterneuburg. Die gebotenen Normtexte decken einen Zeitraum vom frühen 16. Jahrhundert bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts ab. Die vielfältigen Regelungsmaterien fokussieren die grundherrschaftliche Verwaltung und deren Aufbau, das Verhältnis zwischen der Grundherrschaft und ihren Untertanen, die Gerichtsbarkeit, die Land- und Forstwirtschaft inklusive des ausgedehnten Weinbaus, die Versorgung und die Haushaltsführung des Klosters oder auch das Schiffstransportwesen auf der Donau. Durch die Breite der behandelten Themen eignet sich der Quellenkorpus nicht nur für die Erforschung der grundherrschaftlichen Verwaltung im engeren Sinn, sondern auch für Fragen zu den rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Lebenswelten der Stiftsbevölkerung in der Frühen Neuzeit.
Der Autor und Editor, Dr. Josef Löffler vom Institut für Geschichte der Universität Wien, musste zwar das bis heute bestehende Desiderat einer wissenschaftlichen Monografie zur Stiftsgeschichte in Kauf nehmen, konnte sich aber neben der älteren Quellenerschließung auf einen insgesamt als gut zu bezeichnenden Forschungsstand stützen, der insbesondere auch auf das in unregelmäßigen Abständen erscheinende "Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg" zurückzuführen war. In seiner breit angelegten Einführung (25-78) verweist der Verfasser auf die politischen, kulturellen und sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen für die Stiftsherrschaft und die den Regierungszeiten der Pröpste, beginnend mit Propst Georg II. Hausmanstetter (1509-1541), folgende Verwaltungstätigkeit der stiftischen Amtsträger und der immer wieder von den Habsburgern eingesetzten Anwälte. Letztere hatten die Aufgabe zu kontrollieren, vor allem die Verschwendung in Küche und Keller abzustellen, belasteten aber ihrerseits das Stiftsbudget enorm. Mitte des 16. Jahrhunderts (1565) belief sich das Jahresgehalt des weltlichen Anwalts auf 200 Gulden, freie Verpflegung und Holzversorgung, Fütterung seiner beiden Pferde, Kleidung und Besoldung seines Dieners sowie ein "Dreiling" Mundwein (1358 Liter). Die Einordnung der Quellen in den Stand der europäischen Rechts- und Administrationsforschung profitierte einerseits ungemein von den von Michael Hochedlinger, Petr Mat'a und Thomas Winkelbauer herausgegebenen Bänden zur österreichischen Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte, fand aber andererseits nicht den Anschluss an die insbesondere vom Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt am Main angestoßenen Forschungsinitiativen zur "guten Policey".
Der Editionsteil vorliegender Paperback-Neuerscheinung mit einer gemessen am Umfang nicht für die Ewigkeit gefertigten kostengünstigen Klebebindung kann ohne Abstriche als gediegen bezeichnet werden. Der Leser kann sich an den ausführlichen Erläuterungen zur Edition (79-110) orientieren und findet im Glossar (801-840) Hilfe zu sperrigen Begriffen, frühneuzeitlichem Fachvokabular sowie alteuropäischen Maß-, Gewichts- und Flächenbezeichnungen. Manches ist im Glossar überflüssig, anderes lässt auch andere Interpretationen zu, wenn beispielsweise "trungkhleute" als Besucher beim Weinausschank klassifiziert werden. Ausdrücklich als positives Merkmal für die Lesbarkeit des Monumentalwerks sind die drei Register zu nennen, wobei das zeitaufwändig erstellte Sachregister (848-873) als conditio sine qua non für eine komparatistisch angelegte Quellenforschung anzusprechen ist. Einträge wie "Winkelfresserei", "Trunksucht", "Schlafhaus" oder "Raufhändel" laden zur Lektüre ein mit stets neuen straf- und zivilrechtlichen Erkenntnissen aus dem Stiftsarchiv. Ein Proprium der kritisch edierten Quellen ist der historische Weinbau und die von den Augustiner-Chorherren und ihren Laienhelfern gepflegte Rebenkultur. Dabei stößt man auch auf Ausgefallenes wie das am 10. Mai 1779 ausgestellte Heiratsrevers für einen Weinzehent-Händlers. Der Betroffene erklärte zu Lasten seiner Nachkommen: Ich "reversire hiemit vor mich und meine nachkommen, wie daß ich über den erhalten gnädigen heÿraths consens nach meinem absterben weder mein weib, noch die aus solcher ehe entspringen mögen könende kinder niemalen wegen einer unterhaltung oder waß sonsten immer dem löbl. Stift zu last kommen mögen" (584).
Abschließend bleibt festzuhalten, dass mit dem Editionswerk aus der Feder Josef Löfflers ein weiterer großer Schritt gelungen ist, die historisch lange unterbelichtete Administrationsleistung geistlicher Staaten und katholischer Kreise für die Vormoderne adäquat zur Geltung zu bringen. Für die Landesgeschichte ist ferner ein Grundlagen- und Nachschlagewerk entstanden, das zu komparatistisch angelegter, weiterer Forschung einlädt. Interessant wäre dabei sicher auch eine Liste der (noch) nicht edierten Policey-Maßnahmen aus Klosterneuburg gewesen.
Wolfgang Wüst