Kriston R. Rennie: The Destruction and Recovery of Monte Cassino, 529-1964 (= Italy in Late Antiquity and Early Middle Ages), Amsterdam: Amsterdam University Press 2021, 246 S., 16 s/w-Abb., ISBN 978-94-6372-913-0, EUR 106,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Matheus von Boulogne: Lamentationes Matheoluli. Kritisch herausgegeben und kommentiert von Thomas Klein, Stuttgart: Anton Hiersemann 2014
Antoni Biosca Bas (ed.): Alfonso Bonihominis. Opera omnia. Historia Ioseph, Epistola Samuelis, Disputatio Abutalib, Legenda Sancti Antonii, Tractatus contra malos medicos, Additio islamica ad Epistolam Samuelis, Respuesta catalana de Isaac , Turnhout: Brepols 2020
Eva Odelman (Hg.): Nicolai de Aquaevilla. Sermones moralissimi. Atque ad populum instruendum utilissimi supra evangelia dominicarum totius anni, Turnhout: Brepols 2018
Die Benediktinerabtei von Monte Cassino, exponiert auf 519 Meter Höhe 125 Kilometer südöstlich von Rom gelegen, präsentiert sich heute als "historic monument engineered to the point of iconic veneration" und "international product for cultural consumption and appreciation" (213f.). Die Anfänge verlieren sich freilich im historiographisch-hagiographischen Dunkel. Die (benediktinische) Historiographie geht von einer Gründung im Jahr 529 durch Benedikt von Nursia (und seine Schwester Scholastika) aus. Seit 1400 Jahren besteht somit benediktinisches Leben auf dem Monte Cassino - ein imposanter Zeitstrahl, geprägt durch Phasen von Prosperität ebenso wie durch Katastrophen, die materielle Zerstörung und Exil mit sich brachten.
In seiner Geschichte der Abtei von den Anfängen bis in die unmittelbare Gegenwart hinein argumentiert der an der University of British Columbia lehrende Kriston R. Rennie, dass es gerade die kontinuierliche Erfahrung von Zerstörung und Wiederaufbau ("Zerstörungstradition") war, durch die die lineare benediktinische Meistererzählung (gekoppelt an Begriffe wie Fortschritt, Überlegenheit und Triumph) geprägt und beeinflusst wurde. Nach jeder Zerstörung sei "the abbey's authenticity" (16) wiederbegründet, ihre Bedeutung und Stellung im monastischen Konzert des Abendlands gestärkt und in ein sehr viel konsistenteres Ganzes überführt worden.
Erfahrungen von Zerstörung, Verlust und Exilierung gab es viele. Zum ersten Mal wurde Monte Cassino im Jahr 577 von den Lombarden geplündert, was für die Gemeinschaft ein rund 100 Jahre andauerndes Exil in Rom zur Folge hatte. Unter Abt Petronax gelangen die Rückkehr und der Wiederaufbau - bis zum zweiten Angriff 883 durch die Sarazenen, was ein Exil in Teano bis 915, gefolgt von 25 weiteren Jahren in Capua mit sich brachte. Das "goldene Zeitalter" brach unter Abt Desiderius an (1058-1087), der später als Victor III. Papst wurde. Er leitete ein eindrucksvolles Bauprogramm ein und konnte sich zu dessen Finanzierung auf Einkünfte aus rund 80.000 Hektar Landbesitz stützen. Das imposante, auf dem Bergrücken thronende Bauensemble, das über ein leistungsfähiges Skriptorium verfügte, wurde freilich durch ein Erdbeben 1349 vollständig zerstört. Der Initiative des in Avignon residierenden Urban V. war es zu verdanken, dass die Abtei prächtiger als je zuvor wieder aufgebaut werden konnte. Auch von den politischen Verwerfungen der (frühen) Neuzeit blieb das Kloster nicht verschont. Im Kampf zwischen Spaniern und Franzosen um das Königreich Neapel war Monte Cassino von eminenter strategischer Bedeutung. Dass das Kloster die Auswirkungen der italienischen Vereinigungsbestrebungen nicht zu spüren bekam, war vor allem ausländischem Einfluss zu verdanken. Insbesondere in England verwies man erfolgreich auf die Bedeutung der Abtei als Symbol westlicher Kultur und Einheit, das nationalstaatliche Partikularismen bei weitem überstieg. Dieses Denken geriet gegen Ende des Zweiten Weltkriegs buchstäblich unter Beschuss: Am 15. Februar 1944 wurde Monte Cassino durch alliierte Bomber vollständig vernichtet.
In chronologischem Durchlauf analysieren die sechs Kapitel der Untersuchung die traditions- und identitätsstiftenden Erfahrungen von Zerstörung und Wiederaufbau. Die beiden ersten Kapitel, den Ursprüngen um Benedikt von Nursia, dem "larger-than-life historical stalwart" (30) und "seiner" Regel gewidmet, bieten eine konzise Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes. Kapitel 3 und 4 beleuchten jedes einzelne Zerstörungs- und Wiederaufbauereignis gesondert, während in den beiden abschließenden Kapiteln der symbolischen Bedeutung von Monte Cassino insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert nachgespürt wird.
Ausgesprochen eindrücklich gerät die Beschreibung des 1944 erfolgten Bomberangriffs auf die Abtei, "by far the most dramatic and destructive episode in Monte Cassino's 1400-year history" (88). Analysiert wird, wie die Deutschen den Abt mit Mühe davon überzeugen konnten, die Kunstschätze im Vorfeld nach Rom zu verlagern. Die Evakuierung eines Großteils der Mönche folgte: lediglich rund 150 Personen verblieben vor Ort. Die Bombardierung des Klosters erfolgte deshalb, weil man (wohl fälschlicherweise) davon ausging, die Deutschen missbrauchten die Abteigebäude als militärische Stellung. Auch dem alliierten Oberkommando sollte kurz später klar werden, dass mit der Bombardierung das genaue Gegenteil dessen erreicht worden war, was man eigentlich beabsichtigt hatte: Jetzt erst besetzten die Deutschen den Berg und nisteten sich in den Ruinen ein. Rennies Schlussfolgerung lässt nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig: "By all accounts, the abbey was destroyed unnecessarily and with brutal military force" (123). Zukünftig dürfte die Auswertung der (derzeit noch unzugänglich) im Abteiarchiv lagernden Tagebucheintragungen einzelner Mönche für weitere Aufschlüsse hinsichtlich der Ereignisketten sorgen.
Der internationale Aufschrei nach der Bombardierung 1944 war groß. Der neu gewählte Abt Ildefonso Rea (1945-1971) wurde dadurch berühmt, dass er eine Rekonstruktion der Abtei, die offiziell am 24. Juni 1947 begann, "dov'era, com'era" durchsetzte. Bezahlt wurde sie vom italienischen Staat. Das, was sich im 19. Jahrhundert bereits angekündigt hatte (und Rennie illustriert dies eindrucksvoll mit Blick vor allem auf englische Parlamentsdebatten und die Interventionen gelehrter Gesellschaften), brach sich nun Bahn. Monte Cassino wurde zum "etic symbol of continuity capable of transcending national and international borders" (159), stieg zur Verkörperung eines geeinten Europas, zum "emblem of Western civilization" (162) auf. Kontinentaleuropäische Leser hätten sich hier über eine stärkere Einbeziehung ähnlich gelagerter Stimmen aus Deutschland oder Frankreich gefreut. Sollte man allein in England das identitätsstiftende, nationalstaatliche Enge übersteigende Potential von Monte Cassino erkannt haben? Wohl kaum.
Angesichts der auf den letzten Seiten mit einiger Ausführlichkeit analysierten päpstlichen Ansprachen (von Paul VI. über Johannes Paul II. bis hin zu Benedikt XVI.) sehnt man sich nach einem "et audiatur altera pars". Gab es vernehmbare säkulare Gegenstimmen zur Erhebung des Hl. Benedikt zum Patron Europas, die 1965 anlässlich der Wiedereinweihung der Abtei erfolgte? Wurden Zweifel an der Auffassung geäußert, es seien vor allem die benediktinischen Werte, verkörpert in der (historisch nur schemenhaft fassbaren) Person Benedikts, die zu einer Befriedung des europäischen Kontinents beitragen könnten?
Als einer der Mönche nach seinen Eindrücken angesichts der vollständigen Zerstörung der Abtei 1944 gefragt wurde, antwortete dieser ebenso eindrücklich wie schlicht: "Wir reden hier kaum darüber. Für uns ist sie (die Zerstörung) bereits zu einem bloßen Ereignis innerhalb unserer langen Geschichte herabgesunken." (213). Die Vernichtung architektonischer Strukturen wurde als Verlust von Materie bewertet, durch den weder der Geist noch die Tradition benediktinischen Lebens ausgelöscht werden konnten. Ob und wie Monte Cassino die aktuelle Krise des Mönchtums europäischer Prägung überstehen wird, mag die Zukunft zeigen.
Die gut geschriebene und sorgfältig lektorierte Arbeit (der Verweis auf die Vitae papae (sic) Avenonensium und das fehlerhafte Latein auf Seite 141f. bestätigen nur die Regel) eignet sich, um auf der Grundlage aktueller Forschung in die Geschichte einer der weltweit bekanntesten und im Lauf der Geschichte einflussreichsten Abteien einzutauchen. Antworten auf Detailfragen wird man nach wie vor andernorts suchen.
Ralf Lützelschwab