Yigal Kipnis: 1982. Lebanon. The Road to War, Or Yehuda: Kinneret Zmora-Bitan Dvir 2022, 414 S., ISBN 978-965-574-414-9
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40 Jahre nach dem Einmarsch der israelischen Armee in den Libanon stellt sich die Frage, ob 1982 die eigentliche Zäsur der israelisch-palästinensischen Konfliktgeschichte gewesen ist. Besiegelte dieser Krieg die israelische Okkupation der Palästinensergebiete? Yigal Kipnis ergründet diese Frage in dem hier zu besprechenden Buch nicht, vielmehr rekonstruiert der israelische Historiker den Weg in den Krieg und bietet damit mit neuem israelischen und amerikanischen Archivmaterial eine minuziöse Quellenarbeit zur Geschichte der Kriegsdiplomatie. Auf die Zeitspanne zwischen 1978 bis 1983 fokussiert - damit auf die zwei Regierungen von Menachem Begin - widerlegt der Autor die These, Verteidigungsminister Ariel Sharon habe die israelische Regierung - und damit auch ihren Premierminister - in diesen "Täuschungskrieg" [1] hineinmanövriert.
Schon in der Einleitung macht der Autor deutlich, Begin habe vier Kriegsziele bewusst verfolgt: erstens die militärische Zerschlagung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in Beirut sowie die Entmachtung ihrer politischen Führung, um zweitens Israels Kontrolle der Palästinensergebiete aufrechtzuerhalten; Begin habe mit den israelischen Waffen drittens Bashir Gemayel, einen Christen, zum Staatspräsidenten gemacht, um ein Friedensabkommen mit dem Libanon zu schließen; dafür mussten die Syrer ihres Einflusses im Libanon beraubt werden; aus diesem Grund war der Krieg, viertens, auch eine militärische Auseinandersetzung mit Syrien auf libanesischem Boden.
Der israelischen Öffentlichkeit wären diese Ziele wohl kaum vermittelbar gewesen; Begin habe - so Kipnis - mit List und Raffinesse sein Volk in einen Krieg gezogen. Sämtliche militärische Entscheidungen im Laufe der ersten drei kritischen Monate habe sein Kabinett gebilligt, "sogar, Beirut zu bombardieren und belagern" (15). Und nach der Ermordung Gemayels billigte das Kabinett auch die Entscheidung, christliche Milizen in palästinensische Beiruter Flüchtlingslager zu entsenden (15). Außerdem ernannte Begin Sharon im Juni 1981 zum Verteidigungsminister, und zwar allen Einwänden zum Trotz. Es musste ihm selbst und allen anderen klar gewesen sein, dass "Israel damit in den Krieg" zog (13). Doch weshalb sollte Israel ausgerechnet jetzt in den Krieg ziehen, wenn es doch gerade den historischen Friedensvertrag mit seinem Erzfeind Ägypten abgeschlossen hatte? Dazu noch gegen ein Land, das in den regionalen Kriegen der Jahre 1948, 1967 und 1973 weitestgehend außen vor geblieben war?
Der erste Teil von Kipnis' Buch mit dem Titel "Von August 1978 bis Juli 1981: Krisen" legt die Konstellation für solche Pläne offen. Auch Syriens militärischen Einfluss sowie die Belagerung des christlich-libanesischen Dorfs Sahala im Frühjahr 1981 habe Israel immer kritischer beäugt. Der zweite Teil - "August 1981 bis 6. Juni 1982: Kriegsvorbereitung" - thematisiert vor dem Hintergrund der Eskalation an der israelisch-libanesischen Grenze den Weg in den Krieg. Der dritte Teil, überschieben "Der Krieg", schildert detailliert die israelische Eroberung und Bombardierung des Südlibanon, die Bombardierung und Belagerung Beiruts, die US-amerikanische Bemühungen, den Krieg zu beenden, die Vertreibung der PLO, die Ermordung von Staatspräsident Bashir Gemayel und schließlich die bittere Rache seiner Milizen in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila. Diese Massaker führten zu massiven Demonstrationen in Israel, sie erzwangen einen Untersuchungsausschuss und führten letztlich dazu, dass Sharon seines Amtes enthoben wurde.
Der Antiheld in Kipnis' Geschichte ist jedoch der langjährige Führer der israelischen Rechten. Begin wollte diesen Krieg, denn genau wie sein Verteidigungsminister und der Generalstabchef glaubte auch er fest daran, die akuten Probleme des Landes könnten mit Kriegsgewalt gelöst werden. Kipnis zeigt, wie Begin seine Autorität, Überzeugungskraft und sein Charisma einsetzte, um seine meist skeptische Regierung mit diesem gewagten Plan für eine neue Ordnung im Nahen Osten zu gewinnen. Auch massiven US-amerikanischen und europäischen Druck riskierte der Premier, weil er gewillt war, Israels größtes Problem - die Palästina-Frage - ein für alle Mal zu lösen. Krieg erschien ihm dabei als legitimes Mittel von Politik.
Der syrische Golan ebenso wie die Palästinenser-Gebiete standen seit 1967 bekanntlich zur Disposition. Das ägyptische Lösungsmodell - der Tausch von Land gegen Frieden - kam Anfang der 1980er-Jahre für das politische Israel gar nicht in Frage. 1981 sorgte Begin höchstpersönlich mit dem sogenannten Golan-Gesetz dafür, dass der Golan zu israelischem Gebiet erklärt werden konnte. Damit provozierte man aber "nicht nur die Syrier" (175), sondern irritierte auch die US-amerikanische Regierung, deren Friedensbemühungen dadurch konterkariert wurden. Auch Begins Entscheidung, im Juni 1981 den irakischen Atomreaktor zu zerstören, bestätigte einmal mehr die israelische Doktrin von der Notwendigkeit von Krieg als Mittel der Politik. Nicht zuletzt auf Grund persönlicher und familiärer Erfahrung mit der jüdischen Katastrophe in Europa hielt Begin die Gefahr einer zweiten Shoah für real, sollte Israel nicht die militärische Oberhand gewinnen.
Der Konnex von Shoah und nationalstaatlicher Wiederauferstehung zeigt sich vor allem hinsichtlich der urzionistischen Palästina-Frage: Zwar billigte Begin in den Verträgen von Camp David das Projekt einer "Autonomie für die Palästinenser", doch dafür gab es im Lager des Ministerpräsidenten keine Unterstützung. Der Krieg im Libanon bot sich paradoxerweise als verlockender Ausweg an; 1982 hieß Sharons gewagter Plan, Jordanien sei Palästina: Die PLO sollte nicht nur aus dem Libanon ausgewiesen werden, sondern auch nach Jordanien zurückkehren, um dort den palästinensischen Staat zu gründen. Dass ein solches Szenario das gewalttätige Ende des Königshauses der Haschemiten voraussetzte, verdrängten die Entscheidungsträger in Israel auch vor der eigenen Öffentlichkeit einigermaßen erfolgreich.
Das Jahr 1982 steht tatsächlich für Begins Abgang: Anstatt den Frieden mit dem einst gefährlichsten Erzfeind Ägypten zu feiern, befand sich Israel bereits im Herbst 1982 in einer Sackgasse. Der Doktrin der Abschreckung geschuldet suchte Begin das Trauma des Yom Kippur-Kriegs von 1973 durch einen neuen Krieg im Libanon zu überwinden. Das Resultat war dramatisch, denn der militärisch wenig bewanderte Premier musste erleben, dass seine Kriegsziele unerreichbar waren und dass immer mehr israelische Soldaten starben.
Doch warum beendete Begin dieses traurige Kapitel, bevor er sich im August 1983 gänzlich aus dem politischen Leben zurückzog? Kipnis zitiert den Journalisten Yoel Marcus, Begin selbst sei so etwas wie ein Kriegsopfer gewesen; auch eine schwere Depression habe ihn geplagt. Doch der Libanon-Krieg wurde nicht zuletzt deshalb zu einem Dauerproblem, weil auch Begins Nachfolger aus den beiden großen Regierungsparteien in den 1980er-Jahren Israels kriegsorientierte Sicherheitspolitik fortsetzten. Kipnis' erhellendes, auf einer breiten Quellenbasis ruhendes Buch hält schmerzliche Einsichten bereit; gerade deshalb ist es eine Pflichtlektüre - nicht nur für Israelis.
Anmerkung:
[1] So der hebräische Titel von Zeev Shiff / Ehud Yaari: The Lebanon Israel War 1982, Tel Aviv 1984; vgl. auch David Landau: Arik. The Life of Ariel Sharon, Or Yehuda 2015, 146-148.
Tamar Amar-Dahl