Rezension über:

Dariusz Adamczyk: Monetarisierungsmomente, Kommerzialisierungszonen oder fiskalische Währungslandschaften? Edelmetalle, Silberverteilungsnetzwerke und Gesellschaften in Ostmitteleuropa (800-1200) (= Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien; Bd. 38), Wiesbaden: Harrassowitz 2020, XXIV + 306 S., 14 Kt., 26 Tbl., ISBN 978-3-447-11464-6, EUR 64,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Oliver Volckart
London School of Economics and Political Science
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Oliver Volckart: Rezension von: Dariusz Adamczyk: Monetarisierungsmomente, Kommerzialisierungszonen oder fiskalische Währungslandschaften? Edelmetalle, Silberverteilungsnetzwerke und Gesellschaften in Ostmitteleuropa (800-1200), Wiesbaden: Harrassowitz 2020, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 12 [15.12.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/12/37591.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Dariusz Adamczyk: Monetarisierungsmomente, Kommerzialisierungszonen oder fiskalische Währungslandschaften?

Textgröße: A A A

Dariusz Adamczyk, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Warschau, ist ausgewiesener Kenner der Geld- und Tauschwirtschaften Osteuropas um die Wende des ersten Jahrtausends. Hier legt er eine Monografie vor, in der er der Frage nachgeht, welche Funktionen Münzen und Hacksilber, Edelmetallreifen und Barren in den Regionen zwischen Elbe und westlichem Russland zwischen dem 9. und 13. Jahrhunderten erfüllten. Dass es sich dabei um kommerzielle Funktionen handelte, ist nämlich keineswegs gesagt. Edelmetall, hier vor allem Silber, kann ebenso gut politisch - zum Beispiel als Tribut oder zur Festigung politischer und anderer sozialer Beziehungen - verwendet worden sein. Adamczyk bringt diese Dichotomie durch die Gegenüberstellung von homo oeconomicus und homo politicus auf den Punkt, was verkürzt klingen mag, den Kern des Problems aber trifft: Weder die Funde von Münzen noch die von Edelmetall in anderer Form lassen ohne Weiteres darauf schließen, welche Funktion diese Gegenstände erfüllten. Um diese Frage zu beantworten, geht der Autor in zwei Schritten vor. Im ersten Teil seines Buchs stellt er die im Untersuchungsraum bestehenden "Silberverteilungsnetzwerke" dar und diskutiert die kommerziellen, fiskalischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen ihre Bildung und ihr Wandel erfolgten. Gegenstand des zweiten, kürzeren Teiles ist die regional-chronologische Analyse der Münz- und anderen Funde. Das Ergebnis ist ein weit nuancierteres und variantenreicheres Bild der Verwendung von Edelmetall im Untersuchungsraum, als es bisher zur Verfügung stand.

Adamczyks Analyse stützt sich auf zwei Typen von Evidenz: archäologische Funde und schriftliche Quellen. In beiderlei Hinsicht wertet er das Material in umfassender Weise aus. Die bloße Anzahl von Münz- und anderen Funden, die er berücksichtigt, ist stupend; es kann nicht viele geben, die vor 2020 gemacht wurden und die er nicht mit in Betracht zieht. Ebenso sorgfältig und kritisch verwendet er die schriftlichen Quellen, darunter Chroniken, Nachrichten arabischer Reisender und Berichte westeuropäischer Mönche. Originell, zielführend und fruchtbar ist die Kombination von Funden und aus schriftlichen Quellen gewonnenen Informationen. Dass Adamczyk auch den Forschungsstand reflektiert und seine Ergebnisse einordnet, sei nur am Rande bemerkt.

Die Analyse erfolgt fast ausschließlich verbal und führt gelegentlich zu Schlüssen, bei denen der Leser sich eine eingehendere Erläuterung gewünscht hätte. Zum Beispiel haben Archäologen in Staraja Ladoga nahe St. Petersburg einen Kasten mit Schmiedewerkzeugen entdeckt, die ähnlich aussehen wie andere, die auf Gotland gefunden wurden. Adamczyk folgert daraus, dass wir es hier mit einem Hinweis auf den "Transfer technologischer Kompetenzen" aus Skandinavien ins nördliche Russland zu tun haben (35). So ein Transfer mag natürlich stattgefunden haben, aber seine Existenz auf der Basis derartig schmaler Evidenz zu postulieren, scheint gewagt. An anderer Stelle (47) versucht der Autor, die um 900 herum jährlich aus Choresm in den mittleren Wolgaraum strömende Menge arabischer Dirhems zu schätzen. Er stützt sich dabei auf Ahmed Ibn Fadlans Angabe, dass die diesen Weg ziehenden Karawanen 5000 Menschen umfassten; ergänzend nimmt er an, dass 2000 davon Kaufleute waren, die pro Kopf mindestens 1000 Dirhems mit sich führten. Im Ergebnis gelangt er zu einem jährlichen Transfer von rund 2 Millionen Münzen. Worauf die Vermutung beruht, dass es 2000 Kaufleute und 1000 Dirhems pro Kopf waren, bleibt unklar; offensichtlich braucht man diese Parameter nur geringfügig zu verschieben, um zu Ergebnissen ganz anderer Größenordnung zu gelangen. Ein weiteres, demselben Kapitel entnommenes Beispiel mag Adamczyks Argumentationsweise verdeutlichen. Auf der Seite 35 spricht er von der Möglichkeit, dass Kaufleute von der Insel Birka im Mälarsee sich zunächst auf den Handel mit dem Frankenreich konzentriert und ihre Beziehungen zu Nordrussland erst nach etwa 850 intensiviert haben könnten. Auf der Seite 36, wo er der Frage nachgeht, weshalb "die Verschiebung des Fernhandels weg vom Frankenreich hin zu Staraja Ladoga" stattfand, ist aus der Möglichkeit plötzlich eine Gewissheit geworden.

Ganz selten stellt Adamczyk seine Evidenz nicht ausschließlich verbal, sondern in Form von Tabellen dar. Damit wird bereits deutlich, dass er bei der Kombination archäologischer und schriftlicher Quellen zwar originell vorgeht, den gängigen wirtschaftshistorischen Methoden aber distanziert gegenübersteht. Ein dem wirtschaftsgeschichtlichen "Mainstream" angehörender Historiker hätte das von ihm ausgebreitete Material statistisch und unter Verwendung quantitativer, ökonometrischer Methoden analysiert - schließlich drängt es sich dazu nachgerade auf. Mit Hilfe einiger einfacher multivariater Regressionen hätten sich die Zusammenhänge, bei deren Analyse Adamczyk gelegentlich in Ad-hoc-Schlüsse von der oben dargestellten Art verfällt, stichhaltig nachweisen lassen. So wäre es zum Beispiel möglich gewesen zu zeigen, welche Entwicklungen im eigentlichen Sinne signifikant waren. Angesichts der methodischen Ausrichtung der Mehrzahl der Beiträge, die in großen wirtschaftshistorischen Fachzeitschriften wie dem European Review of Economic History oder dem Journal of Economic History erscheinen, sollte es im Jahre 2022 nicht mehr nötig sein, auf den Nutzen eines solchen Vorgehens zu verweisen.

Wie fern Adamczyk der wirtschaftshistorischen Forschung steht, macht auch seine Diskussion der Frage deutlich, ob Münzen als Geld oder wie anderes Edelmetall verwendet wurden (167-168). Der von ihm verwendete Ausdruck "Gewichtsgeldwirtschaft" ist wenig hilfreich. Münzen zeichnen sich dadurch aus, dass sie normalerweise zu einem Wert umlaufen, der etwa ihren Produktionskosten entspricht - und diese sind immer höher als der Wert des Edelmetalls, das in ihnen enthalten ist. Werden sie nach ihrem Gewicht gehandelt, so haben sie keine Münzfunktion mehr, sondern entsprechen Edelmetallbarren. Hier hätte man sich erstens einen Bezug zur einschlägigen Forschung gewünscht und zweitens einen Verweis darauf, dass beide Verwendungsformen nebeneinander bestanden haben können: Fernhändler und Wechsler zum Beispiel können bestimmte Münztypen nach Gewicht verwendet haben, während der Großteil der Bevölkerung sie zu einem höheren Wert akzeptierte.

Das von Adamczyk aufbereitete Material hätte sich an vielen Stellen leserfreundlicher darstellen lassen. Simple Grafiken, etwa in Form von Kuchendiagrammen, hätten zum Beispiel die durchschnittliche Zusammensetzung von Münzfunden aus bestimmten Regionen verdeutlicht, ohne dass es einer umständlichen Beschreibung bedurft hätte. Dankenswerterweise enthält das Buch zahlreiche Karten, die Fundorte und Ähnliches zeigen. Allerdings sind die Legenden außerordentlich knapp gehalten, was den Nutzen einschränkt. Irritierend sind die auf Karten wie zum Beispiel Nummer 9 (93) um Fundgruppen gezogenen, unregelmäßig geformten Rahmen. Warum diese Rahmen gerade die vom Autor gezeichnete Form haben - warum also einzelne Funde außen vor bleiben, andere aber nicht - bleibt vollkommen unklar. Als Fazit ist festzuhalten, dass die Studie vor allem aufgrund des Umfangs des vom Autor erschlossenen Materials beeindruckt. Analytisch enthält sie einige Schwächen, und die Form der Darstellung bedingt, dass kaum jemand sie in einem Stück lesen wird.

Oliver Volckart