Rezension über:

Katell Berthelot: Jews and Their Roman Rivals. Pagan Rome's Challenge to Israel, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2021, XXI + 519 S., 2 Kt., 17 s/w-Abb., ISBN 978-0-691-19929-0, GBP 35,00
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Rezension von:
Antonia Lakner
Seminar für Alte Geschichte, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Antonia Lakner: Rezension von: Katell Berthelot: Jews and Their Roman Rivals. Pagan Rome's Challenge to Israel, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2021, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 4 [15.04.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/04/36144.html


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Katell Berthelot: Jews and Their Roman Rivals

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Die Beziehung des Judentums zum Römischen Reich und vice versa beschäftigt die altertumswissenschaftliche wie judaistische Forschung seit langer Zeit. Das Interesse an diesem Beziehungsgeflecht und dem damit verbundenen imaginaire spiegelt sich in den Titeln zahlreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen - oftmals ausgedrückt durch die Gegenüberstellung der heiligen mit der ewigen Stadt - der letzten drei Jahrzehnte. [1] Die französische Religionshistorikerin Katell Berthelot greift diese Forschungslinie auf und legt mit ihrer Monographie "Jews and Their Roman Rivals. Pagan Rome's Challenge to Israel" einen neuen Interpretationsansatz vor. Hervorgegangen aus dem von 2014 bis 2019 ERC-geförderten Projekt "Judaism and Rome" sei das Ziel der Arbeit, "to reconceptualize the role of the Roman Empire in the history of Judaism" (14). Berthelot fasst dabei die Begegnung der Juden mit Rom als ideologische Herausforderung, die die Entwicklung des antiken und somit auch des modernen Judentums maßgeblich prägte.

Die ausführliche Einleitung (1-28) formuliert einen Aufriss der jüdischen wie römischen Geschichte und ihrer wechselseitigen Beziehung. Sie verortet die vorliegende Monographie im aktuellen Forschungsstand und geht auf angewandte Theorien und Terminologie [2] ein. Für die Neukonzipierung der Rolle des Römischen Reichs in der Geschichte des Judentums vom 2. Jh. v.Chr. bis zum 4. Jh. n.Chr. schlägt die Autorin eine synthetische Analyse vor: mithilfe einer komparatistischen Lesart jüdischer - sonst oftmals in der Forschung alleinstehend gelesen, etwa Josephus und Philon in Bezug zu rabbinischer Literatur - und griechisch-römischer Quellen soll die politisch-religiöse Natur der ideologischen Herausforderung Roms auf das Judentum und das Volk Israel offengelegt werden.

Ausgangspunkt für diesen Ansatz bildet im ersten Kapitel (29-87) die Betrachtung der Begegnungen Israels mit vorrömischen Reichen, um so eine Vergleichsgrundlage für das Aufeinandertreffen mit Rom zu schaffen. Berthelot untersucht Imperialismuskonzeptionen des neuassyrischen, neubabylonischen und achämenidischen Reiches, wie die der hellenistischen Königtümer. Überzeugend weist sie deren Einflüsse auf biblische und weitere jüdische Texte in der Antike, insbesondere auf jüdisch-theologisches Denken und die Konzeption menschlicher wie königlicher Macht, auf.

Das zweite Kapitel (88-176) befasst sich mit der Herausforderung Israels durch die römische Selbstwahrnehmung. Eben diese Selbstwahrnehmung Roms als Stadt und als Volk benennt die Autorin als paradoxe Parallele zu Israel wie auch die Überzeugung göttlicher Auswahl und Berufung. Das daraus entstehende Gefühl der Rivalität mancher Juden gegenüber den Römern, so das plausible Argument Berthelots, wurde durch den Kontext der drei großen Auseinandersetzungen im 1. und 2. Jh. n.Chr. verstärkt, sodass Rom als Substitution anstelle Israels selbst - ein Novum in der Beziehung Israels zu anderen Reichen - wahrgenommen werden konnte.

Im dritten Kapitel (177-256) analysiert Berthelot die Herausforderung durch römische Konzeptionen von überlegener (militärischer) Macht und Männlichkeit. Quellennah und detailtreu weist Berthelot die Pluralität jüdischer Reaktionen auf: Einerseits finden sich Imitation und Mimikry römischer Machtrepräsentationen in jüdisch-literarischen und -numismatischen Quellen. Andererseits werden jüdische Gegenentwürfe zu römischen Machtvorstellungen, wie Selbstkontrolle, intellektuelle Fähigkeiten, Torastudium und die Neudefinition der Stille Gottes nach der Zerstörung des Zweiten Tempels als Ausdruck seiner Macht formuliert.

Die Pluralität jüdischer Reaktionen, von Imitation über Subversion bis hin zur Ablehnung Roms, und die jüdische Rivalität mit Rom werden von Berthelot auch in den zwei folgenden Kapiteln anschaulich verdeutlicht. Im vierten Kapitel (257-339) wendet sich die Autorin dem römischen Recht und Rechtsprechung als Israel herausforderndem Faktor zu. Nach einem kondensierten Überblick zum römischen Recht legt sie präzise die Konzeption der Überlegenheit jüdischen universal gültigen Rechts bei Philon und Josephus offen. Gleichzeitig weist sie die gegenteilige rabbinische Auffassung jüdischen Rechts als exklusives Gut Israels auf und führt die rabbinische Rechtskodifizierung als Abgrenzungs- und Imitationsprojekt zu Rom an. Das letzte Kapitel (340-428) untersucht die Herausforderung des römischen Bürgerrechts auf jüdische Konzeptionen des Volkes Israels. Berthelot stellt die römische Bürgerrechtspraxis vor, geht auf biblische Modelle (Abstammung versus Gesetzestreue) ein und argumentiert überzeugend: Während vorrabbinische Quellen mittels "Greek civic vocabulary" (368) römische Konzeptionen im Bereich der Integration neuer Mitglieder in das Volk Israel übernehmen und dabei Rivalität ausdrücken, spiegelt die rabbinische Halacha den Einfluss römischen Bürgerrechts beim Umgang mit Gefangenen, Konvertiten und bei der Freilassung von Sklaven ohne Rivalitätsbekundungen.

In der dichten Zusammenfassung (429-432) führt Berthelot ihre großen Argumentationsstränge zusammen und plädiert schlüssig für den dauerhaften Einfluss Roms auf jüdisches Denken und jüdische Geschichte. Über allem positioniert sie die Rolle von Rivalität, die eine Vielfalt von Reaktionen auf Seiten Israels hervorruft. Während die wichtigen Punkte übersichtlich benannt werden, wäre hier im Vergleich zur Länge der vorangegangenen Kapitel und den dortigen Teilfazits ein Synthesekapitel oder eine umfangreichere Zusammenfassung wünschenswert.

Daraufhin folgt ein umfangreicher Anhang. Berthelot unterteilt ihre Bibliographie (433-491) in drei Teile: digital zugängliche Quellen [3], Editionen rabbinischer Texte und Sekundärliteratur. Diese reiche Bibliographie stellt für erfahrene wie Erstleser einen äußerst konstruktiven Ausgangspunkt für weitere Lektüre dar. Ein weitreichender Index antiker Quellen (493-519) bildet ein hilfreiches Arbeitsinstrument. Für eine Leserschaft, die mit der judaistischen und rabbinischen Forschung nicht vertraut ist, wäre ein Glossar von Nutzen gewesen.

Der Aufbau des Buches ist klar strukturiert. Das Inhaltsverzeichnis mit informativen Überschriften ermöglicht gezieltes Lesen. Berthelots Narration folgt den gesetzten Parametern, führt den Leser mit konstruktiven Zusammenfassungen der Kapitel und Teilkapitel und besticht durch klare Sprache.

Insgesamt zeichnet sich Katell Berthelots Monographie durch das detaillierte und gleichzeitig weitreichende Quellenstudium aus: die komparatistische Lesart jüdisch-griechischer, rabbinischer und römischer Quellen, literarisch, numismatisch wie epigraphisch, zeigt eindrucksvoll sowohl die ideologische Herausforderung Roms als auch die Pluralität der Reaktionen unterschiedlicher jüdischer Gruppen auf. Frühchristliche Quellen und das Qumran-Korpus lässt sie dabei weitestgehend außen vor. [4] Berthelot gelingt es, eine neue Betrachtung der Geschichte des Judentums jenseits formulierter Interpretationen wie "clash of civilization or a process of Romanization" (14) zu eröffnen. Ihr Rivalitätsbegriff verdeutlicht dabei das Wechselspiel von Einflüssen und Ansprüchen, welches sie bereits im Buchtitel zum Ausdruck bringt. Die ganzheitlich forschungsstarke wie auch mit Forschungsliteratur gesättigte Monographie ist somit für ein altertumswissenschaftlich wie judaistisch interessiertes Publikum lohnend. So bleibt nur zu hoffen, dass diese bereichernde Studie das Interesse an jüdischer Geschichte und seiner komplexen Beziehung zu Rom stärkt.


Anmerkungen:

[1] Hierfür exemplarisch: Hadas-Lebel, Mireille: Jérusalem contre Rom, Paris 1990; Sicker, Martin: Between Rome and Jerusalem. 300 Years of Roman-Judaean Relations, Westport, Conn. 2001; Goodman fasst diese Tendenz treffend zusammen: "Rome and Jerusalem have existed for centuries in the Western imagination as opposite ideals of grandeur and sanctity." Goodman, Martin: Rome und Jerusalem: The Clash of Ancient Civilizations, London 2007, 33; Wilker, Julia: Für Rom und Jerusalem. Die herodianische Dynastie im 1. Jahrhundert n. Chr., Frankfurt am Main 2007; Bernett, Monika: Rom und Jerusalem. Kaiserherrschaft und herodische Dynastie. Beobachtungen und Fragen zur neueren Forschung, in: Klio: Beiträge zur Alten Geschichte 92.1 (2010), 83-93; Mahieu, Bieke: Between Rome und Jerusalem. Herod the Great and His Sons in Their Struggle for Recognition. A Chronological Investigation of the Period 40 BC-39 AD, with a Time Setting of New Testament Events, Leuven 2012.

[2] Zur Definition des Begriffs 'Israel' siehe (3) und für 'Judentum' (26). Die Rezension folgt dem Sprachgebrauch Berthelots.

[3] Katell Berthelot verweist anfangs dieses Anhangs wie auch in den 'Acknowledgements' (xv) auf die umfangreiche, aber "non-exhaustive" (433) Sammlung antiker Quellen auf der Website ihres ERC-Projekts "Judaism and Rome", siehe hierfür: http://www.judaism-and-rome.org .

[4] Gvaryahu geht in seiner Rezension zu Berthelots Monographie ausführlicher darauf ein, siehe: Amit Gvaryahu: Rezension zu: Katell Berthelot: Jews and Their Roman Rivals. Pagan Rome's Challenge to Israel, Princeton, NJ: Princeton University Press 2022, in: Bryn Mawr Classical Review 2022.09.13 [27.02.2023], URL: https://bmcr.brynmawr.edu/2022/2022.09.13/ .

Antonia Lakner