Lorenza Iannacci / Annafelicia Zuffrano: Il dossier testamentario di Teodorico Borgognoni, frate domenicano, chirurgo, ippiatra e vescovo. Autobiografia di un uomo del Duecento (= Micrologus Library; 109), Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2022, V + 235 S., ISBN 978-88-9290-155-1, EUR 42,00
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Lorenza Iannacci und Annafelicia Zuffrano haben einen weiteren Steinbruch für (rechtshistorisch orientierte) 'thanatologische' Forschungen geliefert, der sicherlich intensiv benutzt werden wird. Das Material, aus dem die Steine gebrochen werden können, ist, wie der Titel verrät, ein ganzes Dossier rechtsrelevanter Dokumente, die mit dem Ableben des Arztes, Dominikaners und Bischofs Teodorico Borgognoni in Verbindung stehen. Hier ist natürlich das Testament zu erwarten, das unter Nr. 4 auch geboten wird. Was diese Publikation indes besonders und besonders nützlich macht, ist die Tatsache, dass dieses Testament in eine Vielzahl von Dokumenten eingebettet ist, die vor und nach der Abfassung des Testaments angefallen sind. Wir bekommen also geboten: ein vorgängiges Codicill aus dem Jahre 1277, eine Testierlizenz aus dem Jahre 1279, eine Bestätigung, das Testament von 1298, ein weiteres Codicill aus dem Jahre 1298, einen Verzicht auf Nießbrauch, einen Fragenkatalog mit Antworten und eine Appendix mit insgesamt 18 regestierten Dokumenten in drei Gruppen. Dabei macht der Fragenkatalog den absoluten Schwerpunkt des Bandes aus, wenn man nach Seitenzahlen fragt (57-202).
Im Laufe des Dezember 1298 wurden an neun Tagen dreizehn Zeugen zu den Vermögensverhältnissen des Erblassers befragt. Grundlage der Befragung war ein insgesamt 38 Fragen umfassender Katalog, den Tommasino di San Giorgio, Stellvertreter (Procurator) des Erblassers, aber nicht Testamentsvollstrecker, notariell hat festlegen lassen. Die dreizehn Zeugen haben unterschiedliche Hintergründe, gehören also etwa dem Dominikanerorden an oder sind Blutsverwandte des Verstorbenen. Somit bietet es sich an, die Aussagen längs, aber insbesondere auch quer zu sichten, so dass dann Unterschiede in den Aussagen sichtbar werden. Besonders interessant ist dieser Katalog vor dem Hintergrund der rechtlichen Situation des Erblassers, der als Bischof ohnehin nicht testamentarisch über Kirchengut verfügen dürfen sollte - und als Dominikaner eigentlich ohnehin über kein persönliches Eigentum verfügen dürfte. Um die Umsetzung der testamentarischen Wünsche nun möglichst gegen Anfechtungen abzusichern, wurde diese Zeugenbefragung durchgeführt. Ähnliches ist für eine Vielzahl anderer Geistlicher in ähnlicher Situation zu erwarten, jedoch so gut wie nicht überliefert - soweit man es ausweislich der editorischen Publikationslage zu überschauen vermag.
Die einzelnen Textstücke werden mit vollständiger Datierung, einem Kurzregest und den Angaben zur archivalischen Überlieferung geboten. Dabei werden Fußnoten für den Sachapparat, Endnoten nach jedem Kapitel (also Textstück) für den textkritischen Apparat genutzt. Gerade für den Sachapparat ist es etwas gewöhnungsbedürftig, dass eine Fußnote hin und wieder mehrfach gesetzt wird, obwohl man in der substanziellen Zählung bereits weiter fortgeschritten ist. So wird immer wieder Fußnote 72 gesetzt, die auf Seite 178 geliefert wird, auch wenn mittlerweile die 80er und höhere Zahlen erreicht wurden. In der Anmerkung 72 verweisen die Editorinnen auf ein regestiertes Dokument in der Appendix. Benutzerfreundlicher wäre es indes, eine neue Fußnote zu setzen und auf die Seite und die Anmerkungsnummer zurückzuverweisen, wenn man nicht erneut auf dasselbe Regest verweisen möchte. Das bringt bei der intensiven Auseinandersetzung mit den Dokumenten einiges an Blätterarbeit mit sich.
In der Einleitung werden natürlich auch die Editionsrichtlinien (17-21) dargelegt, die aber doch etwas knapp gehalten sind. Die letzte Seite der Editionsrichtlinien bietet mit Zeichen und Siglen fast ein vollständiges Leidener Klammersystem, wobei diese Komplexität in der Masse des Editionstextes nicht erreicht wird. Ob jede Sigle und jede Klammervariante verwendet wurde, habe ich nicht nachgeprüft. Die Editorinnen äußern sich in einem knappen Absatz dazu, dass sie der sprachlich-graphischen Vorlage so weit als möglich treu bleiben. Das ist soweit völlig zustimmungsfähig. Bei der intensiven Lektüre des Editionstextes mag man sich indes doch hin und wieder wundern, weshalb an der einen Stelle eingegriffen wurde und an der anderen nicht. Hier wären weitere Ausführungen begrüßenswert, in denen die Editorinnen darlegen, was sie als "normalen" mittelalterlichen Spielraum bei etwa bei Orthographie, Syntax oder Wortgebrauch betrachten. So muss man selbst entdecken, dass quia und quod weitestgehend synonym verwendet werden, oder dass manche Formulierungen etwas elliptisch wirken, wenn es z. B. heißt (85): Interrogatus quod scit predicta, respondit quia ipse testis erat presens [...] ex eo quia [...].
Ebenfalls muss man selbst bei der Lektüre feststellen, dass die Casus-Verwendung hin und wieder relativ frei erfolgt. Vermutlich ist sie durch volkssprachliche Gegebenheiten beeinflusst (z.B. 108, wo ein ad eine Akkusativkonstruktion ankündigt, aber eine Dativkonstruktion folgt). Hin und wieder werden fehlende Konsonanten in editorisch mustergültiger Weise eingefügt (104: pos < s > idet), an anderer Stelle indes nicht (96: permitente; 103: Thedericus fuit sumus et vere perfectus [...] et quia fuit ad curas vocatus sumi pontificis et regis [...]) - oder gegenüber klassischer Orthographie überzählige Konsonanten nicht entfernt (105: peccunia). Während die Einfügung der Konsonanten normalerweise keinen Einfluss auf das Verständnis hat, wären die fehlenden Konsonanten bei dem genannten Beispiel von Seite 103 bei einer Übersetzung de verbo ad verbum sinnentstellend. An anderer Stelle sind offensichtlich falsche Buchstaben zu finden, wobei nicht klar wird, ob es sich um Flüchtigkeitsfehler bei der Edition oder um Fehler des mittelalterlichen Schreibers handelt (bspw. 104: decet et octo annis anstelle von decem et octo annis). Hierein fällt auch eine Beobachtung bei der Angabe von Geldbeträgen, wenn das Zahlwort im Genitiv, das Nominal indes im Akkusativ gegeben wird (95: valorem quatringentorum florenos auri). Die Beispiele könnten noch zahlreich ergänzt werden. Der Leser der Rezension wird schon bemerkt haben, dass die Beispiele einem recht engen Intervall entnommen sind. Wie gesagt könnten diese vervielfältigt werden, aber die gebotenen Beispiele zeigen auch an, dass die sprachliche Qualität der Dokumente variiert. So ist das Testament in einem zweifelsohne mittelalterlichen Latein (Italiens) gehalten, aber insgesamt sprachlich unverdächtig. Das Einzige, was ich hier anmerken würde, wäre, dass man auch andere Absätze einfügen könnte (z.B. 47).
Die Editorinnen bieten eine sehr begrüßenswerte Sammlung von Dokumenten, die Aspekte der Testamentsvollstreckung sehr viel deutlicher als bislang sichtbar werden lassen. In der Edition indes lässt sich noch etwas Verbesserungspotenzial ausmachen. Lesenswert ist auch die Einbettung in weitere Kontexte, die Michael McVaugh in seinem Vorwort beschreibt.
Andreas Kistner